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Würzburg
Geheimnis um einen rostigen Tresor
Spannender Moment am 30. Oktober 2015: Der Tresor aus der Eichhornstraße wird geöffnet. Foto: Theresa Müller
| Spannender Moment am 30. Oktober 2015: Der Tresor aus der Eichhornstraße wird geöffnet. Foto: Theresa Müller
Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:36 Uhr

Alle Augen sind auf Günther Rumpel gerichtet. Ende Oktober 2015 setzt der Bauhofmitarbeiter die Flex an, um ein Würzburger Geheimnis zu lüften. Um ihn herum stehen neugierige Medienvertreter und ausgewählte Bürger, sie alle wollen wissen: Was befindet sich in dem rostigen Tresor, auf den ein Baggerfahrer am 10. Juli 2015 bei Grabungen in der Eichhornstraße gestoßen war? Vielleicht wertvoller Schmuck oder sonstige Relikte aus früheren Zeiten? Günther Rumpel öffnet den Tresor. Die Spannung steigt – es folgt die Enttäuschung. Die Menge blickt auf rostige Leere.

Die Enttäuschung hat auch ihr Gutes

Wochenlang hatte Michael Hoppe, Hauptkonservator am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, nach möglichen Besitzern des Tresors oder seines Inhalts gesucht. Und nun das. Der rostige Fund hat dennoch sein Gutes: Während der 60 Zentimeter breite, 75 Zentimeter hohe und 50 Zentimeter tiefe Kasten geöffnet wird, kommen die Zeitzeugen oder deren Nachfahren ins Gespräch. Sie erzählen von ihren Erinnerungen an die Jahre in der historischen Eichhornstraße 10 und der Spiegelstraße 8, wo der vermeintliche Schatz gefunden wurde (historisch deshalb, weil der Straßenverlauf nach dem Zweiten Weltkrieg breiter, autogerechter gestaltet wurde).

Archäologe Dieter Heyse zeigt bei seinem Depot in Schwarzach am Main eine von rund 100 Kisten voll Keramik und Scherben, die seine Mitarbeiter bei Grabungen im Stadtzentrum fanden.  Foto: Kirsten Schlüter
| Archäologe Dieter Heyse zeigt bei seinem Depot in Schwarzach am Main eine von rund 100 Kisten voll Keramik und Scherben, die seine Mitarbeiter bei Grabungen im Stadtzentrum fanden. Foto: Kirsten Schlüter

Johann und Anton Zoll berichten von ihrem Großvater Johann Zoll, der an der Eichhornstraße 10 ein Juweliergeschäft betrieb. Gabriele Nun erzählt vom dortigen Herrenbekleidungsgeschäft ihres Großvaters Karl Albert. Rührend ist auch die Geschichte der Schwestern Gerda Sauer und Brigitte Legge, die bis zur Zerstörung des Hauses im Zweiten Weltkrieg dort wohnten. Die 83-jährige Gerda Sauer brachte ihre zwölf Jahre jüngere Schwester in Sicherheit, als die Familie bei einem Bombenangriff in den Keller flüchtete. In jenen Keller eben, den ein Bagger bei archäologischen Grabungen freilegt. Bevor dieses Areal unter der Anleitung von Projektleiter Holger Döllein zu Würzburgs „Neuer Mitte“ wird, müssen seit Anfang 2014 historische Hinterlassenschaften untersucht werden.

"Es sollte niemand etwas mitbekommen, bis mögliche Besitzer gefunden sind.“
Archäologe Dieter Heyse über den Tresorfund

Die neue Fußgängerzone mit rund 8000 Quadratmetern Fläche liegt im mittelalterlichen Kern der Stadt, dem sogenannten Bischofshut. Dieter Heyse, Chef des „Büros für Ausgrabungen und Dokumentationen“, freut sich: „Die archäologische Baubegleitung auf großen, zusammenhängenden Flächen bringt völlig neue wissenschaftliche Erkenntnisse.“ So fanden seine Mitarbeiter dort Reste eines mittelalterlichen Portals, fast vollständig erhaltene Brückenbögen, eine Brunneneinfassung sowie über 100 Kisten voll Keramik und Scherben, die Würzburgs Bedeutung zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert dokumentieren. Außerdem stießen die Archäologen auf eine rund 80 Meter lange Mauer innerhalb des Bischofshuts.

Alles wird genau dokumentiert

„Vielleicht markierte sie einen geistlichen Immunitätsbezirk im Umfeld des Domes“, vermutet Heyse. „Es wird angenommen, dass sich die Mitglieder des Domkapitels nach dem Auflösen des gemeinschaftlichen Wohnens im Domkloster in eigenen Höfen ansiedelten.“ Neben diesen bedeutsamen Funden kommt im Juli 2015 auch Porzellan aus dem 19. Jahrhundert zum Vorschein, größtenteils in Scherben. Unweit davon, an der heutigen Ecke Spiegel-/Eichhornstraße, buddelt der Baggerfahrer in rund zwei Metern Tiefe den Tresor aus. Dieter Heyse erinnert sich an die Aufregung: „Als der rostige Kasten zwischen dem Kriegsschutt auftauchte, deckte das Team um Grabungsleiterin Judith Ehrmann ihn ab und lagerte ihn in unserem Depot. Es sollte niemand etwas mitbekommen, bis mögliche Besitzer gefunden sind.“ Andere Schätze aus dem „Archiv im Boden“, wie Heyse formuliert, werden nicht unter Verschluss gehalten – im Gegenteil: „Wir müssen alles genau dokumentieren“, sagt der Archäologe, der um die Bedeutung dieser Aufgabe weiß: „Wenn die Neue Mitte fertig ist, sind bis zu 85 Prozent der historischen Befunde wie Mauern, Keller und Erdschichten unwiederbringlich zerstört.“

Text: Kirsten Schlüter

Was Würzburg prägte
Das neue Buch „Was Würzburg prägte“ enthält 52 Texte über Jahrestage aus der Würzburger Geschichte, also für jede Woche des Jahres einen Text. Präsentiert werden die historischen Geschehnisse jeweils von Würzburger Bürgern. Das Buch der beiden Autorinnen Eva-Maria Bast und Kirsten Schlüter entstand in Zusammenarbeit mit der Main-Post. Wir werden in einer ganzjährigen Serie Texte aus dem Buch abdrucken.
Erschienen ist das Buch im Verlag Bast Medien GmbH, in dem auch die erfolgreichen „Würzburger Geheimnisse“ veröffentlicht wurden, die ebenfalls in Kooperation mit der Main-Post entstanden sind.
Erhältlich ist „Was Würzburg prägte – 52 große und kleine Begegnungen mit der Stadtgeschichte“ von Eva-Maria Bast und Kirsten Schlüter Überlingen 2017, ISBN: 978-3-946581-24-6 in den Main-Post-Geschäftsstellen (14,90 Euro).
 
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