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WÜRZBURG
Gegen die Wachstumseuphorie: "Zerfall gehört dazu"
Wachstumsskeptiker: Diplompädagoge Martin Ladach vom Bergwaldprojekt e.V..
Foto: Johannes Kiefer | Wachstumsskeptiker: Diplompädagoge Martin Ladach vom Bergwaldprojekt e.V..
Alice Natter
 |  aktualisiert: 27.04.2023 06:41 Uhr

„Am Gras ziehen“ heißt es in den kommenden zwei Wochen auf der Landesgartenschau in Würzburg. Denn, so sagt ein afrikanisches Sprichwort, „das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“. Bis zum 7. Juni sollen jedenfalls thematisch „die Zeichen auf Wachstum“ stehen: gedeihen, entfalten, vermehren. Dabei geht es auch darum, dass Wachstum seine Grenzen hat – und, zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht, auch negative Folgen. Ein Gespräch mit dem Diplompädagogen Martin Ladach vom Bergwaldprojekt e.V.. Er wird bei den Themenwochenüber Umweltproblematik, gesellschaftliches und politisches Versagen sprechen - und über einen maßvollen Umgang mit unseren natürlichen Lebengrundlagen.

Wachstum – wer vom Bergwaldprojekt kommt, wird sich über dieses Thema freuen, oder? Wachstum ist was Gutes.

Martin Ladach: Per se kann man nicht sagen, dass Wachstum etwas Sinnvolles oder Gutes ist. Auch Krebszellen wachsen, das ist ja das Paradebeispiel, das leuchtet sofort jedem ein. Wir kennen eben auch übermäßiges Wachstum, was dann zerstörerisch wirkt. Aber natürlich sieht man in der Natur die Wachstumsprozesse, gerade jetzt: Im Garten „explodiert“ alles und man fragt sich, wie all die Biomasse eigentlich produziert wird. Das ist ja immer unsere Perspektive, mit Blick auf die natürlichen Lebensgrundlagen und Ökosysteme: Die Natur kennt auch Ruhephasen oder Phasen, in denen sich wieder etwas zurückentwickelt. Das Wachstum ist kein lineares, sondern eher zyklisch. Das ist für uns eine gute Idee, ein guter Ansatz: mehr in zyklischen Phasen zu denken als in linearen, permanenten und auch noch mit stetigen Steigerungsraten verbundenen Wachstumserwartungen.

Weshalb mancherorts Wald- und Buschbrände manchmal gut sind?

Ladach: Genau. Diese Zerfallsphasen gehören auch mit dazu. Auch ganz kleinflächig, wenn beispielsweise ein einzelner alter Baum stirbt. Im Wald gibt es nie einen Startpunkt und dann entwickelt sich alles in die gleiche Richtung. Sondern es gibt in natürlichen Waldgesellschaften ganz viele kleine Entwicklungen, wo an der einen Stelle gerade ganz viel Wachstum – jedenfalls nach unserer Vorstellung davon – passiert, und an der anderen Stelle gerade viel zerfällt. Obwohl es, wenn man genau hinschaut, auch in den Zerfallsphasen Wachstum gibt: eben für Arten, die wir nicht auf den ersten Blick mit Wald identifizieren. Was nach morbidem Stangenwald mit toten Fichten aussieht, birgt viel Leben und Neuanfänge. Absterbende Bäume und Totholz gehören zu den natürlichen Phasen dazu.

Ist also unser Blick, sind wir Menschen, das Problem? Haben wir verlernt, mit den Zyklen umzugehen?

Ladach: Zumindest hat sich in den industrialisierten Ländern der Wachstumsgedanke verfestigt und strahlt sehr machtvoll in alle möglichen Systeme aus. Wenn Europa und Nordamerika Abkommen zu Patentrecht in der Landwirtschaft schließen, hat das nicht nur Auswirkungen auf die Bevölkerung in den jeweiligen Ländern, sondern auch auf Drittstaaten. Der Mensch ist schuld, oder der Mensch ist es – so lässt sich das sicher nicht sagen. Es hat sich eine Kultur der Steigerungslogik entwickelt, möglicherweise beginnend mit der Aufklärung, die sich dann im 20. Jahrhundert voll entfaltet hat. Unser Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen, aber auch mit uns selbst, ist ein Problem. Wenn wir so weitermachen wie bisher und all die externen Kosten der Wachstumsphantasie in die Zukunft legen, wird das brutal zurückschlagen.

Womit wir bei einem großen Unterschied zwischen Wachstum der Natur und ökonomischen Wachstum wären . . .

Ladach: Absolut. Biomassewachstum im Ökosystem nutzt immer nur die zur Verfügung stehenden Ressourcen – alles hängt davon ab, was im Ökosystem „im Angebot“ ist. Das Wirtschaftswachstum, die menschliche Produktionssteigerungen, verlagern hingegen immer den wachsenden Ressourcenverbrauch. Reguliert wird hier bestenfalls durch die Nachfrage, also wenn der Markt gesättigt ist.

Stichwort „zurückschlagen“. Wo sind für Sie die Hauptprobleme?

Ladach: Der „Club of Rome“ hat ja vor 45 Jahren schon die Grenzen des Wachstums beschrieben. Die Warnung und die Erkenntnisse sind nicht neu. Das Problem ist, dass die Lösungsstrategie genau die ist, mit der man die Probleme auch geschaffen hat: technische Innovationen. In der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung sind in der Einleitung verschiedene Ansätze genannt, wie man den ökologischen Problemen entgegenwirken kann. Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Effizienz meint die Produktion des Gleichen mit weniger Material- und Energieaufwand. Bei Konsistenz geht es um Erneuerbare Energien und Kreislaufwirtschaft ohne Abfall, bei der alles wiederverwendet werden kann. Und was die Suffizienz betrifft, da geht es um die Frage nach dem richtigen Maß. Ein kultureller Ansatz, das ist auch das, womit wir uns beschäftigen: Wie viel ist eigentlich genug?

Die Nachhaltigkeitsstrategie ist 15 Jahre alt.

Ladach: Sogar über 15. Wenn man sich anschaut, was in dieser Zeit passiert ist und weiterliest: Suffizienz kommt nie wieder vor. Auch in der Alltagspolitik spielt die Frage nach dem „Wie viel?“ gar keine Rolle. Sich damit auseinanderzusetzen würde heißen, dass wir unseren Lebensstandard nicht an allen Stellen so aufrecht halten können. Man muss überlegen: Was ist uns wichtig? Was behalten wir? Aber selbst solche Ideen geraten dann auch wieder schnell in eine sehr technische Vorstellung von Planbarkeit. Dann entwirft man Prognosen, entwickelt Szenarien. Aber wir müssten viel mehr zu dem kommen, was man bei uns lernen kann: anfangen und machen.

Was spricht denn gegen technische Innovation?

Ladach: Zunächst natürlich nichts. Es geht nicht darum, neuen Technologien eine Absage zu erteilen. Es ist absolut sinnvoll, darüber nachzudenken, was wir verbessern können. Aber jede technische Innovation, jede Material- und Energieeinsparung, die dadurch entsteht, führt dazu, dass die Produkte am Markt günstiger werden, führt zu eine Mehr-Nachfrage und dazu, dass am Ende, in Summe, doch wieder mehr Material und Energie eingesetzt wird. Das sind die sogenannten Rebound-Effekte. Wir reduzieren durch Innovation nicht, sondern legen immer noch was oben drauf. Das umzukehren, ist die große Aufgabe.

Sind wir so bequem? Wieso haben wir so ein großes Problem mit der Frage „Wie viel ist genug?“

Ladach: Tja, wenn man das wüsste. Eine Antwort darauf ist sicherlich, dass wir sehr stark in einer Wettbewerbslogik unterwegs sind. Es wird uns vorgelebt, schon in der Schule. Unser Lebensstandard von Otto Normalbürger in Deutschland ist schon deutlich über dem, was uns eigentlich an Ressourcen zur Verfügung steht. Der 2. Mai war der Tag, an dem Deutschland seine Ressourcen für 2018 aufgebraucht hat.

Sie meinen den „Erdüberlastungstag“?

Ladach: Genau, wir Deutschen sind „durch“ für dieses Jahr. Den Rest des Jahres leben wir auf Kosten anderer. Die Forschungsorganisation Global Footprint berechnet für alle Länder, wann die Weltbevölkerung alle regenerierbaren Ressourcen für 2018 verbraucht hätte, würden alle so leben wie die Menschen in dem jeweiligen Land. Um den deutschen Verbrauch nachhaltig zu decken, bräuchten wir drei Erden. Immerhin war der deutsche „Erdüberlastungstag“ kurz eine Nachricht in den Tagesthemen, in der Halbzeitpause Real Madrid gegen Bayern München. Und dann, viel Spaß und gute Unterhaltung beim Fußball! Der Welt-Ressourcen-Tag ist dann irgendwann im August.

Was sind unsere ökologischen Hauptprobleme in Deutschland?

Ladach: Artensterben, Versiegelung von Flächen, chemische Pestizide in der industriellen Landwirtschaft. Aber letzten Endes ist es keine nationale Frage. Ökologische Krisen interessieren sich herzlich wenig für Staatengrenzen. Und wenn die natürlichen Lebensgrundlagen anderswo noch knapper werden, wachsen Fluchtursachen. Zu denken, dass globale Probleme, gerade Verteilungsfragen, auf nationaler Ebene gelöst werden können – das wird nicht funktionieren.

Wenn man in Waldprojekten tätig ist – wie Frust-resistent muss man dann sein? Zum Beispiel wenn man gleichzeitig an den Flächenfraß in Bayern denkt?

Ladach: Unsere Arbeit ist nicht frustrierend. Weil es so viel engagierte Menschen gibt, glücklicherweise, mit denen wir zusammen arbeiten können. Es gehört auch dazu, die Projekte freudvoll anzugehen. Katastrophismus ist keine Lösung. Da hat der einzelne nicht das Gefühl, er könne etwas verändern. Unser Ansatz ist anders: Wir gehen einfach raus und machen eben so viel wie wir gemeinsam schaffen, jeder so viel wie er kann.

Ist Wachstum gut, wenn es nachhaltig ist?

Ladach: Die Vorstellung, dass man sich nur in einem der Bereiche Ökonomie, Ökologie und Soziales engagieren muss und dann zu sagen, man sei nachhaltig, weil man beispielsweise ein betriebswirtschaftlich gutes Ergebnis vorlegt oder zufriedene Bürger über die tarifliche Lohnerhöhungen produziert – das ist zu kurz gedacht. Von den Ökosystemen hängt alles ab. Die Basis für alle wirtschaftlichen und sozialen Systeme sind immer die natürlichen Lebensgrundlagen. Ohne sie ist alles nichts.

Dann zur Ausgangsfrage zurück: Wenn es im Wald wächst, freuen Sie sich aber schon?

Ladach: Auf jeden Fall! Das frische Grün im Frühling ist ein unfassbar schöner Anblick. Es gibt nichts Schöneres als in einen Laubmischwald zu gucken, wenn der so richtig vor sich hin treibt und wächst.

Martin Ladach und das Bergwaldprojekt e.V.

Der Diplompädagoge ist beim Bergwaldprojekt e.V. Projektleiter der Waldschule. Vor elf Jahren hat er selbst sein erstes Projekt als Teilnehmer gemacht, 2010 kam er dann über ein halbjähriges Praktikum ins Team und arbeitete dann neben dem Studium beim Verein weiter mit. Mittlerweile ist Martin Ladach fester Mitarbeiter und organisiert und leitet die Waldschulwochen für Schulklassen. Er engagiert sich außerdem ehrenamtlich für die Initiative „Welt.bewusst“ Würzburg und organisiert dort seit 2010 die „Konsumkritischen Stadtrundgänge“ mit. Bei der Landesgartenschau hält er am Freitag, 1. Juni, um 17.30 Uhr einen Vortrag „Gegen unbegrenztes Wachstum“.

Worum geht's beim Bergwaldprojekt? Die Umwelt- und Naturschutzorganisation hat das Ziel, die Wälder zu schützen und zu erhalten und ein Verständnisses für die Zusammenhänge in der Natur und die Abhängigkeit des Menschen von den natürlichen Lebensgrundlagen zu fördern. Zu diesem Zweck arbeitet das Bergwaldprojekt mit Freiwilligen bundesweit in ausgesuchten Wäldern, Mooren und Biotopen.

Gegründet wurde das Bergwaldprojekt 1987 vom Schweizer Förster Renato Ruf und Greenpeace-Mitarbeiter Wolfgang Lohbeck. Zunächst vom WWF und Greenpeace organisatorisch und finanziell unterstützt, wurde es 1990 selbstständig. Die Organisation hat in der Schweiz die Form einer gemeinnützigen Stiftung, die unter Aufsicht des eidgenössischen Departements des Innern steht. 1993 wurde der deutsche Verein gegründet, um die in Deutschland laufenden Projekte selbstständig zu finanzieren und durchzuführen. Er hat seinen Sitz in Würzburg, bundesweit heute rund 40 hauptamtliche Mitarbeiter – und viele ehrenamtlichen Mitarbeiter und rund 2500 Förderer.

Tipps aus den Themenwochen Wachstum vom 25. Mai bis 7. Juni

* Was früher in unseren Gärten wuchs! Am Sonntag, 3. Juni, präsentiert die Raritätengärtnerei Veit Plietz aus Schwarzach von 9 bis 18 Uhr samenfeste Gemüsesorten zum Weitervermehren. Nicht nur Tomaten, Paprika und Chili, auch sehr unbekannte Nutzpflanzen und Gemüsesorten bringt Veit Plietz mit.

* Alles so schön grün? In der Blumenhalle geht es mal nicht um Blüten, sondern um Blattstrukturen: Die neue Ausstellung widmet sich der Vielfalt an Strukturen, Texturen und Farbkompositionen von Eukalyptusgrün über Myrtengrün bis Lindgrün. Bei der Planung von Gärten und der Bepflanzung von Räumen spielt das eine immer größere Rolle.

* Wenn ein Orchester wächst: Bei der „Kammermusik am Nachmittag“ am Sonntag, 27. Mai, präsentieren sich Streicher und Bläser der Hochschule für Musik. Von 14 bis 16 Uhr wird das Ensemble auf der Bühne immer größer werden – vom Trio bis zum Oktett.

Porträt Bergwaldprojekt       -  Der des Verein Bergwaldprojekt engagiert sich seit Jahren für den Schutz der Wälder – sowie Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.
Foto: Daniel Peter | Der des Verein Bergwaldprojekt engagiert sich seit Jahren für den Schutz der Wälder – sowie Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.
 
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