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WÜRZBURG
Gedenkstein für verfolgte Gewerkschafter
Gedenkstein Augustinerstraße 6: Die neue errichtete Tafel erinnert an die Besetzung des Gewerkschaftshauses am 10. März 1933 durch die Nationalsozialisten.
Foto: Wolfgang Jung | Gedenkstein Augustinerstraße 6: Die neue errichtete Tafel erinnert an die Besetzung des Gewerkschaftshauses am 10. März 1933 durch die Nationalsozialisten.
Wolfgang Jung
Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 11.03.2014 18:51 Uhr

Vor 81 Jahren vernichteten die Nationalsozialisten die Würzburger Arbeiterbewegung. Im Morgengrauen des 10. März 1931, gegen 6.30 Uhr, zerschlugen SS- und SA-Männer die Fenster des Gewerkschaftshauses in der Augustinerstraße 6, traten den Hintereingang ein, durchsuchten das Haus, beschlagnahmten, so berichtete der Würzburger Generalanzeiger, „einige Zentner Flugblätter, Zeitungen, Plakate und sonstiges Propagandamaterial“ und hissten auf dem Dach die Hakenkreuzfahne.

Jetzt setzte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vor das Anwesen Augustinerstraße 6 einen Gedenkstein ins Pflaster. Darauf steht: „Hier stand bis 1933 das Haus des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB). Es wurde von den Nazis besetzt und enteignet. Gewerkschaften wurden in Konzentrationslager verschleppt und ermordet.“

Die Geschichte der Würzburger Arbeiterbewegung ist kaum präsent in der lokalen Geschichtsschreibung und im Straßenbild. Die Stadt vernachlässigt die Erinnerung an die Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten, die Kämpfer für die Arbeitnehmerrechte und Gegner der Nazis. In der dreibändigen „Geschichte der Stadt Würzburg“, herausgegeben von Ulrich Wagner, dem Leiter des Stadtarchivs, wird beispielsweise der Fußballer Bernhard Winkler erwähnt, nicht aber Franz Wirsching, der Sekretär des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Würzburg, der 1945 im KZ Dachau ermordet wurde.

Beklagen dürfen sich die Gewerkschafter über die städtische Geschichtsverdrängung und -vergessenheit nicht. Jahrzehntelang versäumten sie selbst, ihre Vergangenheit zu erforschen und sichtbar zu machen. Keine konservative Stadtratsmehrheit verhinderte in all den Jahren, dass der DGB in der Augustinerstraße den Seinen ein Denkmal setzt. Die Gewerkschafter hatten es gar nicht versucht.

Der DGB hatte den KZ-Überlebenden Ernst Grube nach Würzburg eingeladen, um nach der Enthüllung des Gedenksteins über Lehren zu diskutieren, die aus dem 10. März 1933 zu ziehen seien. Grube, Jahrgang 1932, ein Münchner, kennt die hiesige Geschichte nicht. Was er im Max-Dauthendey-Saal des Falkenhauses vor rund 30 Zuhörern sagte, klang trotzdem, als forderte er die Würzburger Gewerkschafter und Linken auf, Versäumtes nachzuholen: „Wir müssen das Erbe, das uns die politischen Opfer und Kämpfer hinterlassen haben, übernehmen.“ Die Erinnerungsarbeit sei „eines der wichtigsten Dinge, die wir machen.“

Ein junger Mann saß mit Grube am Tisch, als „junger Antifaschist“ mit Namen „Tobi“ vorgestellt, und der DGB-Rechtssekretär Klaus Franz. Tobi wollte seine Identität aus Gründen des Selbstschutzes nicht preisgeben.

Der Moderator, DGB-Sekretär Norbert Zirnsak, führte einen Satz von Max Horkheimer in die Diskussion ein: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ Grube reagierte reserviert. Ihm, dem Sohn eines kommunistischen Protestanten und einer Jüdin, sind solche Diskussionen viel zu weit weg von der Realität. Er sieht „die Hauptgefahr in der immer stärkeren Durchsetzung der Bevölkerung mit antidemokratischen Gedanken“. Er verwies auf Untersuchungen der Friedrich-Ebert-Stiftung, nach denen Antisemitismus und Rassismus weit verbreitet sind in der Bundesrepublik.

Franz stimmte zu, betrachtete den Faschismus als „Rettungsanker des Großkapitals“ und fand Zustimmung bei Tobi. Franz bestätigte das mit dem „Eindruck, dieses Gedankengut gibt es auch bei unseren Mitgliedern.“ Besonders unter jenen, die „an die Wand gedrückt“ seien durch Hartz IV und Dauerarbeitslosigkeit sei Ausländerfeindlichkeit besonders verbreitet. Er hält „Bewusstseinsarbeit auch in unseren Reihen für nötig“. An den Stammtischen und in den Betrieben Flagge zu zeigen, sei antifaschistische Arbeit. „Da haben wir noch Nachholbedarf.“

„Wir müssen das Erbe, das uns die politischen Opfer und Kämpfer hinterlassen haben, übernehmen.“
Ernst Grube KZ-Überlebender

Tobi, dem jungen Antifaschisten, steht der Sinn vor allem nach praktischer Aktion wie dem Blockieren von Nazi-Aufmärschen. Die Gegner der Rechtsradikalen dürften sich nicht spalten lassen in gute und in böse Demonstranten. Er verwies auf Dresden, wo 2009 und in den Folgejahren tausende Bürger erfolgreich Umzüge von Nazis blockierten.

Grube hält all das für wichtig, aber es geht ihm nicht weit genug. Aus der Weimarer Republik sei zu lernen, „dass ein großer Teil des Bürgertums auf Seiten der Nazis war“. Demokraten müssten sich fragen: „Wie ist das heute mit dem Bürgertum? Wo haben wir unsere Drähte dazu?“ Sein Schlusswort schien der alte Manne noch einmal auf Würzburger Gewerkschafter zu münzen, die zwar in den Betrieben, aber nicht im öffentlichen Leben präsent sind: „Um Bewusstsein zu ändern, muss ich bei den Menschen sein, die das Bewusstsein noch nicht haben.“

 
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