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WÜRZBURG
Gedenken: Töne, die an Auschwitz erinnerten
Joachim Fildhaut
 |  aktualisiert: 31.01.2017 03:39 Uhr

Der Komponist Klaus Hinrich Stahmer hatte eine überzeugende Idee: Würzburg könne den Nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus mit Vertonungen der Dichterin Nelly Sachs begehen. Der regionalen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit leuchtete das ein.

Es folgte eine „wunderbare“ Zeit der Vorbereitung, so der katholische Gesellschafts-Vorsitzende Burkhard Hose beim Konzert am Donnerstag, dem Vorabend des Gedenktags, im jüdischen Gemeindezentrum Shalom Europa.

Die knapp 50-jährige Jüdin Sachs konnte 1940 unmittelbar vor ihrem Abtransport in ein Konzentrationslager nach Schweden fliehen. Ihren heimlichen Geliebten, einen Widerstandskämpfer, hatten die Nazis da bereits verschwinden lassen. Diese Erfahrungen veränderten das – zuvor recht romantische – Literaturwerk der höheren Tochter Sachs so eindrücklich, dass sie 1966 den Nobelpreis erhielt.

Zutiefst traumatisiert, Überlebende, Zeitzeugin, verarbeitete sie ihr Leben auf gewissermaßen unsterblichem Abstraktionsniveau zur Kunst: Wenn in der Diskussion um deutsche Erinnerungskultur darüber nachgedacht wird, wie man das Holocaust-Gedenken nach dem Alterssterben von KZ-Überlebenden fortsetzen könne, dann weist der Würzburger Nelly-Sachs-Liedabend einen höchst gangbaren Weg.

Sieben Lieder wurden eigens für die Gedenkfeier in Würzburg geschrieben, drei davon sogar von einem der ganz Großen in der Neuen Musik, Wolfgang Rihm. Einen weiteren kleinen Zyklus komponierte Alexander Muno, der eigens zum Konzert in seine frühere Studienstadt am Main gereist war. Und damit nicht genug an musikgeschichtlicher Besonderheit: Annette Schlünz, eine Assistentin des radikalen Tonsetzers Udo Zimmermann, arrangierte eine Szene des Tanzstücks „Abschieds-Schaukel“ für kleine Besetzung und damit für die Dimension dieses Würzburger Abends um.

Für etliche Berühmtheiten griff der heimische Pianist Alexander Fleischer bereits in die Tasten. Mit seiner sehr fortgeschrittenen Schülerin Esthea Kruger wechselte er sich ab in der Begleitung von vier Gesangsstudentinnen und einem -studenten, die die schwierigen Verse Nelly Sachs? und die ebenso schwierigen Melodien hörbar machten.

Klaus Hinrich Stahmer, der selbst ein Klavierstück beisteuerte, erläuterte das Leben und einige Grundzüge des Sachsschen Werkes. Stahmer hob eine Gemeinsamkeit der sehr verschiedenartig angelegten Lieder hervor: „Die intensive Sprache macht es schwer, die Wörter ausschwingen zu lassen.“ Sein Hörmodell verlangt nicht, Zeilen wie „Durch den Flammenkern der Erde wurdest du gereicht, Abschiedswebe in der Vergänglichkeiten Maß“ gleich zu begreifen. Ihm geht es darum, „diese Werke an sich heran zu lassen“, über deren Metaphern man „lange nachdenken“ könne.

Das trifft auch auf einen Satz zu, den Burkhard Hose am Donnerstag in seiner kurzen Ansprache zitierte. Der vor knapp drei Wochen verstorbene Soziologe Zygmunt Baumann bezeichnete Auschwitz „nicht als Bild an der Wand, sondern als Fenster, durch das Dinge sichtbar wurden, die normalerweise unentdeckt bleiben“.

Der Träger des Würzburger Friedenspreises, Hose, betonte, Auschwitz stehe „für das Leid, das Menschen anderen Menschen zufügen können, nicht nur für die Nazi-Verbrechen“. Aber eben auch für diese. Weswegen er sich ausdrücklich gegen eine „erinnerungspolitische Wende“ richtete.

 
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