Kennen Sie den Roman „Der Bildschnitzer von Würzburg“? Wenn Sie vermuten, dass es sich um eine literarische Beschreibung des Lebens von Tilman Riemenschneider handelt, so liegen Sie absolut richtig. Wer aber hat das Werk geschrieben und wann, wissen Sie es?
Immerhin hat die Stadt Würzburg eine Straße nach dem Verfasser benannt, die sogar Hausnummern hat. Ich spreche über die August-Sperl-Straße in Frauenland. Sperl, kein großer Schriftsteller, von Hause aus Archivar, schrieb den Roman 1925 zum 400. Jahrestag der Bauernkriege. Er hatte mit dem Buch gewissen Erfolg, den er kaum genießen konnte. Er starb im Jahr darauf. Lange her – und vergessen? Sicher, Sperls Stoff geht weit zurück, und seine Sprache ist mehr als antiquiert, Teil des literarischen Erbes ist er dennoch. Doch wer kümmert sich darum?
Vor kurzem war in dieser Zeitung lesen, dass im 81. Jahr ihres Bestehens die Max-Dauthendey-Gesellschaft aufgelöst werden muss, weil sich niemand findet, der den Verein fortführen kann bzw. will. Schon 1993 war der Versuch gescheitert, die kaum mehr als zehn Jahre existierende Leo-Weismantel-Gesellschaft zu erhalten. Bei Max Mohr und Yehuda Amichai gab es nicht einmal entsprechende Versuche, Bemühungen um Felix Fechenbach sind lange her. Und alle hier Genannten haben, anders als Sperl, einen über die Region hinausgehenden Rang.
Somit verbleibt als einziges die Leonhard-Frank-Gesellschaft. Muss es aber nicht zu denken geben, dass bereits seit vier Jahren an der Spitze dieser Gesellschaft ein Nicht-Würzburger steht, und der Vorstand der Vereinigung nicht einmal komplett besetzt ist?
Es ist paradox: Das Interesse an Literatur ist in Würzburg und Umgebung überdurchschnittlich, Bibliotheken und Pädagogen machen eine gute Arbeit, die sich keineswegs nur mit der Gegenwartsliteratur befasst. 2014 bewirkte die Aktion „Würzburg liest ein Buch“ eine euphorische Dynamik. Um das literarische Erbe bemühen sich jedoch nur Einzelne, in der Regel ehrenamtlich, bis es nicht mehr geht, wie jetzt bei der Dauthendey-Gesellschaft.
Der moderne literarische Verein kann nicht mehr so funktionieren wie im 19. Jahrhundert. Er muss sich öffnen und seinen Gegenstand bzw. Protagonisten in ein Verhältnis zur Gegenwart bringen, wenn er überleben will. Service und Nützlichkeit sind heute wichtige Kriterien für die Perspektiven eines Kulturvereins. Die klassische Arbeit am literarischen Erbe gerät ins Hintertreffen, sie kann nicht mehr länger den Zufälligkeiten ehrenamtlicher Arbeit unterworfen bleiben. Das bedeutet, dass in die Erbe-Arbeit investiert werden muss, will man vermeiden, dass immer mehr Schriftsteller in Vergessenheit geraten.
Auch die Leonhard-Frank-Gesellschaft braucht mehr Engagierte. Vieles muss unerledigt liegen bleiben, weil Kapazitäten fehlen. Längst wissen wir viel mehr über Franks Leben, als wir veröffentlichen konnten, auch Ideen gibt es mehr als genug. Sich zusätzlich um andere Würzburger Schriftsteller des 20. Jahrhunderts zu kümmern ist einfach nicht möglich.
Was kann getan werden?
1. Vergangenes Jahr produzierten Schüler der Leopold-Sonnemann-Realschule in Höchberg einen Flyer mit Erinnerungspunkten zu Frank und einem kleinen Stadtplan. Wir von der Leonhard-Frank-Gesellschaft haben ein bisschen technisch assistiert und den Druck finanziert, es kostete nicht die Welt. Nach kürzester Zeit war der Flyer vergriffen. Diese Idee ließe sich durchaus mit erweitertem Konzept wiederholen. Es wäre ein informatives Angebot für Würzburger wie für die wachsende Zahl der Besucher der Stadt.
2. Es gibt eine Idee, die vor längerer Zeit Hans Steidle vorgebracht hat und die sich bei ihm auf die Leonhard-Frank-Promenade und deren Namenspatron bezog. Die Idee war, in gestalteter Form Zitate anzubringen, ihre Realisierung scheiterte auch an der Skepsis, dass dies Vandalismus hervorrufen könnte.
Man muss das sicherlich bedenken. Aber könnte nicht trotzdem seitens der Kulturverwaltung wenigstens ein in diese Richtung gehender Ideenwettbewerb gestartet werden, der auch das kreative Potenzial der Stadt einbezieht?
3. Wenn man das literarische Erbe erhalten will, muss man es zeigen können. Es bedarf einer musealen Form. Das ist weder vom Arbeitsaufwand, noch von der Finanzierung her eine Kleinigkeit. Auch die beste Literaturgesellschaft ist mit so einer Aufgabe überfordert, hier bedarf es professioneller Führung.
Aber lassen Sie uns darüber reden, über den Zeitrahmen, über Träger- und Finanzierungsmodelle. Eventuell muss eine Literaturstiftung Unterfranken gegründet werden. Damit am Ende mindestens ein literarisches Kabinett entstehen kann, in dem auch Dauthendey seinen sichtbaren Platz hat. Ich kenne da jemanden, der dann auch gerne das eine oder andere aus seiner bislang privaten Sammlung zur Verfügung stellen würde.
Michael Henke lebt in Berlin und ist seit vier Jahren Vorsitzender der Würzburger Leonhard-Frank-Gesellschaft.