Zum Berliner Ring findet jeder Würzburg auch ohne Navigationsgerät. Doch viele wissen gar nicht, dass in einem der Gebäude dort einer der großen Spieler auf dem Weltmarkt in Sachen Navigation und Routenplanung sitzt – die Firma Navigon, die mittlerweile Garmin Würzburg heißt.
Im Beethoven-Center hat die Firma Räume über mehrere Stockwerke. Modern eingerichtete Büros mit Bildschirmen auf den Schreibtischen und einige Besprechungszimmer. Einzig die Testabteilung fällt aus dem Schema üblicher Büros heraus – mehrere große Räume, vorgestellt mit Monitoren, Servern und Kabeln. „Wir produzieren in Würzburg nichts, hier ist die Softwareentwicklung, Vertrieb und Produktmanagement“, sagt Johannes Angenvoort.
„Als ich 1998 dort als Praktikant angefangen habe, war das eine kleine Klitsche mit etwa 20 Mitarbeitern“, erinnert sich Angenvoort. Heute ist er Geschäftsführer der Garmin Würzburg GmbH. Das US- Unternehmen Garmin – offizieller Firmensitz ist aber die Schweiz – kaufte 2011 Navigon auf.
Notebook als Navi
Die Firmengeschichte von Navigon war sehr bewegt. Sie begann 1991 in Würzburg mit der Gesellschaft für digitale Kartographie CIS, einer Firma für Geo-Informationssysteme. Dort wurde 1996 die erste Software für dynamische GPS-Navigation entwickelt. Allerdings nicht für ein kleines „Navi“, wie man es heute kennt. Die Software „Autopilot“ war für Notebooks gedacht, die Position wurde mit einem externen Empfänger für die GPS-Satellitensignale bestimmt. Das Programm berechnete aktuell die jeweilige beste Route zum Zielpunkt. „Das kann man sich heute kaum noch vorstellen, da hatte man das Notebook als Navi auf dem Beifahrersitz“, sagt Johannes Angenvoort. CIS schloss sich 1998 mit der Firma GPS Gear zusammen – zur Navigon GmbH.
Kurz darauf wurde Navigon von Alexander Falk aufgekauft. Der Erbe des Falk-Kartenverlags begann damals mit dem Aufbau eines Hightech-Firmenimperiums, unter dem Dach der schweizerischen Distefora-Holding. Die Navigon GmbH wurde in Distefora Navigation GmbH umbenannt.
„Wir waren nie so richtig verbandelt mit Distefora und machten mehr unser eigenes Ding“, erinnert sich Angenvoort. So lange die Zahlen stimmten, war Falk zufrieden. Von einer „Klitsche“ konnte man bei Distefora Navigation nun nicht mehr sprechen, die Zahl der Mitarbeiter stieg in der Zeit auf etwa 200 an. Technisch legte die Firma weiterhin vor. Im Jahr 2000 entwickelte sie in Würzburg das weltweit erste mobile Navigationssystem für den Pocket PC von Windows.
Um die Jahrtausendwende begann die Finanzblase der neuen Internetfirmen zu platzen. Das traf auch die Distefora Holding. Der Würzburger Navigationsbereich wurde von Peter Scheufen in einem so genannten Management Buy-Out aus dem Distefora-Konzern herausgekauft – für einen Euro. Und die Firma bekam ihren vertrauten Namen Navigon zurück.
Als das Licht fast ausging
Der Navigationsbereich boomte in den folgenden Jahren, Navigon entwickelte neue Produkte. „Wir haben Innovationen schon immer gefördert“, sagt Angenvoort. So entstand in Würzburg auch das erste mobile Navigationssystem für Autos, dass Stauerkennung über den Traffic Message Channel (TCM) anbot – digitale Verkehrsinformationen, die beispielsweise über den Radiosender empfangen werden.
Finanziell ging Navigon – mittlerweile in eine Aktiengesellschaft umgewandelt - ab 2006 langsam die Puste aus. Die Firma versuchte sich auf dem US-Markt zu etablieren – mit hohem finanziellem Aufwand, aber mit wenig Erfolg. Angenvoort erinnert sich an eine Situation aus diesen Jahren. Ein Kollege traf im Aufzug des Gebäudes am Berliner Ring einen Mitarbeiter der WVV. Auf die Frage, zu welcher Firma der Mann denn wolle, sagte dieser: „Zu Navigon. Ich soll da den Strom abstellen.“ Das Unternehmen konnte damals nicht mal die Stromrechnung bezahlen, obwohl seine Navigationssysteme bei europäischen Käufern sehr beliebt waren. „Das war schon verrückt. Unsere eigenen Konkurrenten wie Medion, Panasonic oder Becker kauften unsere Navigationssoftware ein, um sie auf ihren Geräten laufen zu lassen“, erinnert sich Angenvoort.
Doch der Versuch, auch auf dem US-Markt Fuß zu fassen, kostete Navigon zu viel Geld. „Das lief für uns nicht so toll“, so der heutige Geschäftsführer, „der Markt der mobilen Navigationssysteme war damals hart umkämpft“. Konkurrent Tomtom habe damals viele Millionen in das Marketing in den USA gesteckt und sich durchgesetzt.
Finanzielle Rettung kam von General Atlantic, einer privaten Investmentfirma aus den USA. Die war schon seit 2005 zu etwa 25 Prozent an Navigon beteiligt. Zur Rettung des Unternehmens übernahm General Atlantic drei Jahre später 90 Prozent der Anteile an Navigon.
Übernahme durch Garmin
2011 wurde das bisher letzte Kapitel in der bewegten Besitzergeschichte Navigons aufgeschlagen – die Firma wurde von Garmin gekauft. Die Spezialisten für GPS-Technik waren schon seit mehreren Jahren an Navigon interessiert. Denn so schwierig die finanzielle Situation der Würzburger auch manchmal gewesen sein mag, die Innovationskraft der Entwicklungsabteilung war hoch. „Wir haben ein kleines Team, das dadurch schnell und flexibel entwickeln kann“, erklärt Johannes Angenvoort. Und ähnlich wie bei Garmin sei bei Navigon die Entwicklungsabteilung und das Produktmanagement strikt getrennt, was die Übernahme erleichtert hat.
Den Vorteil einer kleinen und motivierten Entwicklermannschaft für die Navigations-Software zeigt Angenvoort ein einem Beispiel. Beim Erscheinen des ersten iPhone auf dem deutschen Markt wollte die Telekom dafür eine „Killer-App“, ein attraktives Programm für das Smartphone. Navigon sollte eine mobile Navigations-App für das iPhone programmieren. „Wir schätzten die Entwicklungszeit großzügig auf etwa ein Jahr“, erinnert sich Angenvoort, damals noch Leiter der Entwicklungsabteilung von Navigon. Doch die Telekom wollte die fertige App schon drei Monate später haben, um schon im laufenden Jahr die iPhone-Verkäufe zu beschleunigen. So wurde bei Navigon gefragt, wer an dem Hochdruck-Projekt mitarbeiten will. Kaum ein Mitarbeiter hatte schon einmal für das damals neue iPhone programmiert. „Wir machten den Entwicklern klar, dass das kein Spaziergang wird und sie – übertrieben gesagt – Tag und Nacht arbeiten müssten.“ 25 Programmierer meldeten sich freiwillig für das Projekt, fünf wurde dafür ausgewählt – und nur elf Wochen später war die Navigon-App für das iPhone fertig.
Wenig Entwickler aus Würzburg
Durch die Übernahme durch Garmin änderte sich einiges. Die Entscheidungen für das Unternehmen werden jetzt in den USA getroffen, die Wege wurden dadurch – und durch die Größe der Firma – länger. „Das war schon eine Umstellung“, so Angenvoort, der zum Geschäftsführer der Garmin Würzburg GmbH wurde – Navigon blieb nur noch als Markenname für die Produkte.
Die Palette der Produkte hat sich erweitert. Natürlich entwickelt nun auch Garmin in Würzburg noch Navigationssysteme. In etlichen Autos – beispielsweise der E-Klasse von Mercedes oder vielen VW-Modellen – sind sie serienmäßig integriert. Seit zwei Jahren wird in Unterfranken aber auch noch der Vertrieb und das Produktmanagement der Garmin-Fitnessarmbänder abgewickelt – für die ganze Welt. Keine Fitnessarmbänder für Endkunden, sondern komplette Pakete mit Gesundheitsplattformen im Netz für Großkunden wie Krankenkassen oder Unternehmen.
240 Mitarbeiter aus 30 Nationen arbeiten bei Garmin Würzburg. Doch trotz der Universität und der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg ist es für die Firma nicht leicht, vor Ort gute Entwickler zu bekommen, sagt Johannes Angenvoort. „Würzburg ist kein IT-Standort, es gibt nur wenige Studenten, die hier bleiben.“ Doch auch gute Leute innerhalb Deutschlands nach Würzburg zu locken, sei nicht leicht – darum kommen viele der aktuellen Mitarbeiter aus dem Ausland.
Firmendaten
Firma: Garmin Würzburg GmbH (ehemals Navigon)
Eigentümer: Garmin Ltd.
Gründungsjahr: 1991
Standorte: Würzburg, Klausenburg (Rumänien), Chicago (USA)
Niederlassungen: Europa, Asien und Nordamerika
Mitarbeiterzahl: 240
Umsatz: keine Angabe
Hauptprodukte: Navigationssysteme und Fitnessarmbänder
Homepage: www.navigon.com