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Würzburg
Gambia, Corona und der Traum einer jungen Würzburgerin
Shiloe Mokay-Rinke lebt und arbeitet seit drei Monaten in Westafrika. Die Pandemie stellt auch dort vieles in Frage, allerdings nicht ihre Überzeugungen.
Shiloe Mokay-Rinke lebt in Westafrika - und bleibt trotz der Corona-Pandemie dort.
Foto: Cinatrix Media | Shiloe Mokay-Rinke lebt in Westafrika - und bleibt trotz der Corona-Pandemie dort.
Shiloe Mokay-Rinke
 |  aktualisiert: 05.04.2020 02:10 Uhr

Die staubige, schmale Straße ist fast leer, als ich zur Arbeit fahre. Links und rechts davon säumen Geschäfte den Weg – viele von ihnen sind geschlossen. Wo man normalerweise zwischen den im westafrikanischen Gambia üblichen gelben Taxis mit grünen Streifen, weißen Vans und sonstigen Autos im Stau steht, trifft man nun nur auf vereinzelte Verkehrsteilnehmer. Selbst die in verschiedene Himmelsrichtungen gestreckten Finger, die einem Taxifahrer anzeigen sollen, in welche Richtung deren Besitzer gerne fahren möchte, sieht man kaum. Auch ohne eine genaue Frage zu formulieren reagiert der Mann, in dessen Auto ich sitze mit nur einem Wort: "Corona".

Ich wohne in Kololi. An einem normalen Tag brauche ich für den Weg zur Arbeit etwa eine Stunde. Nach einem 15-minütigen Fußweg zur sogenannten Manjai Junction hoffe ich darauf, einen Van zu finden, der in die entsprechende Richtung fährt. Feste Fahrpläne, wie man sie aus Deutschland kennt, gibt es hier nicht. Losgefahren wird, wenn das Fahrzeug voll ist. Voll – das bedeutet in diesem Fall, dass sich zehn bis fünfzehn Personen äußert unbequem mit unvermeidlichem Körperkontakt ins Fahrzeug zwängen. Acht Dalasi, umgerechnet 15 Cent kostet die Fahrt.

Ich fahre nach Westfield, einer Art Sammelstelle für den Nahverkehr, und steige dort um. Überall Menschen, bunte Farben, Fahrzeuge und Essensstände. Was einem Toubab, einem Weißen, wie ein großes Chaos erscheint, hat doch Struktur. Weiter geht es also nach Backau, nachdem ich einen Fahrer finde, der diese Richtung wie ein Marktschreier ankündigt. Ich muss mich beeilen, habe ich gelernt, um noch einen der begehrten Plätze zu bekommen. Der Staub, die Hitze, die Enge – Schweiß ist mein alltäglicher Begleiter, Durst seine kleine Schwester. Bereits jetzt im März steigt das Thermometer auf fast 40 Grad Celsius.

Die ehemalige britische Kolonie Gambia liegt an der westafrikanischen Atlantikküste. Das winzige, langgestreckte Land hat mit dem Senegal, der es umschließt, nur einen einzigen Nachbarn. Seit fast zehn Jahren komme ich nun regelmäßig in die junge Demokratie, die bis 2016 von dem Diktator Yahya Jammeh regiert wurde. Meistens organisiere ich dabei einen dreiwöchigen Aufenthalt für Gaststudierende meines ehemaligen amerikanischen Colleges. Diesmal ist aber alles anders. Trotz Ehemann, trotz Familie und Freunden auf anderen Kontinenten bleibe ich dauerhaft – für ganze zwei Jahre.

Haltestellen? Gibt es nicht. Möchte man aussteigen, sagt man "Maiy ma fii" (hier ist meine Haltestelle). Das ist Wolof, eine der häufigsten einheimischen Sprachen. Ansonsten kommt man aber auch gut mit Englisch zurecht. Dann bin ich da, beim weißen Gebäude, in dem man Cinatrix Media findet, die Firma, deren Managing Director ich nun bin. Gegründet wurde sie von Abdoulie B. Jarju, einem Einheimischen, vor fünf Jahren. Nachdem ich Anfang Januar 2020 meine Doktorarbeit über die Integration geflüchteter Frauen in Deutschland an der Universität Würzburg abgegeben habe, kümmere ich mich nun um Dokumentar- und Kurzfilme, Musikvideos, Werbeauftritte und die Zusammenarbeit mit Nicht-Regierungsorganisationen.

Coronavirus verhindert vielleicht Doktorarbeit

Es wäre übertrieben zu behaupten, das alles hätte ich jahrelang geplant. Ich habe gelernt zu schätzen, dass das Leben oft unvorhersehbar ist und dass man Wandel nicht als Problem, sondern als Chance begreifen sollte. Auch jetzt, wenn das allgegenwertige Coronavirus möglicherweise verhindert, dass ich meine Doktorarbeit wie geplant in den kommenden Monaten verteidigen kann, um anschließend als Dozentin an der hiesigen Universität beginnen zu können.

Shiloe Mokay-Rinke (rechts) mit Mariama Jammeh.
Foto: Cinatrix Media | Shiloe Mokay-Rinke (rechts) mit Mariama Jammeh.

Corona – auch in Gambia haben diese sechs Buchstaben in kürzester Zeit alles verändert. Die Toubabs sind hier die Gefahr, die die Seuche ins Land bringen. Eine Frau aus England wurde am 17. März als erste positiv getestet. Nun also kein Warten, kein Gedränge an den Vans, kein Stau auf dem Weg zur Arbeit. Auch wenn die Aufklärungsarbeit hier zu wünschen übrig lässt, ist das Virus den meisten bekannt. Und die Menschen reagieren sofort – und bleiben zu Hause.

Seit dem Beginn der Pandemie habe ich das Gefühl, als wäre das alles eher Film als Wahrheit. Mein Mann erzählt mir davon, wie in Würzburg und Deutschland das öffentliche Leben durch Verordnungen zum Erliegen kommt, dass Supermärkte leergekauft und Grenzen geschlossen werden. Ich sah in den Nachrichten, wie Länder wie Italien unter dem Virus leiden. Auch meine Familie rief aus den USA an und schilderte mir Ähnliches.

Mit Wasser und Reis eingedeckt

In Gambia hingegen, einem der ärmsten Länder der Welt, war die Welt noch in Ordnung, das Virus weit entfernt. Auch, als erste Fälle in Afrika bekannt wurden, nahm das Leben hier seinen gewohnten Lauf. Dennoch begannen wir vor ein paar Wochen damit uns vorzubereiten, denn wenn die Supermärkte hier leer sind, dann bleiben sie leer. Ganz zu schweigen von der mangelhaften Infrastruktur bei Medizin und Hygiene. Wir fingen an, uns mit Reis, Nüssen, Bohnen und vor allem Wasser einzudecken.

Am 17. März informierte mich die deutsche Botschaft in Senegals Hauptstadt Dakar dann schließlich per E-Mail darüber, dass Deutsche nur noch bis zum Ende der Woche die Möglichkeit hätten, das Land zu verlassen. Schwere Entscheidungen waren zu treffen, viele Gespräche mit meinem Mann folgten. Doch ich bin keine Touristin. Ich bin gekommen, um zu bleiben. Ich möchte mit dieser Firma in dieser Kultur, die ich so sehr liebe, erfolgreich sein. Also harre ich aus.

Meine gambischen Freunde hingegen rieten mir, das Land zu verlassen. "Hier ist Afrika", betonten sie. "Wir sind nicht wie Europa oder die USA. Die Leute sind anders. Es könnte zu Lebensmittelengpässen kommen. Was würdest du essen? Das Gesundheitssystem ist schlecht." Ich wusste aber, dass ich für mich die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Also nach vorne blicken und die Chancen am Horizont der Probleme suchen. So kontaktierte ich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und schlug vor, dass unsere Firma die Aufklärungsarbeit im Land online gestalten könnte. Wir rannten damit offene Türen ein, mussten aber noch auf die Bestätigung durch die Regierung warten.

Ich fahre zurück zu meinem Schlafplatz. Dieser befindet sich bei Mariama, einer guten Freundin von mir, für die wir vor zwei Jahren in Deutschland (erfolgreich) vor Gericht gezogen waren, weil man ihr ein Besuchervisum verweigert hatte, nachdem wir sie eingeladen hatten. In dem ummauerten Wohnkomplex mit flachen Häusern, in dem wir leben, befinden sich insgesamt 32 Menschen, meist Familienmitglieder. Mariama und ich teilen uns ein Zimmer und eine Matratze. Wir alle essen aus der gleichen Schüssel und trinken Wasser aus der gleichen Karaffe. Zum Duschen muss ich Wasser vom Brunnen holen. Wer kommt, wenn das Feuer schon erloschen ist, kann es nicht mehr erwärmen.

Geweckt vom Gesang vom Minarett

Meist arbeite ich lange und komme spät nach Hause. Geweckt werde ich dann leider schon um 5:45 Uhr, wenn der durchdringende Gesang vom Minarett der nächsten Moschee die Moslems, die die Mehrheit stellen, zum Gebet aufruft. Fenster kann ich nicht schließen. Eine Tür gibt es auch nicht. Privatsphäre wird hier anders interpretiert. Mein Tag beginnt mit Sport. Normalerweise würde nun bereits das Feuer für das Wasser geschürt, aber heute, nur einen Tag nach dem ersten bestätigten Corona-Fall ist etwas anders. Ich dusche wieder kalt und hole Frühstück. Pünktlich um 8:30 Uhr kommt das zwar teure, aber mittlerweile alternativlose private Taxi. Die Straße ist leer. Mein Fahrer sagt: "Corona".

Nur Abdoulie und ich sind bei der Arbeit. Die anderen Angestellten dürfen zu Hause bleiben. Ich rufe bei der WHO an. Freudig sagt mir der Mann am anderen Ende der Leitung, dass die Behörden unser Angebot angenommen haben. Es wird ab jetzt zwei Krisensitzungen pro Woche geben, bei denen ich als Vertreterin von Cinatrix Media anwesend sein soll.

Am 27. März ruft Präsident Adama Barrow offiziell den Notstand aus. Nur wenige Geschäfte dürfen geöffnet bleiben. Ab 18 Uhr müssen alle Märkte schließen. Normalerweise gibt es hier gar keine Regelungen für Öffnungszeiten. Alle Taxis und Vans dürfen nur noch halbvoll verkehren.

Abdoulie B. Jarju (rechts) und seine Kollegen bei Dreharbeiten.
Foto: Cinatrix Media | Abdoulie B. Jarju (rechts) und seine Kollegen bei Dreharbeiten.

Für uns geht es also an die Arbeit: Der erste Dokumentarfilm muss fertig werden. Wir reden mit Menschen, deren Existenzen akut gefährdet sind. Als wir mit einem Taxifahrer sprechen, der ob der ausbleibenden Kundschaft nicht mehr weiß, wie er sein Benzin bezahlen soll, bekommen wir mit, wie ein Geschäftsinhaber von der Polizei abgeführt wird, weil er seinen Laden nicht dicht gemacht hatte.

Wir fahren weiter zum größten Markt der Gegend in Serrekunda, welcher normalerweise immer völlig überlaufen ist. Jetzt ist es ruhig. Ein Geschäftsinhaber sitzt vor verschlossenen Türen und traut sich nicht, nach Hause zu gehen. "Ich habe Frau und Kinder", jammert er. "Wie soll ich für sie sorgen, wenn ich nichts verkaufen kann?" Auch sein Bruder in Deutschland kann ihm kaum helfen, da er selbst im Moment nicht regulär verdienen kann.

Der Traum einer eingedeutschten Amerikanerin

Viele Gambier sprechen nicht nur von Armut, sie sprechen von Lebensgefahr. Staatliche Unterstützung gibt es hier nicht. Ihnen könnte schnell das Geld ausgehen, für Strom, für Lebensmittel. Niemand weiß, wie sich diese Krise im Land entwickeln wird. Anfang April, wird das Parlament entscheiden, ob der Notstand für 90 Tage verlängert wird. Und mittendrin stecke also ich, eine eingedeutschte Amerikanerin, die sich die Erfüllung dieses Traumes sicherlich anders vorgestellt hat, aber dennoch dazu steht. Weil ich dazugehöre.

Vielleicht muss die Doktorarbeit warten. Vielleicht werde ich immer mal wieder an der Arbeitsauffassung meiner Kollegen verzweifeln. Vielleicht werde ich eine humanitäre Katastrophe miterleben müssen. Vielleicht wird man mir später Naivität vorwerfen.

Vielleicht werde ich so aber auf die spannendste Zeit meines Lebens zurückblicken können. Nicht weil ich Angst hatte oder zögerte, sondern weil ich ein Teil dieser Gesellschaft wurde, sie verstehen lernte, sie gestaltete und ihr diente. Weil ich nicht als Tourist dort war, sondern als Mensch – gleichwertig. Weil ich nach Jahren der universitären Mühsal und der Entbehrungen endlich einmal meiner Leidenschaft folgte.

Zur Person
Shiloe Mokay-Rinke wurde 1986 in Oneonta im US-amerikanischen Bundesstaat New York geboren. Nach dem Abschluss ihres Bachelors am Juniata College in Huntingdon, Pennsylvania, zog sie – nach einem Zwischenstopp in Frankreich – 2008 nach Würzburg und lebt seitdem dort mit ihrem deutschen Mann, den sie 2017 heiratete. Sie legte ihren Master am Institut für Politikwissenschaft der Universität Würzburg ab und promovierte schließlich zu dem Thema: "The Integration of Female Refugees in Germany: Perspectives of Women and an Analysis of Federal and Selected State and City Integration Policies from 1998-2019". Im Herbst 2019 nahm sie die deutsche Staatsbürgerschaft an. Seit dem 31. Dezember 2019 befindet sie sich nun im westafrikanischen Gambia.
 
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