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WÜRZBURG/RADOLFZELL
Füttern das ganze Jahr: Warum der Vogelprofessor dafür wirbt
Garten-Tipp: Nur wenige kennen sich mit Vögeln so gut aus wie Ornithologe Peter Berthold. Der Biologe vom Bodensee erklärt, wie man Vögel sinnvoll füttert – und warum am besten das ganze Jahr.
Frühstück für die Blaumeise       -  Solch Futter gerne das ganze Jahr über: eine Blaumeise am Meisenknödel.
Foto: Hendrik Schmidt, dpa | Solch Futter gerne das ganze Jahr über: eine Blaumeise am Meisenknödel.
Das Gespräch führte Alexander Michel
 |  aktualisiert: 02.04.2019 15:01 Uhr

Nicht nur die Insekten sind massiv vom Artenschwund betroffen, auch Vögel gibt es in Europa immer weniger. Vor allem die Pestizide der industrialisierten Landwirtschaft und die aufgeräumten, klinisch sortenreinen Landstriche und Äcker ohne Sträucher, Hecken, Tümpel und Mulden rauben Vögeln ihren Lebensraum. Da werden zwar einerseits Uhus und Störche gepäppelt, und per Webcam im Internet beobachtet. Aber die kleinen, einst allgegenwärtigen Stare, Schwalben, Lerchen und Kiebitze verschwinden – nachweislich. 60 Prozent weniger Vögel als vor 35 Jahren kreisen über Deutschlands Äckern.

Dabei ist der Vogelschutz den Deutschen offenbar etwas wert: 15 bis 20 Millionen Euro jährlich geben sie angeblich für Vogelfutter aus. Was sollte man Weichfutter-Liebhabern und Körner-Knackern am besten servieren? Wie füttert man Amsel, Drossel, Zaunkönig, Star und Rotkehlchen am besten? Wie Fink, Spatz, Dompfaff, Zeisig und Goldammer? Der vielleicht bekannteste und populärste Vogelkundler im Land, Professor Peter Berthold, gibt Tipps, welches gute Futter man leicht selber machen und mischen kann. Und warum man Vögeln das ganze Jahr über was anbieten sollte.

Frage: Herr Berthold, Sie sagen: Die Vögel sollte man nicht nur im Winter, sondern das ganze Jahr über füttern. Warum?

Prof. Peter Berthold: Ganz einfach: Weil in unserer Landschaft den Vögeln das Futter allmählich ausgeht oder bereits ausgegangen ist. Beispiel für fehlendes Winterfutter sind die Sämereien. Davon gab es früher sehr viele, weil an vielen Stellen Staudengewächse stehen geblieben sind – etwa in Hausgärten, an Wegrainen und auf Feldern, die nicht gepflügt waren. Damals gab es noch viele Wildkräuter, die man heute flächendeckend mit Herbiziden weggespritzt hat. Vor etwa 60 Jahren bestand in Deutschland allein auf den Weizenfeldern der Bewuchs zu fünf Prozent aus Wildkräutern. Das waren rund eine Million Tonnen an Sämereien, die von kleinen Tieren wie Feldmäusen und Vögeln gefressen wurden.

Und wie viel von diesen Sämereien gibt es heute?

Berthold: Der Anteil liegt bei nahezu null Prozent.

Das bedeutet doch nichts anderes als eine Hungersnot für viele Vögel . . .

Berthold: Ja, viele Vögel sind ganz einfach verhungert und ausgestorben. Wir haben in Deutschland seit dem Jahr 1800 rund 80 Prozent der damals vorkommenden Vogel-Individuen verloren. Es ist also ein Bodensatz von 20 Prozent übrig geblieben, und dass davon viele verhungert sind, liegt nicht nur an fehlenden Sämereien, sondern auch am Insektenmangel. Alle Vögel mit dünnen Schnäbeln wie Meisen, Zaunkönige und Baumläufer sammeln Larven und Fluginsekten. In den vergangenen 30 Jahren ist deren Masse aber um 80 Prozent geschrumpft.

Mit welchen Folgen?

Berthold: Manche Vogelarten kommen im Frühling aus Afrika zurück, beziehen hier einen Obstgarten und stellen fest, dass es so wenig zu fressen gibt, dass sie gar keine Eier mehr legen und Junge aufziehen können. Diese Population stirbt aus. Oder die Vögel legen zwar die Eier, haben aber kaum Futter für die Jungen. Da kann man mit einer Ganzjahresfütterung sehr viel helfen.

Welches Futter empfiehlt sich dafür?

Berthold: Wenn es sich jemand einfach machen und nur ein Grundfutter anbieten will, sind Meisenknödel das Beste – gerade im Sommer. Im Juni und Juli werden von den Vögeln Hundert Mal mehr Meisenknödel gefressen als im Winter. Im Winter schieben die Vögel eine ruhige Kugel und warten auf den Frühling. Daher brauchen sie weniger Energie und müssen nicht viel fressen. Im Sommer sieht das ganz anders aus. Da dauert der Tag von 4 Uhr früh bis abends um 22 Uhr. Die Vögel fliegen viel, müssen Futter für die Jungen holen oder das Revier verteidigen. Fliegen aber kostet 25-mal mehr Energie wie das Hüpfen auf den Zweigen. Für das Fliegen wird Fett verbrannt, und das Fett ist für die Vögel wie Flugbenzin fürs Flugzeug. Die Meisenknödel liefern das wichtige Fett.

Können sich die Vögel an den Netzen der Knödel verletzen?

Berthold: Das kommt vor, ist aber sehr selten. Wir empfehlen aus einem anderen Grund, die Plastiknetze, in denen die Knödel liegen, zu entfernen. Denn die Netze sind praktisch für Elstern, Krähen oder auch Eichhörnchen, die den ganzen Knödel im Netz gleich mitnehmen. Deshalb sollte der Meisenknödel in einem Futtergerät liegen, etwa einem Gittersilo. Manche Händler verkaufen die Knödel lose in Eimern. Der Kauf empfiehlt sich.

Viele Leute stellen gerne Futterhäuschen auf. Worauf sollte man achten?

Berthold: Das Futterhaus sollte groß und geräumig sein, damit ein Vogel gut reinfliegen kann. Auch für größere Vögel wie Eichelhäher und Ringeltaube sollte Platz sein. Kleine Vögel wollen freie Sicht haben, um zu sehen, ob sich nicht ein Sperber oder eine Katze versteckt hat und plötzlich um die Ecke biegt.

Es gibt auch Vogelfreunde, die das Futter selbst anrichten. Was eignet sich dazu?

Berthold: Als Grundfutter empfehle ich ein Körner-Mischfutter, das für den Winter gut ist, und dazu ein Mischfutter, das einen hohen Anteil an Getreideflocken enthält – je feiner, desto besser! Wem die Meisenknödel zu teuer sind, könnte sich – wenn er große Mengen verarbeiten will – über den Metzger einen Eimer Rindertalg vom Schlachthof besorgen. Die Körner-Talg-Mischung kann man langfristig vorbereiten, weil Rindertalg nicht ranzig wird. Den kann man bis zu zwei Jahre aufbewahren. Der Talg wird in einem Topf erhitzt, dann kann man Haferflocken und Körner dazugeben und alles in beliebige offene Gefäße füllen, etwa in Kokosnussschalen. Sparen kann man auch, wenn man Futterhaferflocken für Kaninchen und Meerschweinchen kauft und dazu ein wenig Sonnenblumenöl oder ein anderes Speiseöl gibt. Das ist das ideale Futter für fast alle Vogelarten.

Sind halbierte Äpfel als Futter für die Vögel sinnvoll?

Berthold: Das ist auch gut, aber nur für ganz wenige Arten – etwa für die Amsel, die Wacholderdrossel und gelegentlich für einen Grünspecht. Man muss ausprobieren, ob überhaupt Vögel kommen, die Äpfel mögen. Denn Äpfel haben wenig Nährwert, weshalb Körnerfresser nie an einen Apfel gehen.

Dieser Winter war jetzt relativ mild. Aber mal grundsätzlich: Ist es bei winterlichen Temperaturen angebracht, den Vögeln auch Wasser hinzustellen?

Berthold: Wenn Schnee liegt, muss man gar nichts machen, denn dann essen alle Vögel den Schnee. Wenn aber trockener Frost herrscht, dann unbedingt Wasser anbieten und notfalls mit einer kleinen Aquarienheizung die Wasserfläche offenhalten. Denn andernfalls fliegen die Vögel oft kleine Pfützen am Straßenrand an. Da ist aber jede Menge Streusalz drin. Das ist für die Vögel tödlich. Daher ist eine Tränke im Winter absolut wichtig.

Manchmal herrscht tagelang Hochbetrieb um das Futterhäuschen – und plötzlich lässt sich tagelang kein Vogel blicken. Was könnte die Ursache dafür sein?

Berthold: Da kann es viele Gründe geben, etwa dass die Katze vom Nachbarn einen Spatzen geholt hat. Wenn die anderen Vögel das mitbekommen, meiden sie erst einmal die Stelle. Was auch sein kann: Es ist mehrfach ein Sperber gekommen. Die jagen gerne um eine Futterstelle. Auch dann wird sie von den Vögeln ein paar Tage gemieden.

Sind das denn immer dieselben Vögel, die eine Futterstelle anfliegen?

Berthold: Ich habe mal eine Beringung durchgeführt, und das Ergebnis war außerordentlich. Wir haben in Stahringen bei Radolfzell an einem Tag in einem Garten 157 verschiedene Blaumeisen gezählt. An einer attraktiven Stelle kann es sein, dass man an einem Tag fast Tausend Vogel-Individuen zählt.

Peter Berthold

Der Biologe, Jahrgang 1939, stammt aus dem sächsischen Zittau und leitete als Professor von 1991 bis 2005 die Vogelwarte Radolfzell am Bodensee, eine Zweigstelle des Max-Planck-Instituts für Ornithologie. Peter Berthold hat zahlreiche wissenschaftliche Bücher zur Vogelkunde geschrieben, aber auch praktische Anleitungen für Leute, die nicht vom Fach sind und Vögel schützen wollen. Dazu gehört das zusammen mit Gabriele Mohr verfasste Büchlein

„Vögel füttern – aber richtig. Das ganze Jahr füttern, schützen und sicher bestimmen“, Kosmos-Verlag, Stuttgart 2012, 9,90 Euro.

Plädiert für das Ganz-Jahres-Vogelfüttern: Ornithologe Professor Dr. Peter Berthold  in seinem Element in der Vogelwarte in Radolfzell.
Foto: Angelika Wohlfrom | Plädiert für das Ganz-Jahres-Vogelfüttern: Ornithologe Professor Dr. Peter Berthold in seinem Element in der Vogelwarte in Radolfzell.
 
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