Die Vorstellung, einmal zu sterben, macht Angst. Sterben bedeutet, zunehmend hilfloser zu werden. Sich immer weniger unter Kontrolle zu haben. Schmerzen aushalten zu müssen und einsamer zu werden. Vor allem in Pflegeheimen sterben immer noch Menschen ohne optimale Versorgung.
Wie Sterbende und ihre Angehörigen in Würzburg unterstützt werden, zeigte ein Workshop der Seniorenberatungsstelle zum neuen Seniorenpolitischen Gesamtkonzept im Würzburger Rathaus auf. Was sich in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten getan hat, ist auf den ersten Blick eindrucksvoll. Das palliative Netzwerk wurde immer dichter geknüpft.
So begleiten ehrenamtliche Hospizhelfer seit 25 Jahren Sterbende in und um Würzburg. Im Mai 2001 wurde die erste Krebspatientin auf der Palliativstation des Juliusspitals aufgenommen. Acht Jahre später ging das Palliativzentrum der Uniklinik an den Start. Vor fünf Jahren machten sich dann die ersten Expertinnen der „Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung“ (SAPV) des Juliusspitals auf den Weg, um Sterbende mit komplexen Symptomen zu Hause zu betreuen.
Drei Jahre ist es her, dass das Juliusspital in Würzburg unter Leitung von Sibylla Baumann das erste Hospizhaus der Region eröffnete.
Auch sonst hat sich einiges zum Positiven entwickelt. Viel mehr Ärzte wissen heute, wie man starke Schmerzen lindern kann. Immer mehr Pflegerinnen bildeten sich in Sachen „Palliative Care“ fort. Das palliativmedizinische und -pflegerische Knowhow wuchs insgesamt stark an.
Doch all dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es weiterhin gravierende Mängel gibt. Denn an der Basis – bei Hausärzten, in Pflegeheimen und bei Sozialstationen – ist viel zu wenig Geld vorhanden, um Sterbenden und ihren Angehörigen gerecht zu werden.
Die Spezialdienste, die sich in den vergangenen Jahren so erfolgreich etabliert haben, kommen laut dem Würzburger Hausarzt Ricardo Mauser nur einer Minderheit aller Sterbenden zugute: „Höchstens 15 Prozent.“ Es gibt harte Kriterien, wer etwa vom SAPV-Team unterstützt werden kann, wer auf die Palliativstation darf und wer eines der zehn Betten im Hospizhaus bekommt. Vor allem jüngere Tumorpatienten werden in diesen Strukturen aufgefangen. Alte, chronisch kranke Menschen sind im Vergleich hierzu stark benachteiligt.
„Solange sich die Situation in den Pflegeheimen nicht verbessert, wird es keine wesentliche Veränderung in der Palliativversorgung geben“, unterstrich Ricardo Mauser.
Am guten Willen der Pflegerinnen mangelt es nicht. Doch das Budget ist zu knapp. Damit kann nicht genug Personal finanziert werden. Hinzu kommt der Fachkräftemangel und das Problem, dass immer mehr Pflegekräfte nur wenig Deutsch sprechen.
„Nachts ist eine Pflegekraft oft für zwei oder mehr Stationen zuständig“, bestätigt Elisabeth Köhler vom Würzburger SAPV-Teams. Das kann nicht gut gehen. Viele Bewohner müssen regelmäßig umgelagert werden. Immer wieder klingelt es, weil jemand auf die Toilette möchte. Zeit, sich nachts ans Bett eines Sterbenden zu setzen, ist schlicht nicht vorhanden.
Dass die Angst vor dem Sterben nicht sank, obwohl es immer mehr Spezialeinrichtungen gibt, belegen laut Psychogerontologin Elisabeth Jentschke die Suizidzahlen: „Auch in unserer Region nimmt die Suizidrate mit dem Alter zu.“
Das kann der Würzburger Krisendienst bestätigen. 159 Suizidopfer wurden in Unterfranken im Jahr 2014 registriert. Davon waren 60, also rund 38 Prozent, jenseits des 60. Lebensjahres – deutlich mehr, als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht.
Weil Pflegeheime überfordert sind, kommen Bewohner oft in ihren letzten Lebenstagen noch mal ins Krankenhaus. Auch die Ochsenfurter Main-Klinik nimmt jährlich etwa 30 sterbende Heimbewohner auf, so Gerontologin Bettina Albert. „Teilweise sind diese Patienten lange da“, berichtete sie. Bis zu 40 Tage verbringen sie in der Klinik. Auch Albert fordert vor diesem Hintergrund, die Palliativversorgung in Pflegeheimen dringend zu verbessern.
„Das Beste, was wir in der Palliativversorgung zu bieten haben, ist Zeit“, fasste SAPV-Ärztin Elisabeth Köhler zusammen. Diese Zeit, um sich intensiv medizinisch, pflegerisch, sozial, psychologisch und spirituell um Sterbende zu kümmern, fehlt im Pflegeheim. Sie fehlt in der Hausarztpraxis. Und sie fehlt den Sozialstationen.
„Im Leistungskatalog ist Palliativversorgung nicht drin“, so Alexander Rügamer vom ambulanten Pflegedienst der AWO in Würzburg. Angehörige, die ein Gespräch bräuchten, weil sie nicht wissen, wie sie mit dem sterbenden Verwandten umgehen sollen, müssten dieses Gespräch theoretisch extra bezahlen. Die ambulante Minutenpflege sieht so etwas abrechnungstechnisch nicht vor.