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Würzburg/Lohr
"Führt Patienten in die Irre": Krankenhäuser in Unterfranken ärgern sich über Lauterbachs Klinik-Atlas
Die Angaben sind oft fehlerhaft oder unvollständig, sagen Kliniken in der Region über das neue Online-Portal. Sie fordern: nachbessern – oder für immer abschalten.
Und jetzt? Blick auf ein Suchergebnis des neuen Bundes-Klinik-Atlas. Das Portal, das einfach über die Angebote von Krankenhäusern informieren soll, steht massiv in der Kritik.
Foto: Soeren Stache, dpa | Und jetzt? Blick auf ein Suchergebnis des neuen Bundes-Klinik-Atlas. Das Portal, das einfach über die Angebote von Krankenhäusern informieren soll, steht massiv in der Kritik.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 21:39 Uhr

Er soll Patientinnen und Patienten bei der Suche nach der besten Klinik als unabhängige Auskunftsquelle helfen. Doch seit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Bundes-Klinik-Atlas vor drei Wochen vorgestellt hat, hagelt es Kritik: Zu unübersichtlich, kompliziert und vor allem viel zu fehlerhaft und unvollständig sei das Portal.

Auch Kliniken in Unterfranken fühlen sich falsch dargestellt. Sie fordern wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft das Abschalten – dauerhaft oder zumindest, bis die Daten nachgebessert und komplett sind.

Fehler aus der Startphase sind teilweise behoben

Manche Fehler wurden bereits behoben, mitunter waren sie skurril: So wurde laut Uniklinik Würzburg die "Überwachung und Leitung einer normalen Geburt" vorgeschlagen, wenn man nach "Alkohol" suchte.  Auch die Notfallversorgung war zum Start nicht korrekt und präzise dargestellt, wie das Ministerium einräumt. Nach Hinweisen aus der Praxis habe man ein erstes Update durchgeführt.

Im Mai gab Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den Start des Bundes-Klinik-Atlas im Internet bekannt. Er soll fortlaufend aktualisiert werden.
Foto: Soeren Stache, dpa | Im Mai gab Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den Start des Bundes-Klinik-Atlas im Internet bekannt. Er soll fortlaufend aktualisiert werden.

Die neue Webseite www.bundes-klinik-atlas.de führt bundesweit rund 1700 Krankenhäuser auf. Schnell und verständlich soll auf dem Portal erfahrbar sein, welche Klinik welche Leistungen anbietet. Der Atlas vergleicht Krankenhäuser anhand der Anzahl von Behandlungen und der Personalausstattung. Dass sich daraus die Qualität der Behandlung ablesen lässt, daran gibt es erhebliche Zweifel, wie eine stichprobenartige Umfrage bei unterfränkischen Einrichtungen zeigt.

Kreiskliniken in Main-Spessart und Kitzingen: "Überflüssig"

Von "Fehlstart" und "Schnellschuss" ist dort die Rede. Aufgrund der teils fehlerhaften und unvollständigen Angaben könne der Atlas irreführend und für Patienten sogar gefährlich sein. "Wir halten den Klinik-Atlas in seiner aktuellen Form für ungeeignet und empfehlen seine Abschaltung" heißt es aus dem Klinikum Main-Spessart in Lohr. Man werde in dem Portal verzerrt dargestellt, so eine Sprecherin.

Wichtige Informationen zu Fachabteilungen, Behandlungen sowie Zertifikaten und Schwerpunkten würden fehlen. Die Suchfunktion sei in vielen Fällen nicht plausibel. Das neue Portal sei "überflüssig und fehlleitend". Die Kreisklinik in Main-Spessart verweist deshalb auf bestehende Verzeichnisse wie das der Deutschen Krankenhausgesellschaft.

Auf vorhandenen Plattformen werde man besser informiert, sagt auch ein Sprecher der Klinik Kitzinger Land. Der neue Atlas sei unnötig, die Darstellung der Häuser und ihrer Angebote zu komplex und für den Patienten nicht gut nachvollziehbar.

Klinikum Würzburg Mitte: Nur vier von 14 Fachzentren gelistet

Das Klinikum Würzburg Mitte (KWM) klagt darüber, nur mit vier zertifizierten Fachzentren im Atlas aufgeführt zu sein. Tatsächlich verfüge das Klinikum über 14 Fachzentren. Der Großteil – darunter das Alterstrauma-Zentrum oder die Geburts- und Kinderklinik – tauche gar nicht auf, kritisiert Sprecherin Daniela Kalb.

Recherche im Internet: So präsentiert sich der neue Klinik-Atlas, wenn man für eine Behandlung ein Krankenhaus sucht – hier am Beispiel Würzburg.
Foto: Varasano/Weiss | Recherche im Internet: So präsentiert sich der neue Klinik-Atlas, wenn man für eine Behandlung ein Krankenhaus sucht – hier am Beispiel Würzburg.

In seiner jetzigen Form führe das Portal zu Unsicherheit und Fehlinformation. Der Klinik-Atlas solle aus dem Netz genommen werden, bis Fehler korrigiert und Angaben vervollständigt sind, fordert Kalb.

Leopoldina in Schweinfurt: Aktueller Stand nicht akzeptabel

Ähnlich lautet die Einschätzung des Leopoldina-Krankenhauses in Schweinfurt. "Bereits nach wenigen Klicks ist erkennbar, wie wenig medizinische Laien mit diesem Instrument anfangen können", sagt Sprecher Christian Kirchner. Der aktuelle Stand des Portals sei weder für Krankenhäuser noch Patienten akzeptabel.

Dass rein aus der Abrechnung bisheriger Behandlungen Schlüsse für die Qualität einer Klinik gezogen werden, sei genauso wenig nachvollziehbar wie die Angaben zum Pflegepersonal. Die Berechnung des gelisteten Personalquotienten, der die Zahl der Patientinnen und Patienten pro Pflegekraft angibt, sei nicht transparent.

Uniklinik Würzburg: Gute Absicht, schlechte Umsetzung

Auch die Würzburger Uniklinik fordert eine Überarbeitung und einen Neustart des Portals unter Einbeziehung von Fachleuten aus den Kliniken und den Verbänden. Im Moment würden Diagnosen und Behandlungsverfahren oft falsch verknüpft, Bezeichnungen seien fehlerhaft, Fallzahlen teilweise falsch. 

Die Suchfunktion mache es Laien "extrem schwer, eine bestimmte Erkrankung und die richtige Behandlung zu recherchieren", sagt Sprecher Stefan Dreising. Grundsätzlich begrüße die Uniklinik die Idee des Klinik-Atlas. Handwerklich sei er aber schlecht und "offenbar unter hohem Zeitdruck" gemacht.

Rhön-Klinikum Bad Neustadt: "Erheblicher Rückschritt"

Aus Sicht des Rhön-Klinikums in Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) bietet der Klinik-Atlas interessierten Bürgerinnen und Bürgern "keinerlei Nutzen und enttäuscht auf mehreren Ebenen". Gegenüber bestehenden Verzeichnissen sei er ein "erheblicher Rückschritt", sagt Sprecherin Katrin Schmitt. Die Zahl von Betten oder Personal besage wenig über die Qualität einer Klinik. Informationen seien teilweise falsch, manche Standorte gar nicht erfasst.

Die Helios-Kliniken in Bad Kissingen und Hammelburg befürworten laut Sprecher Markus Höppner im Sinne der Patienten zwar eine bessere Vergleichbarkeit von Kliniken. Die aktuelle Datenlage im Atlas sei allerdings "ausbaufähig".

Sozialverband VdK will Portal beibehalten 

Nach der Kritik von Krankenhäusern hat die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach aufgefordert, den Klinik-Atlas sofort abzuschalten. Der Sozialverband VdK spricht sich dagegen deutlich für das Weiterführen aus: Patientinnen und Patienten hätten ein Recht auf unabhängige Information, betonte Präsidentin Verena Bentele in einem Brief an den Gesundheitsminister. Um das Vertrauen der Bevölkerung in den Atlas zu gewinnen, müssten Daten dringend aktualisiert und Fehler behoben werden. Da seien auch die Kliniken selbst gefordert.

 
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