zurück
OCHSENFURT
Freaks am Brett: Gekommen um zu spielen
Wo echte Fans zusammentreffen, wird stunden- und nächtelang gespielt. Warum und wieso und was macht das mit uns? Besuch beim Ochsenfurter Spieletreff, Tipps inklusive.
Spielfreunde treffen sich einmal im Monat im Bürgerhaus Rote Schule am Kirchplatz in Ochsenfurt. Die Ochsenfurter Spielebaustelle bietet regelmäßig offene Spieleabende an.PATTY VARASANO
Foto: Foto: | Spielfreunde treffen sich einmal im Monat im Bürgerhaus Rote Schule am Kirchplatz in Ochsenfurt. Die Ochsenfurter Spielebaustelle bietet regelmäßig offene Spieleabende an.PATTY VARASANO
Catharina Hettiger
 |  aktualisiert: 27.04.2023 03:27 Uhr

Spiele haben Konjunktur: In Deutschland verbringen 5,4 Millionen Menschen regelmäßig ihre Freizeit mit Gesellschaftsspielen. Viele der in Deutschland entwickelten Brett-, Karten- und Strategiespiele sind ein Exportschlager. „German games“ gelten weltweit als Qualitätssiegel, Deutschlands Spielekultur als herausragend. Doch was macht ein gutes Spiel aus? Kann jeder spielen? Und bringt Spielen auch was fürs Leben? Antworten haben wir in Ochsenfurt bei echten Fans gesucht.

An jedem ersten Donnerstag im Monat treffen sie sich abends in der „Roten Schule“. Im Klassenzimmer sitzen sie bei Neonlicht konzentriert an Schultischen und probieren neue Spiele aus. Stundenlang. Ein harter Kern von etwa sieben Spieleverrückten, zu dem immer wieder Neue dazustoßen: Das ist der „Offene Spieletreff“. Hervorgegangen ist er aus der „Ochsenfurter Spielbaustelle“, einem Verein, der seit 1995 besteht.

Neue Spiele werden getestet

Winfried Betz, Mitinitiator beider Spiele-Initiativen, betritt den Raum und wuchtet eine Kiste mit Spielen auf den Tisch, viele davon noch originalverpackt. Nach und nach trudeln andere Stammspieler ein, interessiert werden die mitgebrachten Schachteln begutachtet, die Figuren ausgepackt und aufgebaut, dann vertiefen sich einige in die Spielregeln. Hier sind Routiniers am Werk. Thomas Siegmund ist seit Entstehung des Treffs mit von der Partie, Katja Scheuble kam auf Empfehlung einer Freundin dazu. Und in Tanja Krinkes Familie gehört Spielen zum Abendritual nach dem Essen. „Meine Kinder sind sieben und neun Jahre alt, die werden rangezogen“, sagt die 45-Jährige und lacht. Bernhard Heinisch, der sich selbst „Freak“ in Sachen Spiele nennt, ist in mehreren Spieletreffs aktiv. „Am Wochenende spiele ich auch Spiele, die bis zu sechs Stunden dauern.“

Das ruft bei Siegmund Erinnerungen hervor: „Als ich ein Kind war, durfte zum Beispiel Monopoly fast nie zu Ende gespielt werden. Da hieß es dann immer, 'Jetzt geht's ins Bett!'“ Um Traumata wie diese zu lindern, gibt es mittlerweile zahlreiche Spieltreffs, bei denen auch nachts oder ein ganzes Wochenende über gespielt wird. Wie bei der Langen Nacht der Spiele, die der Ali Baba Spieleclub – mit über 600 Mitgliedern der größte Spieleclub in Deutschland – bundesweit veranstaltet, unter anderem in Nürnberg.

Statt Fernsehabend lieber zum Spieletreff

Vergeht beim Spielen die Zeit besonders schnell? Und was bedeutet Spielen für die Ochsenfurter Runde? „Ich kann mit anderen in Kontakt treten und mit ihnen einen schönen Abend haben, ohne dass ich gequält Gespräche führen muss“, sagt Winfried Betz. „In Fantasiewelten eintauchen und den Alltag vergessen, ich mag das.“ Für Thomas Siegmund steht Spielen schlicht für die „Freude am Sein“. „Das Miteinander, das Messen, das macht Spaß“, sagt der 58-Jährige. Durch Spielen werde man außerdem gesellschaftsfähig, ist er überzeugt. Vieles lasse sich aufs Leben übertragen – nicht zuletzt die Tatsache, dass man lerne, auch mal zu verlieren.

„Freak“ Heinisch, der 350 Spiele zu Hause hat, sieht Spielen als „gemütliches Zusammensein mit Gleichgesinnten“, das er jedem Fernsehabend vorziehen würde. „Auch wenn die Regeln manchmal kompliziert sind, empfinde ich Spielen trotzdem immer als entspannend.“

An diesem Abend kommt zuerst „Codenames“ auf den Tisch. Darin wollen zwei Geheimdienstchefs ihren Teammitgliedern mitteilen, welche Agenten zur eigenen Organisation gehören. Die Konkurrenz hört aber zu, und so sind Assoziationen gefragt, um die Codenamen der Spione zu umschreiben. Nur minimale Informationen sind erlaubt: ein Wort und eine Zahl, die zeigt, wie viele Codenamen eigener Spione zum genannten Begriff passen. Eine nur von den Geheimdienstchefs einsehbare Matrix bestimmt, welche der ausliegenden Wortkarten für Agenten und welche für unbeteiligte Personen stehen. „Fluss, 3“ deutet zum Beispiel auf die Karten „Bach“, „Bett“ und „Po“ hin. Ziel ist es, als erstes Team all seine Agenten zu erraten. Krinke und Betz schlüpfen in die Rolle der Geheimdienstchefs und umreißen kurz für alle die Regeln. Es dauert nur wenige Minuten, schon ist die Runde in eine ganz eigene Welt eingetaucht, in der alle mit Konzentration und Spaß bei der Sache zu sein scheinen.

Wenn Spieler zu Meeresschildkröten werden

Das „Spiel des Jahres 2016“ scheint seinen Kritikerpreis verdient zu haben. Doch woran erkennt man, ob ein Spiel gut ist? „Jeder sollte immer eingebunden sein und nicht nur auf seinen nächsten Spielzug warten“, sagt Betz. Gut sei auch, wenn sich die Spielsituation immer wandle, man miteinander verhandeln müsse und das bestehende Spielmaterial mit neuen Elementen kombinierbar sei. Stichwort: Erweiterungen. Wohl bekanntestes Beispiel ist der Verkaufsschlager „Siedler von Katan“. „Auch der Wiederspielreiz ist ein wichtiges Kriterium“, sagt Siegmund.

Bei der anschließenden Runde „Mahé“, einem Familienspiel, bei dem es um Würfeln, ein wenig Rechnen und viel Glück geht, werden die Spieler zu Meeresschildkröten. Diese haben beim Umrunden einer Insel nur ein Ziel: ihre Eier abzulegen. Der Spieler, dessen Schildkröte die meisten Eier am Strand losgeworden ist, hat gewonnen. Mit sichtlichem Spaß würfeln sich die sieben übers Brett. „Unverschämtheit! Muss ich das ganze Pack herumtragen!“, schimpft Betz mit gespielter Empörung, als sich mehrere Mitspieler-Schildkröten auf der eigenen Figur niederlassen.

Ob jemand den Spieletreff immer wieder besucht, hängt oft vom Einstiegsspiel ab, hat Siegmund beobachtet. „Ein Ehepaar, das hierher kam, tat sich schwer mit den Regeln – die beiden sind nicht wiedergekommen.“ Dabei will der Spieletreff jeden ansprechen: „Wir haben auch Spiele für Nichtspieler – kurz, knackig, mit nur wenigen Regeln“, so Betz. Und wenn jemand ein Spiel zu Hause hat, das er nicht versteht, könne man zusammen die Regeln erarbeiten. Auch für Wünsche ist die Runde offen: „Manche haben eine größere Feier und suchen ein passendes Spiel“, sagt Betz. „Andere möchten Tipps für Spiele für nur zwei Personen, wieder andere ein altersgerechtes Spiel für ihr Kind.“

Für die Spielesammlung ein eigenes Zentrallager

Der 58-jährige Verwaltungsbeamte hat das erklärte Ziel, alle zum Spielen zu bringen. Und er weiß, wie man auch Menschen, deren Spieletrieb verschüttet ist, anlockt. „Bei der Ochsenfurter Spielbaustelle haben wir an die 150 sogenannte Großspiele, darunter überdimensionale Spieleklassiker und Murmelspiele“, sagt er. „Wenn wir die auf Festen aufbauen, bleiben viele stehen und probieren sie aus – auch Leute, die seit Jahren nicht mehr gespielt haben.

“ Betz selbst ist durch und durch „Spielemensch“. Seit vielen Jahren schreibt er regelmäßig Rezensionen und erhält zu diesem Zweck etwa 60 Spiele im Jahr.

Wo um alles in der Welt, bringt man so viele Kartons unter? „In meinem Zentrallager“, sagt Betz und grinst. Gemeint ist seine Scheune, die bis zu 1400 Spiele beherbergt.

Trend: Exit Games und Klassiker digital

Als Spieletester kennt er auch die Trends: Angesagt sind „Exit Games“. Vorgänger sind die „Live Exit Games“, bei denen sich eine Gruppe aus einem verschlossenen Raum herausrätselt. Aufs Spielbrett übertragen heißt das: Vor einer Hintergrundstory muss ein Team in einer vorgegebenen Zeit mit dem vorhandenen Spielmaterial eine Aufgabe lösen oder einen Code knacken. „Das Material ist danach nicht mehr verwendbar, man kann diese Spiele nur einmal spielen“, erklärt Betz. Auch ein Trend: Klassiker wie Monopoly oder Trivial Pursuit werden digitalisiert. So kann man per Konsole mit anderen spielen – sei es mit Freunden im eigenen Wohnzimmer oder mit Menschen aus der ganzen Welt.

In der Roten Schule ist man unterdessen zu „Karuba“ übergegangen, einem Spiel, bei dem Abenteurer von Edelsteinen, Gold und Tempeln angelockt werden. Um an die Schätze zu gelangen, müssen die Spieler das perfekte Wegenetz austüfteln, um den Entdeckern Pfade vom Strand durch den Dschungel zu bahnen. Wieder sind alle schnell ins Spiel eingetaucht, die Runde hat sich warm gespielt. Dass eine Reporterin das Geschehen beobachtet, spielt spätestens jetzt keine Rolle mehr. Die sieben sind zum Spielen gekommen, zu nichts anderem. Und so geht der Abend weiter, wie er begonnen hat: mit Spielen, Spielen, Spielen.

Spiele-Tipps

Bernhard Heinisch empfiehlt Terraforming Mars

Verlag: Schwerkraft Verlag

Für 1 bis 5 Spieler ab 12 Jahren.

Dauer: 90 bis 120 Minuten

Beschreibung: Mächtige Konzerne wetteifern darum, den Mars in einen bewohnbaren Planeten umzuwandeln. Jeder Spieler hat einen Konzern und kauft und spielt Karten, um mit verschiedenen Projekten Einfluss auf den Terraforming-Prozess zu nehmen. Um zu gewinnen, müssen die Spieler einen guten Terraformwert erreichen und möglichst viele Punkte sammeln.

Urteil: Spannendes Entwicklungsspiel mit komplexen Regeln; für Vielspieler.

Winfried Betz empfiehlt „Karuba“

Verlag: Haba

Für 2 bis 4 Spieler ab 8 Jahren.

Spieldauer: ca. 40 Minuten

Beschreibung: Jeder Spieler hat vier Abenteurer. Um mit ihnen an die Schätze der Insel zu gelangen, muss das perfekte Wegenetz vom Strand durch den Dschungel ausgetüftelt werden. Erreicht ein Abenteurer einen Tempel, bekommt er einen Schatz. Wer sich die wertvollsten Schätze sichern kann, gewinnt. Für den Sieg ist neben Tempo auch das clevere Schätze-Sammeln entscheidend.

Urteil: Spannend, da jeder Spieler identische Ausgangsvoraussetzungen hat, aber dennoch unterschiedlichste Spielsituationen entstehen. Kurzweilig, da allle ständig ins Spiel eingebunden sind. Tanja Krinke empfiehlt „TAC“

Verlag: TAC Verlag

Für 2 bis 4 Spieler ab 8 Jahren.

Dauer: ca. 45 Minuten

Beschreibung: Taktik-Teamspiel – eine Kombination aus Brett- und Kartenspiel. Ziel jedes Teams ist es, als erstes die eigenen Kugeln ins „Haus" zu bringen.

Urteil: Mischung aus „Mensch ärgere Dich nicht“ und „Mau-Mau“. Spannend, da der Spielverlauf unvorhersehbar ist und sich von Zug zu Zug komplett verändern kann.

Thomas Siegmund empfiehlt „Quarto“

Verlag: Gigamic

Für 2 Spieler ab 8 Jahren.

Dauer: 10 Minuten

Beschreibung: Es geht darum (ähnlich wie bei „Vier Gewinnt“) vier Steine in eine Reihe oder einen Block zu bekommen. Besonderheit ist, dass nicht jedem Spieler eine Farbe zugeordnet ist, sondern beide mit allen Spielfiguren spielen.

Urteil: „Gehirnverzwirbler“ für nur zwei Spieler; simpel und zugleich anspruchsvoll; auch für Leute mit wenig Zeit.

Offene Spieletreffs in der Region

Vor 20 Jahren gründeten Winfried Betz und Matthias Sauer die Ochsenfurter Spielbaustelle e.V., aus der der offene Spieletreff hervorging. Dem Verein geht es um Spiel-Kultur und Lebensraumgestaltung sowie um den Dialog der Generationen. Wer Lust hat, neue Spiele in größerer Runde auszuprobieren ist hier richtig:

Zum Spieletreff im Ochsenfurter Bürgerhaus Rote Schule, Kirchplatz 2, kann jeder kommen. Los geht's an jedem ersten Donnerstag des Monats um 18.30 Uhr. Infos: www.ochsenfurterspielbaustelle.de

Spieletreff Würzburg: Im KHG-Gebäude (kleiner Saal) in der Hofstallstraße 4 wird jeden Dienstag ab 19 Uhr gespielt.

Spieletreff Kitzingen: In der Gaststätte „Kanapee“, Kaiserstraße 33, ist jeden Donnerstag ab 19.30 Uhr Spieleabend.

Spieletreff Schweinfurt: Dort trifft man sich jeden Donnerstag ab 20 Uhr im Messnerhaus, Martin Luther Platz 6.
 
Konzentrierte Blicke und viel Spaß: Besuch  beim Spieletreff in Ochsenfurt.
Foto: Patty Varasano | Konzentrierte Blicke und viel Spaß: Besuch beim Spieletreff in Ochsenfurt.
Spiele über Spiele: Wenn Winfried Betz, Mitinitiator des Spieletreffs, den Raum betritt, hat er meist eine Kiste voller Spiele dabei. Betz schreibt seit vielen Jahren Rezensionen und erhält zu diesem Zweck an die 60 Spiele im Jahr.
Foto: Patty Varasano | Spiele über Spiele: Wenn Winfried Betz, Mitinitiator des Spieletreffs, den Raum betritt, hat er meist eine Kiste voller Spiele dabei.
Konzentrierte Blicke beim Offenen Spieletreff in Ochsenfurt: Die Spielefans Tanja Krinke, Winfried Betz (Initiator des Spieletreffs) und Klaus Neckermann.
Foto: Patty Varasano | Konzentrierte Blicke beim Offenen Spieletreff in Ochsenfurt: Die Spielefans Tanja Krinke, Winfried Betz (Initiator des Spieletreffs) und Klaus Neckermann.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Ochsenfurt
Catharina Hettiger
Abenteurer
Agenten
Der Spieler
Geheimdienstchefs
Verlagshäuser
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top