Als Leo Gundermann Anfang Juli 1965 unter großem Geleit auf dem Würzburger Hauptfriedhof zu Grabe getragen wurde endete eine besondere Epoche mainfränkischer Fotografiegeschichte. Jahrzehnte hindurch galt der Verstorbene in der Region als herausragender Repräsentant seines Metiers. In der Würzburger Bahnhofstraße betrieb er ein Fotostudio, welches sein Vater Konrad Gundermann 1874 gegründet hatte.
1885 geboren, absolvierte Leo Gundermann beim Vater eine vierjährige Lehre. Rund 60 Jahre nach der Erfindung der Fotografie war die Tätigkeit des Fotografen noch eine völlig andere als nach dem zweiten Weltkrieg oder gar heute.
Der Umgang mit den großformatigen Holzkameras und den lichtempfindlichen Glasplatten verlangte ein hohes Maß an handwerklichem Geschick. Vielerlei Bäder-Rezepturen bedurfte es zur Bildherstellung, und der Fotograf verbrachte einen großen Teil seines Arbeitstages in der Dunkelkammer.
1905 sagte der Jungfotograf seiner Heimatstadt adieu, um sich „draußen“ den Wind um die Ohren wehen zu lassen. Vevey, Menton, Nizza, das waren einige der Stationen, in denen Leo Gundermann seinen fotografischen Horizont erweiterte, aber auch das Leben lieben lernte. Er pflegte Kontakte mit namhaften Vertretern der Branche, u.a. in Linz mit August Sander, einem der Hauptvertreter des Fotorealismus, dessen Abzüge heute Auktionspreise in fünfstelliger Höhe erzielen.
1912 waren die Wanderjahre zu Ende. Die Gesundheit des Vaters ließ zu wünschen übrig, der Junior musste das Studio übernehmen.
In seiner Begeisterung für die Kunstgeschichte stellte der junge Chef die geschäftlichen Interessen oft zurück und fotografierte mit Leidenschaft was seiner Neigung entsprach. „Kein Schloss im Frankenland, das er nicht von oben bis unten vor der Kamera hatte“, sagt sein Enkel Christoph heute.
1914 wurde Leo Gundermann eingezogen. Er hatte Glück, kam „nur“ nach Schleißheim, wo die in den Kinderschuhen steckende Bayerische Fliegerei stationiert war. Dort wertete er unter anderem Luftbildmaterial aus.
In den 20er Jahren beschäftigte sich Leo Gundermann vorzugsweise auch mit den in Mode gekommenen Edeldruckverfahren und erhielt für einen seiner „Bromöldrucke“ bei der „Photographischen Ausstellung“ 1925 in Frankfurt sogar eine Goldmedaille.
1924 begann er mit dem Aufbau seines kunstgeschichtlichen Verlags. In der Kunstszene Würzburgs war Gundermann längst angekommen. Er pflegte Freundschaften mit nahezu allen namhaften fränkischen Kulturschaffenden und wurde 1927 in die „Hätzfelder Flößerzunft“ aufgenommen. Besonders nachhaltig war die Zusammenarbeit mit Riemenschneiderforscher Professor Justus Bier. Noch vor der Machtergreifung bereicherte er die von Dr. Heinrich Kreisel geschriebene „Würzburger Stadtmonographie“ und in etlichen Zeitschriften erschienen seine Stadtansichten und Landschaftsbilder.
1929 übernahm er den Vorsitz der unterfränkischen Fotografeninnung, legte diesen jedoch auf Druck der Nazis 1936 nieder. Im Übrigen wurde er und seine Familie durch die Gestapo ständig beschattet und das Studio durch die Partei ganz offen boykottiert. Grund für die Schikanen war wohl die französischer Herkunft von Ehefrau Raymonde. Sie stammte aus Nancy, hatte sich schnell ins fotografische Metier eingearbeitet und war am Schluss eine angesehene Porträtistin mit eigenwilligem Stil.
Als sich der Zusammenbruch abzeichnete, bewies Leo Gundermann Weitsicht. Es gelang ihm, einen großen Teil seines historischen Fotoarchivs in die Kasematten der Festung Marienberg auszulagern. „Mit den letzten Tropfen Benzin brachte er auf die Festung hinauf, was er mit dem Motorrad transportieren konnte. Einige Tausend der wertvollen Glasnegative überstanden so die Feuersbrunst des 16.März 1945“, berichtet Enkel Christoph und weist auf die Bedeutung hin, die dem Gundermann-Archiv beim Wiederaufbau Würzburgs zukam.
Der 16. März 1945 bescherte dem Studio in der Bahnhofstraße zunächst das Ende, es wurde völlig zerstört. Doch der inzwischen Sechzigjährige resignierte nicht, als es nach der Währungsreform wieder Fotomaterial und Gerätschaften gab, kehrte der Betrieb zur Normalität zurück.
Erneut zum Obermeister gewählt, widmete Gundermann dem Amt viel Hingabe, organisierte Fortbildungskurse und Ausstellungen und galt auch überregional als eine Größe seines Fachs. An der Berufsschule beispielsweise initiierte er bereits 1950 – seiner Zeit voraus – praktischen Unterricht in Colortechnik.
Als Gundermann Anfang der 60er Jahre das Bundesverdienstkreuz entgegennahm, trat er beruflich schon deutlich kürzer, wenngleich es einen echten Ruhestand für ihn nicht gab. Das Studio betrieben nun Sohn Heinz und Enkel Christoph, beide hatte er selbst zu Fotografen ausgebildet.
„Nie wollte er mehr sein“, so in einem Nachruf aus dem Jahre 1965 „als ein guter Handwerks-Meister. Er war ein ungemein fleißiger und mitunter fanatischer Arbeiter, immer überzeugt davon, dass er noch dazulernen konnte. Wenn er es für nötig hielt, wiederholte er eine Aufnahme mehrmals, auch wenn er dazu viele Kilometer fahren musste. Dabei war ihm jede Geschäftemacherei zutiefst zuwider. Leo Gundermann erlebte viele Ehrungen, blieb aber immer der alte: Ein freundlicher, agiler Herr mit Brille und Baskenmütze. Letztere trug er in den zwanziger Jahren ebenso wie in den Sechzigern“.
Und das Haus Gundermann? Nach 134 Jahren seines Bestehens kam 2008 auch für das traditionsreiche und bekannte Studio in der Bahnhofstraße das Ende. Enkel Christoph Gundermann und seine Frau Marion, eine anerkannte Porträtistin, betrieben es in vierter Generation weiter. Die Töchter indes winkten ab, als es um die Nachfolge ging, sie hatten andere Lebensplanungen. Die Auflösung des Unternehmens vor Augen gingen Marion und Christoph Gundermann den Schritt ins digitale Zeitalter der Fotografie daher nur noch ansatzweise mit.
Das Haus Gundermann ist – dank des Archivs – auch „Würzburgs optisches Gedächtnis“. Unter der Regie von Christoph Gundermann und seiner Tochter, der Kunsthistorikerin Simone Gundermann, hat es nach wie vor Bestand und verfügt inzwischen über mehr als 10 000 Glas- und Filmnegative.