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Würzburg
Warum sich Ameisen die Beine amputieren und ein Forscher aus Würzburg deshalb weltweit gefragt ist
Ein einzelnes Tier zählt im Ameisenstaat nichts? Von wegen. Biologe Erik Frank von der Uni Würzburg hat herausgefunden, wie sich die Insekten bei Verletzungen helfen.
Bis zu 2,5 Zentimeter lang werden die Ameisen der Gattung 'Dinoponera grandis'. Ein Exemplar der Kolonie am Würzburger Uni-Biozentrum zeigt Forschungsgruppenleiter Erik Frank.
Foto: Johannes Kiefer | Bis zu 2,5 Zentimeter lang werden die Ameisen der Gattung "Dinoponera grandis". Ein Exemplar der Kolonie am Würzburger Uni-Biozentrum zeigt Forschungsgruppenleiter Erik Frank.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 12.09.2024 02:34 Uhr

Über 100 Interviews musste er in den letzten vier Wochen geben. New York Times, Washington Post, BBC, Tagesschau: Medien in aller Welt wollten von Erik Frank wissen, wie er die verblüffende Entdeckung in seinem Würzburger Labor gemacht hat.

Wie der 35 Jahre alte Tierforscher herausgefunden hat, dass Ameisen sich fürsorglich um verletzte Artgenossinnen kümmern. Dass sie mit antibiotischen Sekreten nicht nur Wunden versorgen, sondern – wenn nötig – ganze Beine amputieren.

Weltgrößte Ameisen im Labor an der Uni Würzburg

Im Biozentrum der Universität am Würzburger Hubland zieht Erik Frank hinter einem dunklen Vorhang ein Tuch von einem Glaskasten: Bis zu 2,5 Zentimeter lange Ameisen leben darin. "Dinoponera grandis", eine der weltweit größten Ameisenarten. Zum Vergleich: Eine Waldameise misst hierzulande bis zu einem Zentimeter, eine gewöhnliche Gartenameise drei bis fünf Millimeter.

Ausgegraben hat Frank die Kolonie vor zwei Jahren in Argentinien. In Würzburg studiert er mit seinem Team ihr Verhalten, ihre Bewegung und Kommunikation. Dazu haben die Tierchen Mini-QR-Codes auf dem Rücken.

Frank, das ist zu spüren, liebt seine Forschung. Er ist gerade noch einen Tag da, dann geht es für zwei Monate nach Andalusien – Ameisen beobachten, was sonst.

Eigentlich wollte der in München aufgewachsene Erik Frank Tropenforscher werden und startete ein Biologiestudium in Würzburg. Seine Liebe zu Ameisen fand er, als er im Norden der Elfenbeinküste unerwartet viel Zeit dafür hatte.

Sanitäter-Ameisen retten mit ihren Eingriffen 90 Prozent ihrer Artgenossen

Eigentlich sollte er im Comoé-Nationalpark mithelfen, die kriegsbedingt geschlossene Forschungsstation der Universität Würzburg wiederaufzubauen. Weil aber die Container ein halbes Jahr lang nicht aus dem Hafen kamen, verbrachte er die Monate ohne Strom und Internet in der Savanne – und sah den Matabele-Ameisen bei ihrer Jagd auf Termiten zu.

Dabei beobachtete er, dass Ameisenvölker schwache oder verletzte Artgenossen nicht einfach liegen lassen, sondern versuchen sie zu retten. Mit einem chemischen Botenstoff werden Sanitäter gerufen. Sie bringen die Verletzten dann in den Ameisenbau und kümmern sich um sie.

Über Master und Doktorarbeit fand Frank mehr heraus. Zum Beispiel, dass Ameisen die Wunden der Verletzten ablecken, um Infektionen zu verhindern. In den aufgetragenen Sekreten fand der Biologe mit seinem Team über 100 chemische Komponenten und 41 Proteine. Bei mehr als der Hälfte wird eine antimikrobielle Wirkung erwartet. 90 Prozent der versorgten Ameisen überlebten ihre Verletzung.

Kann die Medizin der Ameisen auch der Humanmedizin helfen?

Haben Ameisen also ihre eigene Medizin? Das ist eine der Schlüsselfragen, die Frank anspornt. Gerade schreibt er an seinem zweiten Buch: Es geht um "Medizin im Tierreich", so der Arbeitstitel. Möglicherweise setzen Ameisen Antibiotika ein, die auch dem Menschen helfen könnten. Zwei Pharmafirmen, berichtet er beiläufig, hätten bereits ein Auge auf seine Studien geworfen.

Die Wissenschaftswelt ist längst hellhörig geworden: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert unter Franks Leitung eine vierköpfige, international besetzte Nachwuchsgruppe (Emmy-Noether-Gruppe) in Würzburg zur "Evolution von Wundbehandlung im Tierreich".

Die Gruppe machte nun gemeinsam mit einem Team aus Lausanne eine neue Entdeckung: Florida-Holzameisen amputieren vorsorglich Gliedmaßen, um das Leben verwundeter Artgenossinnen zu retten. Bei bestimmten Verletzungen an den Beinen beißen sie diese komplett ab.

Der Eingriff verhindert, dass sich lebensgefährliche Wundinfektionen im Körper der Ameisen ausbreiten. Trotz Beinverlusts können sie danach ihre Aufgaben im Nest wieder voll übernehmen. Damit wird die Kolonie im Bestand gesichert.

Der Würzburger Ameisenforscher Erik Frank verbringt viel Zeit bei der Beobachtung von Tieren in der freien Natur.
Foto: Erik Frank | Der Würzburger Ameisenforscher Erik Frank verbringt viel Zeit bei der Beobachtung von Tieren in der freien Natur.

Frank geht fest davon aus, dass dieses Verhalten auch andere Ameisenarten zeigen – er will es mit weiteren Studien überprüfen und sich auch andere Insekten wie Wespen oder Hummeln anschauen.

Würzburg ist international ein Hotspot der Ameisenforschung

"Harvard und Würzburg, das waren in den 90er Jahren international die Leuchttürme der Ameisenforschung", sagt Frank. Die langjährigen Lehrstuhlinhaber Eduard Linsenmair und Bert Hölldobler haben am Main ein Institut von Weltruf aufgebaut, "an Würzburg kam keiner vorbei". Frank tut das Seine, damit dies so bleibt.

"Es ist beeindruckend, wie riesige Ameisenstaaten funktionieren", sagt der Wissenschaftler. "Wie die Tiere miteinander kommunizieren, Kommandos austauschen, sich in ihrer Arbeitsteilung ohne eine zentrale Ordnungsinstanz organisieren." Ungezählte Stunden verbringt der 35-Jährige in Laboren, über seinen Schriften oder in der Natur – zusammengerechnet waren es allein viereinhalb Jahre im Comoé-Nationalpark in der westafrikanischen Steppe, zuletzt war er 2021 dort.

Da braucht es eine Partnerin mit viel Verständnis oder – noch besser – mit konkreten Einblicken: Frank lernte seine heutige Ehefrau kennen, als die Journalistin einen Kollegen an der Station in der Elfenbeinküste besuchte. Ameisen bestimmen eben sein Leben.

 
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