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LANDKREIS WÜRZBURG
Flüchtlinge werden zu Arbeitssuchenden
Flüchtlinge in der Ausbildung       -  Eine abgeschlossene Ausbildung können die wenigsten Flüchtlinge nachweisen. Praktika, die ihren beruflichen Perspektiven entsprechen, sollen bei der Arbeitsvermittlung helfen.
Foto: dpa | Eine abgeschlossene Ausbildung können die wenigsten Flüchtlinge nachweisen. Praktika, die ihren beruflichen Perspektiven entsprechen, sollen bei der Arbeitsvermittlung helfen.
Gerhard Meißner
 |  aktualisiert: 17.10.2017 10:20 Uhr

Als es darum ging, Asylbewerbern ein Dach über den Kopf zu geben, stand ihre Vermittlung in den Arbeitsmarkt noch im Hintergrund. Mit umso größerer Vehemenz wird das Jobcenter des Landkreises nun mit dem Thema konfrontiert. „Die Motivation, schnell in Arbeit zu kommen, ist hoch“, sagt dessen Leiter Thomas Huppmann. Angesichts einer Arbeitslosenquote im Landkreis von anhaltend unter drei Prozent scheint dies auch problemlos möglich zu sein. Die Hürden jedoch sind höher als ursprünglich erhofft.

35 Prozent der Neuanträge auf Hartz-IV-Leistungen stammten im Mai von Flüchtlingen, wie Manfred Kothe, am Jobcenter verantwortlich für Integration, dem Sozialausschuss des Kreistags berichtete. Die Zahl der arbeitssuchenden Asylbewerber liegt inzwischen bei über 400. Und sie steigt weiter mit der Aufarbeitung der laufenden Asylverfahren.

„Das Sozialgesetzbuch weist uns an, die Menschen möglichst schnell in Arbeit zu vermitteln. . .“
Thomas Huppmann Leiter des Jobcenters

Zu Kunden des Jobcenters werden Flüchtlinge, sobald ihr Asylantrag anerkannt wurde. Die Arbeitsvermittler haben dann die Aufgabe, die Menschen für den Arbeitsmarkt fit zu machen. Erster Schritt ist ein sechs- bis neunmonatiger Integrationskurs. Doch die dort erworbenen Sprachkenntnisse reichen in der Regel nicht aus für den Berufsalltag, sagt Manfred Kothe, am Jobcenter zuständig für Integration.

Die erste Euphorie der Betroffenen, bald selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen zu können, weicht deshalb oft schnell der Ernüchterung. Wie die bisherigen Erfahrungen zeigen, lassen sich höchstens zehn Prozent der erwachsenen Asylbewerber direkt in einen Arbeitsplatz vermitteln, so Kothe. Der Anteil sinke mit den Ansprüchen an die Qualifikation des Bewerbers. Daran ändert auch die Berufserfahrung nichts, die die Flüchtlinge in ihren Heimatländern erworben haben.

„. . .ob das langfristig das Beste für die Flüchtlinge ist, steht auf einem anderen Blatt.“
Thomas Huppmann Leiter des Jobcenters

Thomas Huppmann zitiert das Beispiel eines Syrers, der bereits lange als Steinmetz gearbeitet hatte. Sein handwerkliches Geschick hat er in einem Kirchheimer Steinwerk unter Beweis gestellt. Einstellen konnte ihn die Firma dennoch nicht, weil er keinerlei Erfahrung im Umgang mit Maschinen hatte. Eine abgeschlossene Ausbildung können die wenigsten Flüchtlinge nachweisen, und wenn, dann sei sie in der Regel nicht mit deutschen Standards vergleichbar. Als Ausweg bleiben Praktika und Arbeitsproben, um die Eignung der Arbeitssuchenden für bestimmte Tätigkeiten herauszufinden. Außerdem zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen.

Die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammer unterstützen diese Programme, sagt die stellvertretende Landrätin Christine Haupt-Kreutzer (SPD). Dahinter steht die Hoffnung, die Flüchtlinge könnten dazu beitragen, den Mangel an Fachkräften zu beseitigen. „Bis dahin ist es allerdings ein langer, steiniger Weg für beide Seiten“, so Thomas Huppmann.

In der Regel sind es deshalb einfache Tätigkeiten oder Saisonarbeiten, die für Asylbewerber in Frage kommen. Schlüssel zum Einstieg in anspruchsvollere Jobs wäre die längerfristige berufliche Qualifizierung. Doch da stoßen auch die Möglichkeiten des Jobcenters an Grenzen. „Das Sozialgesetzbuch weist uns an, die Menschen möglichst schnell in Arbeit zu vermitteln“, sagt Huppmann, „ob das langfristig das Beste für die Flüchtlinge ist, steht auf einem anderen Blatt.“

Größer sind die Chancen für Jugendliche, die erst am Einstieg ins Berufsleben stehen. In Integrationsklassen an den Berufsschulen werden sie auf eine spätere Ausbildung vorbereitet. „Das Dilemma ist, dass auch die zweijährige Berufsvorbereitung oft nicht ausreicht, um ausreichende Sprachkenntnisse für den Einstieg in eine Berufsausbildung zu vermitteln“, sagt Christine Haupt-Kreutzer. Erschwerend komme hinzu, dass vielen jungen Flüchtlingen ein geregelter Arbeitsalltag fremd sei.

Im Jobcenter setzt man deshalb auf Förderprogramme und Bildungsmaßnahmen wie das „Projekt für Arbeit, Qualifizierung und Training“ PAQT. Nach der Erstellung eines persönlichen Profils absolvieren die Teilnehmer im Ausbildungszentrum der Handwerkskammer Praktika, die ihren beruflichen Perspektiven entsprechen. Um ihre Motivation zu steigern, erhalten sie dafür zusätzlich zu den gesetzlichen Unterhaltsleistungen ein Taschengeld von einem Euro pro Stunde. Um zudem Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit zu stärken, müssen sie allerdings Abzüge hinnehmen, wenn sie morgens zu spät erscheinen oder gegen andere Regeln verstoßen.

Im Jobcenter hat man sich auch personell auf die steigende Zahl von arbeitssuchenden Flüchtlingen eingestellt. Fünf Stellen wurden neu geschaffen, drei davon in der Arbeitsvermittlung. Eine der neuen Mitarbeiterinnen spricht arabisch. Zugleich hat der Bund das Budget fürs Jobcenter in diesem Jahr um 760 000 Euro erhöht. Damit sollen der Mehraufwand in der Verwaltung und die zusätzlichen Eingliederungsmaßnahmen finanziert werden.

In der Nürnberger Straße in Würzburg wird zurzeit an einer neuen Außenstelle des Landratsamts gebaut, in die die 60 Mitarbeiter des Jobcenters voraussichtlich im kommenden Frühjahr umziehen. Der Landkreis hat sich für mindestens zehn Jahre in das neue Bürogebäude eingemietet. Die Entscheidung für die Auslagerung des Jobcenters fiel zwar vor dem Hintergrund des allgemeinen Platzbedarfs im Landratsamt. Durch den zu erwartenden Anstieg der Fallzahlen sei es inzwischen aber unabdingbar geworden, mehr Platz für die Arbeitsvermittler zu schaffen.

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An der Nürnberger Straße in Würzburg wird derzeit an einer Außenstelle des Landratsamts gebaut, in die das Jobcenter Anfang kommenden Jahres umziehen will.
Foto: Gerhard Meißner | An der Nürnberger Straße in Würzburg wird derzeit an einer Außenstelle des Landratsamts gebaut, in die das Jobcenter Anfang kommenden Jahres umziehen will.
 
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