Hunderttausende Menschen aus Kriegsgebieten sind derzeit auf der Flucht. Auch Frauen. Die haben über den Krieg hinaus jedoch oft noch weitere, spezielle Fluchtgründe. Johanna Stirnweiß aus Gerbrunn ging diesen Gründen fast ein Jahr lang in ihrer Masterarbeit nach.
Außerdem befasste sich die 26-Jährige mit der Frage, wie Flüchtlingsfrauen in Deutschland leben – wie sie wohnen, wie ihre finanzielle, soziale und gesundheitliche Situation ist. Johanna Stirnweiß studierte an der Fachhochschule Erfurt Soziale Arbeit. Mit Flüchtlingen beschäftigte sie sich jedoch nicht nur zu Studienzwecken. 2015 gründete sie in Erfurt mit Kommilitonen ein Sprachcafé für Geflüchtete. Daraus ging bald ein eigenes Frauencafé hervor. Durch ihr ehrenamtliches Engagement erfuhr Stirnweiß, wie speziell die Situation von Frauen auf der Flucht ist.
Anlässlich des Weltflüchtlingstages an diesem Dienstag, 20. Juni, möchte sie darauf aufmerksam machen, was es für Frauen bedeutet, alleine zu fliehen. Sowohl, was die Flucht selbst, als auch was das Ankommen in Deutschland betrifft.
Die Masterarbeit der FH-Absolventin basiert auf Interviews mit sechs Frauen, die aus Syrien, dem Iran, aus Mali und Nigeria stammen. Einige Frauen fand Stirnweiß im Erfurter Frauencafé. Andere lernte sie in der Würzburger Flüchtlingsunterkunft kennen. Die Frauen berichteten ihr, weshalb sie sich, oft nach langem Zögern, entschlossen hatten, die Flucht anzutreten. Zwangsheirat war zum Beispiel ein Grund. Für eine andere Frau war es inakzeptabel, dass man ihr in ihrem Heimatland jegliche Bildungschance vorenthielt. Sie machte sich auf den gefahrvollen Weg nach Deutschland, weil sie hoffte, hier ihre Talente entfalten zu können. „Es gab auch eine Frau, die vor ihrem Mann floh“, so Stirnweiß.
Die Gerbrunnerin sucht augenblicklich Wege, ihre Masterarbeit als Buch zu veröffentlichen. Außerdem möchte sie sich in der Migrantinnen-Initiative „Zuhause in Bayern“ des Würzburger Frauenverbands „In Via“ engagieren. Dort soll im September ein Erzählprojekt starten. Die in das Projekt integrierten Frauen wollen die Geschichten ihrer Flucht erzählen und niederschreiben lassen. „Dabei würde ich gerne helfen“, so die Sozialarbeiterin, die noch bis Juli als Werkstudentin beim diözesanen Caritasverband tätig ist.
Dass es eine besondere Herausforderung darstellt, als Frau zu fliehen, bestätigt Sozan Kobaghy, Teilnehmerin am Projekt „Zuhause in Bayern“. Die 37-Jährige floh vor knapp zwei Jahren ohne ihren Mann aus Syrien. Das tat sie in erster Linie wegen ihrer damals sieben Jahre alten Tochter. Das Mädchen leidet an einer seltenen Erkrankung, weshalb sie eine spezielle Milch benötigt. „Diese Milch musste ich jeden Monat in der Klinik in Damaskus holen“, berichtet Kobaghy. Als es Bomben hagelte, war das nicht mehr möglich. Dadurch geriet das Leben ihres Kindes in Gefahr. Sozan Kobaghy beschloss, ihren Schmuck zu verkaufen, um das Fluchtgeld für sich und ihre Tochter zusammenzubringen: „Für meinen Mann reichte das Geld nicht.“ Allerdings machte sich ihr 18 Jahre alter Bruder mit auf den Weg. Der sollte gezwungen werden, am Krieg teilzunehmen. Wovor er Angst hatte. Deshalb schloss er sich seiner Schwester an. 28 Tage waren die beiden mit dem kranken Kind auf der Flucht.
In Würzburg fühlte sich Sozan Kobaghy von Anfang an sicher und willkommen. Weil sie ein krankes Kind bei sich hatte, musste sie nicht in die Gemeinschaftsunterkunft in der Veitshöchheimer Straße einziehen: „Ich kam in Lengfeld unter.“ In kleinen, überschaubaren Unterkünften leben zu können, sagt Johanna Stirnweiß, ist ein Glücksfall für Flüchtlingsfrauen. Noch hilfreicher seien spezielle Unterkünfte für schutzbedürftige Frauen und Kinder. Ein erheblicher Teil der Frauen müsse jedoch in großen Gemeinschaftsunterkünften wohnen. Was oft als sehr belastend erlebt wird.
Sozan Kobaghy ist glücklich, dass sie den Krieg in Syrien überlebt hat. „Wir waren so oft dem Tode nahe“, berichtet sie. Vier Mal fielen unmittelbar neben ihrem Haus Bomben. Am Ende war das Haus zerstört. Die Arabischlehrerin, die inzwischen wieder mit ihrem Mann zusammen ist, wünscht sich nun, eine Arbeit in Würzburg zu finden. „In Syrien habe ich immer gearbeitet“, sagt sie. In ihrer neuen Heimat einen Job zu finden, sei sehr schwer.
Viele Flüchtlingsfrauen haben dieses Problem, sagt Mouna Bouzgarrou, die das Würzburger Projekt „Zuhause in Bayern“ leitet: „Das liegt auch daran, dass es das Vorurteil gibt, die Frauen dürften sowieso nicht arbeiten.“ Was nicht stimme. Viele Frauen seien sogar sehr gut ausgebildet: „Bei uns im Projekt gibt es eine Mathematikerin und eine Ingenieurin.“ Doch egal, ob eine Flüchtlingsfrau studiert hat oder nicht: „Die meisten sind gezwungen, putzen zu gehen.“ Oder werden für Pflegetätigkeiten angeheuert.
Weltflüchtlingstag: Der Weltflüchtlingstag erinnert seit 2001 jedes Jahr am 20. Juni an die vielen Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind. Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen macht an diesem Tag auf seine Ziele aufmerksam. Zum einen setzt sich das UNHCR für bessere Lebensbedingungen für Flüchtlinge ein, außerdem engagiert es sich für ein gutes Zusammenleben von Vertriebenen und einheimischer Bevölkerung.