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GIEBELSTADT
Florian Geyer in der Hand der Nazis
Vor 90 Jahren führten Giebelstädter zum ersten Mal ein Florian-Geyer- Spiel auf. Was sie heute zeigen, hat mit dem Original nichts mehr zu tun. Und das ist gut so.
Auf die Knie: Aufständische Bauern stellen den jüdischen Geldverleiher Schmuel zur Rede. Hier ein Probenbild aus der diesjährigen Inszenierung der Festspiele.Foto: Meißner
| Auf die Knie: Aufständische Bauern stellen den jüdischen Geldverleiher Schmuel zur Rede. Hier ein Probenbild aus der diesjährigen Inszenierung der Festspiele.Foto: Meißner
Wolfgang Jung
Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 26.04.2023 23:50 Uhr

Giebelstadt brachte zwei Männer für die Geschichtsbücher hervor: den Fürstbischof Melchior Zobel von Giebelstadt und den Ritter und Bauernführer Florian Geyer. Beiden hat der Rimparer Ritter Wilhelm von Grumbach Attentäter geschickt: Den Geyer ließ er 1525 erstechen, den Zobel 1558 erschießen. An den Fürstbischof erinnern ein Grabmal im Dom und die drei Zobelsäulen auf dem Weg hoch zur Festung, doch im Gedächtnis der Giebelstädter spielt er keine Rolle. Anders ist das beim Geyer. Dem Bauernkriegshelden, ermordet im Alter von 35 Jahren, widmen sie seit 1925, mit einer Unterbrechung von 1939 bis 1979, alle Jahre ein Freilicht-Theater.

1925, zum 400. Todestag des Geyer, wollen die Giebelstädter beim Kiliani-Umzug mitlaufen, als „Florian Geyer und seine schwarze Schar“ – die Bauern-Armee des Ritters hieß „Schwarzer Haufen“. Während der Vorbereitungen kommt einer auf die Idee, ein Festspiel zu Ehren des Helden aufzuführen. Aber welches?

Man hätte ein Stück des Nobelpreisträgers von 1912, Gerhart Hauptmann, aufführen können: „Florian Geyer. Die Tragödie des Bauernkriegs“, uraufgeführt 1896 am Deutschen Theater in Berlin. Doch das Drama war beim Hauptstadt-Publikum durchgefallen, Giebelstadt interessiere sich nicht dafür.

Im März 1925 blitzt der Lohrer Heimatdichter Nikolaus Fey in Würzburg mit seinem Bauernkriegsdrama „Florian Geyer“ ab. Die Stadt war auf der Suche nach einem Heimatfestspiel für Kiliani, aber Feys Stück, meint Oberbürgermeister Hans Löffler, ist nichts für die Würzburger. Die hätten nach der Novemberrevolution 1918 genug von Revolutionen wie der Bauernkrieg eine war. So kommen Fey und die Giebelstädter zusammen, im Juni 1925. Premiere sollte zwei Monate später sein, am 15. August.

In Würzburg verfolgt ein Zahnarzt aufmerksam, was sich in Giebelstadt tut: Otto Hellmuth, NSDAP-Mitglied seit 1922, Mainfrankens kommender Gauleiter. Der Dichter und der Nazi teilen die Faszination für Florian Geyer.

Die „Mainfränkischen Zeitung“ zitiert 1934 Hellmuths Einordnung des Bauernkriegs als „elementare Erhebung“, die „aus dem Brande glühender Sehnsucht zur ewig tiefen deutschen Art aufflammte wie die nationalsozialistische Revolution der Gegenwart“.

Die Historikerin Catrin Müller berichtet in ihrer Untersuchung „Für euch, fürs Reich, für Adolf Hitler starb einst Florian Geyer“, veröffentlicht im Mainfränkischen Jahrbuch 1996, über die „vollkommene Vereinnahmung des Bauernkrieges und der Gestalt Florian Geyers für die nationalsozialistische Tradition“. Hellmuth habe propagiert, dass Geyer „nichts anderes gewollt“ habe „als Adolf Hitler“. Hellmuth habe die nationalsozialistische Machtübernahme als späten „Sieg und Vollendung“ der Kämpfe der Bauern und des Geyer propagiert.

Hellmuth zufolge vollendete Hitler, was dem Geyer versagt geblieben war. Damit unternimmt der Gauleiter, was seit Jahrtausenden funktioniert: Er schafft einen Mythos, der zu einem neuen Selbstverständnis, einer neuen Identität der Deutschen führen soll. So entstanden staatsbildende Sagen wie die des Theseus der Athener und des Herakles der Spartaner, so entwickelte Würzburgs erster Bischof Burkard im 8. Jahrhundert die Kilianslegende, identitätsstiftend für die Kirche und das Frankenreich.

Der Dichter Fey ist dabei. Er konstruiert einen Geyer, aus dem die Nazis den Propheten Adolf Hitlers machen können. 1934 erzählt er dem „Würzburger Generalanzeiger“, die aufkommende Bewegung des Nationalsozialismus“ habe ihn 1924 beim Schreiben des Stücks inspiriert, „denn in ihm fühlte ich das tiefe deutsche Hoffen der Verwirklichung entgegen reisen“.

Die Giebelstädter richten die Ruine des Geyer-Schlosses her, führen das Stück mit 300 Darstellern auf, und 3000 schauen zu. Die Bedeutung der Inszenierung kann man an der Prominenz im Publikum ablesen: Da sitzen unter anderem der Gründer der Städtischen Galerie Würzburgs, Heiner Dikreiter, der Gründer des Mozartfestes, Hermann Zilcher, der Gründer des Frankenbundes, Peter Schneider, dazu Würzburgs Oberbürgermeister Löffler und der unterfränkische Regierungspräsident Julius Ritter von Henle.

Der Text, schwerfällig und pathetisch, ist satt von Szenen wie dieser: Daheim bei Geyers. Florian rüstet sich für den Kampf. „Lass mich mit. Liebster!“, fleht Elisabeth, seine Braut. „Keine Frauensache“, antwortet er. Sie umarmt ihn: „Harter Mann, lässt eine Einsame allein?“ Er: „Ein Streiter bin ich, du eine deutsche Frau.“ Und geht eilig ab.

Lebendig und bekömmlicher wird das Stück nur, wenn die Bauern im Dialekt sprechen. Der mögliche Einwand, Fey habe im Geist seiner Zeit geschrieben, gilt nicht. Er war Zeitgenosse der Brüder Mann, Kurt Tucholskys, Leonhard Franks, Oskar Maria Grafs, Egon Erwin Kischs und vieler anderer, denen derart steifes Pathos nicht einmal im Vollrausch passiert wäre.

Catrin Müller, die Historikerin, sichtete die Besprechungen und fand gleichwohl „durchweg gute Kritiken“. Sie schreibt: „Überall wurden die Aktualität und der Wert der Dichtung aufgrund der gelungenen Dialektszenen gelobt, und als besonders eindrucksvoll empfand man die Massenszenen der Bauern und den engen Bezug zur Heimat.“

1933 übernimmt Otto Hellmuth, der NSDAP-Gauleiter, die Schirmherrschaft. Er baut die Geyer-Ruine zur nationalsozialistischen Kult- und Weihestätte aus. Die „Mainfränkische Zeitung“ erhebt Giebelstadt und den Geyer zum „Begriff der ersten nationalsozialistischen Erhebung“.

Fey verschärft sein Stück mit einem einfachen, aber wirksamen Kunstgriff: Er ersetzt die Wörter „Kaiser“ und „Weib“ durch das Wort „Volk“.

Das Publikum hört jetzt den Rothenburger Dienstmann Stephan von Mentzingen den Bauern zurufen: „Ein Gott, ein Reich, ein Volk! Mit Gott für das Volk und das Reich soll unsere Lösung sein!“ Die Bauern antworten: „Für Volk und Reich!“ Und Geyer lässt sie „Gehorsam dem Führer!“ schwören.

Müller analysiert, Feys Geyer habe „sich in vielen Schattierungen der nationalsozialistischen Instrumentalisierung“ angeboten. Die Nazis schlagen Kapital daraus. Die Gauleitung der unterfränkischen NSDAP widmet dem Stück „in ungewöhnlich hohem Maße Aufmerksamkeit und Unterstützung“, sie verknüpft es mit „kulturellen, politischen und kultischen Feiern“ und macht es „zu einem der Hauptereignisse im Jahreslauf der nationalsozialistischen Veranstaltungen in Unterfranken“.

Das Freilichtspiel wird zur Pflichtveranstaltung für Volksgenossen und zum Ziel von „Kraft durch Freude“-Fahrten; bis aus Österreich werden die Zuschauer angekarrt. Unter den prominenten Nazis, die alljährlich im Publikum sitzen, ist 1936 Heinrich Himmler, der „Reichsführer SS“, der prominenteste; mit ihm kommt der gesamte Reichsbauernrat.

1936 feiert der Gauleiter Hochzeit, unter seinen Gästen ist der NSDAP-Chefideologe Alfred Rosenberg, der 1946 im Nürnberger Prozess als Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet wird. Zu den Gratulanten gehört auch Fey, der dem Gauleiter Völkisches reimt: „Wos Groaß in unnre Sehnsucht ruaht, / wos hälfts, wärds net verarbt im Bluat. / Die Zukunft, nix wie des sou klar, / it für a Volk sei Kinnerschaar.“

1938 führen die Giebelstädter das Stück zum vorläufig letzten Mal auf. Als sie es 1980 wieder aufnehmen, spielen sie, geringfügig gekürzt, nach Feys Fassung von 1933. Dann, zehn Jahre später, im Jahr 1990, engagieren sie Renier Baaken, den früheren Chefdramaturg des Würzburger Stadttheaters. Er lässt von Fey nur wenige Reste übrig, schmeißt das steife Pathos und die Deutschtümelei raus, führt Figuren aus Werken von Hauptmann, Goethe, Schiller und anderen ein.

Baaken macht aus einem völkisch gefärbten Langweiler ein mitreißendes und temporeiches, zuweilen drastisches Historien-Spektakel.

In diesem Jahr ist es zum letzten Mal zu sehen. Ab 2016 zeigen die Giebelstädter eine eigenständige Trilogie über Florian Geyer und seine Rolle im Bauernkrieg. Renier Baaken hat sich mit dem historischen Stoff befasst und ein eigenes Stück geschrieben, das der Person Geyers als auch den Geschehen des Jahres 1525 näher kommen soll als Feys Werk.

„Actiongeladen und fesselnd“ soll die Inszenierung sein, steht in der Ankündigung. Der Titel des ersten Teils verheißt Schrecken: „Franken in Flammen“.

Geyer-Festspiele

„Florian Geyer – der Rebell“ nach Nikolaus Fey in der aktualisierten Fassung von Renier Baaken feiert am Freitag, 17. Juli, in der Giebelstadter Geyer-Ruine Premiere.

Aufführungen sind jeweils freitags und samstags am 18. Juli, 24./25. Juli, sowie am 31. Juli und 1. August. Vorstellungsbeginn ist um 20.30 Uhr.

Der Biergarten am Festspielgelände ist bereits ab 18 Uhr geöffnet. Um 18.30 Uhr gewährt eine Backstage-Tour Einblicke hinter die Kulissen (Ticket 5 Euro).

Karten gibt es im Vorverkauf bei Schreibwaren Krenkel in Giebelstadt, Tel. (0 93 34) 3 97, im Internet www.florian-geyer-spiele.de sowie beim Ticket-Service der Main-Post: Tel. (0931) 6001 6000, Email: info@mainticket.de

Historische Aufnahme: Die Florian-Geyer-Festspiele im Jahr 1981 aus dem Blickwinkel des Publikums betrachtet.
Foto: Archivbild: v. Schroetter | Historische Aufnahme: Die Florian-Geyer-Festspiele im Jahr 1981 aus dem Blickwinkel des Publikums betrachtet.
 
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