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WÜRZBURG
Film nach Leonhard Frank: Uaufführung 50 Jahre nach dem Kinostart
Familienbesuch: Daniel Osthoff, Michael Henke und Hans Steidle (von links) von der Frank-Gesellschaft konnten auch den Enkel des Schriftstellers Miguel Frank (Zweiter von rechts) beim Symposium begrüßen.
Foto: Rötter | Familienbesuch: Daniel Osthoff, Michael Henke und Hans Steidle (von links) von der Frank-Gesellschaft konnten auch den Enkel des Schriftstellers Miguel Frank (Zweiter von rechts) beim Symposium begrüßen.
Karl-Georg Rötter
Karl-Georg Rötter
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:36 Uhr

Fangen die Würzburger jetzt tatsächlich doch noch an, ihren „Mitbürger“ Leonhard Frank wertzuschätzen? Oder war es einfach nur eine interessierte Minderheit, die am Samstagnachmittag im Central-Programmkino Schlange stand, um eine Eintrittskarte für den Film „Chronik eines Mordes“ zu bekommen? Oder hing es vielleicht mit dem an diesem Wochenende stattfindenden Symposium für Frank-Spezialisten zusammen? Oder war es einfach nur dem Regenwetter draußen geschuldet, dass das Kino schließlich total ausverkauft war?

Vielleicht war es von allem ein bisschen. Tatsache war jedenfalls, dass das Kino bis auf den allerletzten Platz besetzt war. Sicher hat es auch etwas mit der Aktionswoche „Würzburg liest ein Buch“ zu tun, die vom 3. bis 14. April den Frank-Roman „Die Jünger Jesu“ in den Mittelpunkt und dazu bisher über 100 Veranstaltungen auf die Beine gestellt hat. Der 1964/65 in der damaligen DDR entstandene Film beruht auf einem Erzählstrang aus Leonhard Franks Roman „Die Jünger Jesu“, der im Nachkriegs-Würzburg angesiedelt ist – und den ihm die Würzburger lange Zeit sehr übel nahmen.

Eine der Geschichten aus Würzburg, die Frank darin erzählt, handelt von dem jüdischen Mädchen Ruth. Sie musste mit ansehen wie ihre Eltern auf dem Würzburger Marktplatz von Nazis zu Tode geprügelt wurden.

Sie selbst kam erst ins Konzentrationslager, anschließend in ein Bordell in Warschau. Als gebrochener Mensch kehrt sie nach Hause zurück und muss miterleben, dass der Mörder ihrer Familie noch immer frei herum läuft. Da ihm niemand den Prozess machen will, greift sie zur Selbstjustiz.

„Viele Objekte der Wissenschaft sind überforscht, der Kriegs ist es nicht.“
Professor Wolfgang Riedel Würzburger Literaturwissenschaftler

Diese Handlung wird in dem DEFA-Film, der in einer nicht benannten deutschen Stadt Mitte der 1950er-Jahre spielt, weitgehend übernommen. Die Protagonistin (gespielt von der jungen Angelica Domröse) trägt ebenfalls den Namen Ruth, sie ist Jüdin und erlebt, wie ein Mann zum Bürgermeister der Stadt gewählt wird, der als ehemaliger SA-Mann das Leben ihrer Eltern auf dem Gewissen hat.

Ruth besitzt außerdem ein Mappe mit Dokumenten über das Schicksal ihrer Eltern, die auch die Schuld des neuen Bürgermeisters beweisen. Sie wandte sich damit an die Behörden, aber niemand will den Kriegsverbrecher vor Gericht stellen – alle fürchten einen Skandal.

Ruth greift in ihrer Ausweglosigkeit selbst zur Pistole, erschießt den Bürgermeister – und nimmt eine Haftstrafe in Kauf.

Jetzt war dieser Film, der wohl keinen, der ihn gesehen hat, unberührt ließ, zum ersten Mal überhaupt in Würzburg zu sehen. Zu verdanken ist dies der Leonhard-Frank-Gesellschaft. Deren Vorsitzender Michael Henke erklärte vor der Vorführung, dass dieser DDR-Film auch nur sehr selten anderswo im Westen gezeigt wurde. Er galt, wie es in einer Besprechung aus der Zeit seines Kinostarts heißt, als polemische Attacke auf den Umgang der Bundesrepublik mit den Erblasten des Dritten Reichs, die die Abgründe hinter der positiven Seite des Wirtschaftswunders aufdecken sollte.

Unter dem Titel „Krieg und Nachkrieg“ hatte die Frank-Gesellschaft gemeinsam mit dem Lehrstuhl für neuere deutsche Literatur- und Ideengeschichte am Wochenende zu einem zweitägigen Symposium eingeladen. Lehrstuhlinhaber Prof. Wolfgang Riedel sprach in seiner Einführung davon, dass der Anlass dieses Symposiums der Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren gewesen sei. Dessen Bedeutung als Urkatastrophe werde jedoch häufig verstellt durch die nachfolgende noch größere Katastrophe des Zweiten Weltkriegs.

Deshalb erwartet sich Riedel durch das Gedenkjahr auch neue Forschungsergebnisse: „Viele Objekte der Wissenschaft sind überforscht, der Kriegs ist es nicht“, so der Literaturwissenschaftler.

Der Würzburger Kulturreferent Muchtar Al Ghusain, der im Namen der Stadt die Teilnehmer begrüßte, ließ wissen, dass er 2006 nach seiner Wahl zum Kulturreferenten als erstes eine Würzburger Buchhandlung aufsuchte und sich dort mit Frank-Büchern versorgte. Er bedauerte, dass es immer wieder Kriege seien, die Künstler zu ihrem kreativen Tun veranlassen.

Michael Henke äußerte die Hoffnung, dass das Symposium dazu beiträgt, dass Leonhard Frank künftig im Kontext seiner Autorenkollegen gesehen wird, die sich mit dem Thema Krieg und seine Folgen befasst haben: „Da ist Frank bisher unterschätzt, obwohl es keinen Grund dafür gibt“.

 
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