
Böllerschüsse vom Auber Stadtturm am Samstag Nachmittag, sind nicht alltäglich. Sie kündigen ein besonderes Ereignis an. Aufregung herrscht vor der Stadt, viel Volk hat sich eingefunden: Kaufleute kommen. Ein Kaufmannszug nähert sich von Simmershofen her der Stadt. Die Auber Stadtwache ist schon zur Stelle. Mit ihren Spießen verstellen sie den Ankömmlingen den Weg. Der Kaufmannszug kommt zum Stehen.
Zahlreiche Zuschauer hatten sich am Samstag in Aub eingefunden, um die Ankunft des Seligenstadter Geleitszuges zu erwarten. Seit dem 6. Juni war der Zug unterwegs, kam von Augsburg über Donauwörth, Nördlingen, Dinkelsbühl, Rothenburg nach Aub. Rund 200 Personen sind mit 18 Fuhrwerken, die von rund 40 Pferden gezogen werden, unterwegs.
Weihrauch und Pestarzt
Die Auber Stadtwache sorgt sich um die Gesundheit der Bevölkerung, hat Angst vor ansteckenden Krankheiten, vor Flöhen, der Pest und der Syphilis. Eigens ein Pater mit Weihrauch und sogar ein Pestarzt sind gekommen, um die Ankömmlinge zu inspizieren. Erst als sie ihr Einverständnis geben, darf der Zug das Stadttor passieren.
So oder so ähnlich hätte es sein können, als die Kaufmannszüge die Lande bereisten, als Geleitszüge unterwegs waren wie der von Augsburg nach Seligenstadt bei Frankfurt. Vom 11. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert hinein zogen Kaufleute mit ihren Waren zur Messe in Frankfurt, die damals noch einem Großmarkt glich.
Wenn ein Geleitszug in einer Stadt ankommt, so besagte das Stapelrecht, dann mussten die Waren ausgepackt und vor Ort zum Kauf angeboten wurden. Diese Mühe blieb den Kaufleuten am Samstag in Aub erspart. Aber ein Geschenk für den Auber Magistrat musste schon sein. Es war ein Spektakel, als sich die Kolonne in Bewegung setzte, durch die enge Etzelstraße zum Auber Marktplatz zog. Vorneweg die Reihen der Soldaten mit ihren Trommeln. Die Pferdefuhrwerke folgten hintendrein.
Am Marktplatz nahmen sie Aufstellung. Schultheiß Robert Melber begrüßte die Ankömmlinge, ein Teil seines Magistrats stand ihm zur Seite. „Volk von Aub, es ist wieder so weit: Die Hessen kommen!“ stimmte Melber seine Bevölkerung ein. Bereits zum vierten Mal machte der Seligenstadter Kaufmannszug in Aub Station. Einen Ruhetag wollten sie hier einlegen. Melber freute sich besonders darüber, dass viele junge Leute mit dabei waren.
Seit nunmehr zwölf Jahren verbindet Aub und Seligenstadt eine herzliche Freundschaft. „Es war Liebe auf den ersten Blick,“ führte Melber aus. Seit 2003 der Kaufmannszug zum ersten Mal Aub besuchte, werden die Teilnehmer an der Gollach aufs herzlichste aufgenommen. Die ihrerseits sprachen auch eine Einladung aus, zum Seligenstadter Geleitsfest.
Vom 18. bis 20. Juli wird dort nach vier Jahren wieder das Geleitsfest mit dem historischen Löffeltrunk gefeiert. Da werden auch die Teilnehmer des Geleitszuges in die Stadt einziehen und die Strapazen der Tour in einem rauschenden Fest vergessen lassen. Beim Löffeltrunk muss ein riesiger Löffel geleert werden. Wem die Aufgabe zuteil wird, steht noch noch nicht fest. Ein Muster des Löffels hatten die Kaufleute aber schon einmal dabei, ein „Löffelmädchen“ zeigte ihn den Aubern.
Baden im Marktbrunnen
Dass am Samstagabend auch in Aub ein großes Festbankett stattfand, versteht sich von selbst. Der gesamte Marktplatz verwandelte sich in eine riesige Tafel, an dem die auswärtigen Kaufleute und ihr Tross bewirtet wurden. Das Essen und einen Teil der Getränke spendierten die Auber. Reger Festbetrieb herrschte bis in die Nachtstunden und dass bei der warmen Witterung der Marktbrunnen förmlich zum Baden einlud, war abzusehen. So herrschte nach dem Abendessen reger Badebetrieb im Rund des Brunnens.
Am Sonntag hatten die Teilnehmer Zeit, sich von den bisherigen Strapazen auszuruhen. Erst am Montag geht es weiter. Um zehn Uhr setzt sich der Zug wieder in Bewegung, dann führt die nächste Etappe über Gelchsheim, Riedenheim, Stalldorf, Simmringen, Bütthard und Unterwittighausen nach Tauberbischofsheim.
Seligenstadter Geleitzug
Wo in früheren Zeiten kostbare Waren, Geld und Wertsachen transportiert wurden, waren Räuber nicht weit. Je mehr solche Kaufmannskolonnen durch die Lande zogen, desto mehr nahmen auch die Überfälle zu. Um diesem Unwesen Herr zu werden und die „Pfeffersäcke“, wie die Kaufleute damals genannt wurden, zu schützen, stellte erstmals Kaiser Friedrich II. Schutztruppen gegen Gebühr zum Geleit zur Verfügung.
Bis ins 19. Jahrhundert war die Begleitung der Kaufmannszüge durch Geleitsreiter eine ständige Einrichtung. In den Büchern der Kaufleute hießen sie Geleitsreiter, in den Akten der kurmainzischen Regierung werden sie „Einspännige“ genannt. Das Wort bezeichnet einen einzelnen Reiter oder Marställer, der zum Geleit mitgegeben wurde und Bestellungen ausrichtete. Sie waren durch gleiche Farben gekennzeichnet, bewaffnet und verantwortlich für die Ordnung innerhalb eines Kaufmannszuges.
Der Älteste von ihnen, der ein „Beweistumb“ bei sich trug, gab die Reisetermine bekannt und regelte die Zugordnung. Er wachte über die Rechte der Kaufleute, verhinderte Übergriffe durch die Geleitsherren und berichtete direkt an den Rat seiner Stadt. Auf der Geleitsreise ritt er vorne bei der Geleitskutsche, die anderen hielten bei den Lastwagen Ordnung. Eine Rotte Kurmainzer Einspänniger bestand in der Regel aus 24 Reitern, die durch einen Hauptmann befehlig wurden.
Zahlreiches Begleitpersonal
zieht auch in diesem Jahr wieder mit dem Seligenstadter Kaufmannszug. Zum vierten Mal seit 2003 machte sich historische Zug heuer in Augsburg auf den Weg. Ausnahmsweise endet er diesmal nicht in Seligenstadt, sondern in Mühlheim am Main, wo er pünktlich zum Festzug der dortigen 1200-Jahr-Feier eintreffen wird. AGE