Jedes Jahr im Frühling wiederholt sich der Fall, dass Spaziergänger im Wald vermeintliche Findeltiere finden und mit nach Hause nehmen. Was oftmals gut gemeint ist, hat dennoch fatale Folgen. Nun ist es im Landkreis Würzburg wieder passiert: Eine Passantin fand in freier Natur ein wenige Tage altes, vermeintlich von der Geiß verlassenes Rehkitz. Sie nahm es, eingewickelt in einer Hundedecke, mit zu sich nach Hause.
Ihren Fund machte sie, ähnlich wie bei entlaufenen Haustieren, auf Plakaten öffentlich. Spaziergänger, die den Hinweis mit Angabe einer Telefonnummer registrierten, informierten die Polizei. Mittlerweile ist der inzwischen etwa zwei Wochen alte kleine Rehbock in der Obhut des zuständigen Jagdpächters, der nicht genannt werden möchte. Er kümmert sich nun um das Tier und der Versuch, das Kitz mit der Flasche groß zu ziehen, scheint zu gelingen.
"Leider wiederholt sich solches Verhalten immer wieder. Was auch immer Menschen bewegt, neugeborene Wildtiere aus freier Natur mit nach Hause zu nehmen, ist generell strafrechtlich relevant und erfüllt den Straftatbestand eines Vorsatzdeliktes der Jagd-Wilderei, eines Verstoß gegen das Aneignungsrecht und des Tierschutzgesetz", mahnt der zuständige Jagd-Sachbearbeiter, Polizeihauptmeister Bernhard Simon, die Vorfälle an.
Simon leitet mit seinen Kollegen der Polizei-Inspektion Würzburg-Land in dem konkreten Fall die Ermittlungen. Welche Folgen das Verhalten der Passantin hat, entscheidet nach Abschluss der Ermittlungen die Staatsanwaltschaft.
"Immer wieder führt die von jungen Wildtieren ausgehende Faszination zu fatalem, und für den Tiernachwuchs häufig tödlich endenden, menschlichem Fehlverhalten. Leider holt uns das Thema jedes Jahr ein", bedauert Michael Hein, Vorsitzender der Kreisgruppe Würzburg im Bayerischen Jagdverband (BJV).
Fakt ist, sagt Hain: "Weder das vermeintlich verlassene Rehkitz noch der augenscheinlich allein gelassene Junghase benötigen zum Überleben unsere Hilfe. Hatten Jungtiere Körperkontakt mit dem Menschen, werden sie von den Elterntieren nicht mehr angenommen. Falsch verstandene menschliche Tierliebe bedeutet deshalb in der Regel den sicheren Tod für junge Wildtiere."
Als richtiges Verhalten beim Fund eines Rehkitzes empfiehlt Hein, sich ohne dies zu berühren, möglichst rasch vom Fundort zu entfernen. Denn die Geiß befindet sich mit Sicherheit in der Nähe, beobachtet die Stelle aus sicherer Deckung und bewacht ihr Kitz.
Kitze besitzen in den ersten zwei Wochen nach der Geburt noch keinen Flucht-Instinkt. Deshalb sei es auch besonders wichtig, Hunde beim Gassigehen an der Leine zu führen. "Finger weg von jungen Wildtieren ist das einzige tierliebe Verhalten, alles andere ist purer Egoismus und absolut unvernünftig", betont Hein.
Unterdessen scheint das "Findelkind" unter der Intensiv-Betreuung des Jagdpächters auf einem guten Weg zu sein. Zunächst musste das Kitz an Ersatznahrung aus Milchpulver gewöhnt werden. "Nach anfänglicher Weigerung, gönnt sich das Kitz inzwischen alle vier Stunden 200 Milliliter aus der Flasche. 3,6 Kilogramm bringt das Kitz inzwischen auf die Waage. Fidel lebt es in Gemeinschaft mit Hasen und Meerschweinchen. Es ist wie bei einem neugeborenen Kind", so die Erfahrung der "Pflegeeltern".
"Das, was wir hier mit der Aufzucht dieses kleinen Rehbocks machen, ist ureigenster Sinn des Waidwerks. Wir hegen und pflegen Wild", betonen BJV-Kreisvorsitzender Micheal Hein und der "Ziehvater". Ziel sei es, den kleinen Bock mit zunehmendem Alter auch an die Selbstständigkeit und Futtersuche zu gewöhnen, um ihn möglichst bald wieder auswildern zu können. "Wenn der mal in die Pubertät kommt, das Gehörn sprießt und Geißen wittert, ist er nicht mehr zu halten", prophezeit Hein.