An diesem Sonntag, 23. Juli, trifft sich ein rundes Dutzend Angehörige von Alkoholabhängigen (Al-Anon) außerplanmäßig in Würzburg. Eine von ihnen war im Sommer 1972 schon dabei, als die Selbsthilfegruppe ihre Begegnungsstätte in der Betonzeltkirche von St. Andreas im Würzburger Stadtteil Sanderau fand.
Robust sieht sie aus, die gestandene Frau. Aber damals? „Ich war völlig am Ende. Bei Al-Anon habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass ich mit meiner Situation nicht allein bin.“
Wer hat schuld?
In den 45 Jahren regelmäßiger Treffen hat sie erfahren: Jede Geschichte von Trinkern und ihren Familien ist individuell, und trotzdem gibt es große Gemeinsamkeiten: „Ein Alkoholabhängiger macht vier, fünf, alle Familienmitglieder krank.“ Indem die ihre Schuld bei sich suchen. Indem sie dem Vater oder – seltener – der Mutter die Lebensumstände so angenehm wie möglich machen wollen in der Hoffnung, die Flasche bleibe dann heute Abend mal zu.
Weitere verbindende Erfahrungen: Co-Abhängige denken nicht an ihre eigenen Bedürfnisse. Sie schämen sich, schränken ihre Kontakte ein, belügen andere und sich. Deshalb, so unsere Mitgründerin: „Alkoholismus ist nicht die Krankheit des Trinkers, sondern eine Familienkrankheit.“
Und: „Partnern von Alkoholikern fällt es wahnsinnig schwer, Hilfe für sich zu suchen und sich einer Gruppe anzuschließen.“ Nicht zuletzt deshalb funktionieren die 15 regionalen Treffpunkte zwischen Aschaffenburg, Bad Mergentheim, Bad Kissingen und Kitzingen nach den Prinzipien der Anonymen Alkoholiker, das heißt: klar, anonym – und auch nach dem Zwölf-Schritte-Plan.
Für die Würzburger Mitgründerin und ihre Schweinfurter Begleiterin spielt das religiöse Glaubensbekenntnis in diesem Plan nicht die allererste Rolle; dass jedoch irgendein Glaube an eine höhere Macht zur schrittweisen Arbeit von Al-Anon gehört, das möchten sie schon gerne in der Zeitung lesen.
Wichtig ist für sie, dass die Angehörigen unter sich sein können. Die anderen Hilfsorganisationen wie Blaues Kreuz und Kreuzbund organisieren lediglich gemischte Gruppen. Bei Al-Anon sind zudem nicht nur Trinkerfrauen willkommen, sondern Angehörige aller Art von Suchtkranken. Und selbstverständlich Männer trinkender Frauen.
Zehn bis 14 Angehörige treffen sich im Wochenwechsel allein unter sich, dann wieder mit ihren Partnern, von denen viele bereits trocken sind. Kein Grund, die Gruppenarbeit abzubrechen. Denn der Alkoholismus eines Ehepartners hat die Art des Zusammenlebens vor langer Zeit geprägt – und für lange Zeit.
Die alten Verhaltensmuster
Das Schweinfurter Gruppenmitglied erzählt: „Ich habe mich erst kürzlich wieder dabei ertappt, dass ich in alte Verhaltensweisen zurückgefallen bin. Die Gruppenarbeit dient dazu, dass man sich darüber klar wird und dass man solche Rückfälle vermeidet.“
Die Frau der ersten Stunde ergänzt: „Wir sind alte Hasen mit trockenen Partnern. Aber wir können keine Tipps geben, wie man seinen Mann von der Flasche wegkriegt. Wir können nur zeigen, dass niemand mit diesem Problem allein ist, so wie es mir vor 45 Jahren ging.“