Er sei Model-Agent, behauptet der Mann, der die 13-jährige Lina und ihre Freundin im Mai in der Würzburger Innenstadt anspricht. "Er hat gesagt, wir wären 'voll hübsch' und dass er unsere Handynummern will", erzählt die 13-Jährige, deren Name hier geändert ist, der Redaktion. "Und er hat gefragt, wie alt wir sind."
Die Antwort der beiden Schülerinnen auf diese Frage wird dem Fall eine Wendung geben, die Lina und ihre Eltern ernüchtert.
Dass aus der Begegnung überhaupt ein Fall für Polizei und Staatsanwaltschaft wird, liegt daran, dass Lina dem Drängen des Mannes nachgibt und ihm ihre Handynummer gibt. "Er hat sofort geschrieben", erinnert sie sich.
1000 Euro für Sex mit Minderjähriger geboten
Der Chat liegt der Redaktion vor. Zunächst stellt sich der Mann als "Ali Baba" vor und schickt einen Link zur Homepage einer international tätigen Modelagentur mit Sitz im Ausland, für die er angeblich nach neuen Gesichtern sucht. Dann bittet er um Fotos und bietet dafür nicht nur Geld, sondern auch "zärtliche Leidenschaft". Alles müsse aber "geheim" bleiben, betont er, vor allem vor Linas Eltern.
Doch Lina vertraut sich ihren Eltern an, sie gehen zur Polizei. Die Beamten können zunächst nichts tun: Die Äußerungen des Mannes sind nicht strafbar. In den folgenden Tagen werden die Nachrichten schlimmer. Der 57-Jährige beschreibt schamlos seine sexuellen Phantasien, macht deutlich, was er von der Minderjährigen will - und bietet Lina 1000 Euro für Sex.
Erneut geht die Familie zur Polizei, die nun Ermittlungen aufnimmt. Im Raum steht sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt. Doch im September stellt die Staatsanwaltschaft Würzburg das Ermittlungsverfahren ein.
14 statt 13 Jahre: Falsche Altersangabe entlastet Tatverdächtigen
Denn die Schülerinnen hatten dem Mann gesagt, dass sie bereits 14 Jahre alt seien. Ab 14 gilt man in Deutschland vor dem Gesetz nicht mehr als Kind, sondern als jugendlich. Und sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen sind - sofern sie einvernehmlich stattfinden - grundsätzlich erlaubt. Dem Beschuldigten habe man nicht nachweisen können, "dass er von dem kindlichen Alter" der tatsächlich erst 13-jährigen Lina wusste, erklärt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Angeblicher Model-Scout ist der Polizei bekannt
Der 57-Jährige habe die Tat bestritten, heißt es vonseiten der Staatsanwaltschaft. Dabei scheint es nicht der erste Vorfall dieser Art gewesen zu sein: Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken bestätigt, dass der Mann der Polizei bekannt ist. Seit 2020 sei er drei weitere Male mit derselben Masche aufgefallen und angezeigt worden. Darüber hinaus sind vier weitere Fälle aktenkundig, in denen der angebliche Model-Scout "Jugendliche, Volljährige und in einem Fall auch ein Kind ansprach, ohne dass es zu strafbaren Handlungen kam".
Die Polizei habe ihn deshalb unter anderem bereits "erkennungsdienstlich behandelt", also seine Personalien festgestellt, und Platzverweise ausgesprochen. Außerdem seien dem 57-Jährigen "im Zuge von Gefährderansprachen Konsequenzen und auch die mögliche Strafbarkeit seines Handelns aufgezeigt" worden.
Die heute 14-jährige Lina habe im Mai "einiges richtig gemacht", betont der Polizeisprecher: Sie habe sich ihren Eltern anvertraut, die Nachrichten und Chatverläufe mithilfe von Screenshots gesichert und sich an die Polizei gewandt. So hätten die Beamtinnen und Beamten den Mann schnell ermitteln können.
Familie will andere potenzielle Opfer vor der Masche warnen
Linas Familie beschäftigt der Vorfall bis heute. Sie alle seien entsetzt und enttäuscht gewesen, als sie erfuhren, dass der Justiz in dem Fall die Hände gebunden sind, sagt Linas Mutter. "In Deutschland gibt man sich große Mühe, alle Geschlechter auf respektvolle Art und Weise anzusprechen und sichtbar zu machen", sagt sie. Das sei "richtig und wichtig". Wenn es aber bei Kindern "um tatsächlichen Schutz vor körperlicher, sexueller und seelischer Gewalt geht", wirke es so, als sei man hier "alles andere als auf der Höhe der Zeit".
Durch die rechtliche Lage seien "eher erwachsene und missbrauchsbereite Menschen" geschützt, "anstatt jüngere, die noch ihr ganzes Leben vor sich haben". Auch deshalb wolle die Familie andere warnen. "Es gibt Kinder, die sich ihren Eltern in einer solchen Situation vielleicht nicht anvertrauen, sich auf ein Treffen einlassen, in der Hoffnung, tatsächlich berühmt zu werden", befürchtet Linas Mutter.
Modelagentur beschäftigt gar keine Scouts
Bei der Modelagentur, für die der 57-Jährige tätig sein will, reagiert man ratlos auf eine Anfrage der Redaktion. Es sei nicht das erste Mal, dass er höre, dass sich Männer in der Öffentlichkeit oder im Internet als Model-Scouts ausgeben, um sich so jungen Frauen oder Mädchen zu nähern, teilt der Geschäftsführer der Agentur mit. "Fakt ist aber, dass wir gar keine Scouts beschäftigen."
Was die Polizei Betroffenen von Cybergrooming rät
- Chat-Verlauf sichern, etwa über Screenshots
- Direkt die Polizei wenden, gerne auch telefonisch
- Bei der Polizei nachfragen, ob man auch anzügliche Bilder oder Videos aus dem Chatverlauf sichern soll. Je nach Inhalt, kann man sich dabei unter Umständen selbst strafbar machen.
- Nach Absprache mit der Polizei Absender blockieren und Löschung des Accounts beim jeweiligen Netzwerk beantragen.