
Seit 80 Jahren ragt der Rumpf der zerbombten Mainbrücke in Winterhausen als Mahnmal und auch Aussichtspunkt aus dem Dorf heraus. Die Gedenkfeier zum Jahrestag gab schmerzlicher Erinnerung, großer Dankbarkeit und noch größerer Hoffnung Ausdruck – sehr berührend gestaltet und erlebbar gemacht, am Brücken-Zollhäuschen.
Ein Freitag war es, kurz nach Schulschluss, als alliierte Flugzeuge am 23. Februar 1945 um 11.49 Uhr Sprengbomben auf die Mainbrücke zwischen Sommerhausen und Winterhausen entluden. "Wie, wenn man einen Korb Kartoffeln ausleert, so sind die Bomben runtergeknallt", schildert die Winterhäuserin Gerda Trunk ihr Erleben als Zeitzeugin. In der zweiten Klasse war sie damals gewesen, auf dem Nachhauseweg von der Grundschule. Ihre Generation ist mit vielleicht 40 Seniorinnen und Senioren im 200-köpfigen Publikum vertreten, jeder mit seiner eigenen Geschichte und manche auch wieder mit Tränen in den Augen. Drei Menschen starben. Trunk berichtet von Kindern, "die direkt reingelaufen" wären, wenn sie nicht von Bewohnern in den Keller gerufen worden wären, als die Flieger der "Operation Clarion" ankamen.
Großes Glück: Kein Mensch war auf der Brücke
Dass wirklich gerade kein Mensch auf der Brücke war, erscheint noch heute als unfassbares Glück, zumal Sommerhäuser Kinder in Winterhausen zur Schule gingen und umgekehrt. Ihr Schulweg führte über die Brücke. Und nach der Bombardierung standen sofort Eltern am Mainufer, wussten nicht, was mit ihren Kindern passiert ist, verdeutlichte Bürgermeister Christian Luksch die hochdramatische Situation. "DRANDENKEN" steht in Großbuchstaben auf dem Einladungs-Folder. Nicht nur erinnern, sondern "drandenken", dass der Frieden nicht selbstverständlich sei, mahnte Luksch nicht zuletzt mit Blick auf das tägliche Leid in der Ukraine.
Der 80. Jahrestag ist wieder ein freundlicher, klarer Vorfrühlingstag. Ein dreiminütiges Glockenläuten und eine Gedenkminute dienten dem Andenken, das Luksch am besten gewahrt sieht, "wenn wir für Freiheit und Frieden einstehen".
Musikalischer Brückenschlag über den Main
Den wohl emotionalsten Part schufen dann die Sommerhäuser Musikanten. Matthias Hörner spielte in Winterhausen die Volksweise "Es führt über den Main eine Brücke aus Stein" als Trompeten-Solo an und Frank Lindner antwortete vom Brückendenkmal auf Sommerhäuser Seite mit dem Echo. "Das ging ganz tief rein", bekannte Monika Wagner-Repiscus aus dem Publikum. "Ich bin hier in der Maingasse aufgewachsen", berichtet sie. Der Brückenkopf sei für sie Spielplatz und dunkle Faszination zugleich gewesen, weil man als Kind die Erzählungen in der Familie nicht umreißen und einordnen kann.
Und erzählt wurde viel, ergänzt Gerda Enk. Die Winterhäuser Künstlergruppe Enk-Reuter hatte die Initiative zum Gedenken vor rund zwei Monaten ergriffen und in den Rathäusern offene Türen eingerannt, so Enk. Den 23. Februar 1945 hat die Installationskünstlerin in einer Bild- und Text Montage verarbeitet, aus der das Grauen herausspringt. Basis ist unter anderem ein Originalfoto vom zerstörten Maschinenhaus der Mühle, präsentiert auf robusten Lkw-Planen. Die Bilder entsprächen ihrer aktuellen "Narren"-Reihe, mit der sie auf viele Ereignisse reagiere. "Verbindungen hochzuhalten ist unser Thema", erklärt Enk. Hier vor Ort Leute zusammenzubringen sieht sie als eine Art Friedensarbeit.
Ein Ereignis, das die Menschen bis heute aufwühlt
Thomas Reuter wiederum hat für dieses Gedenken Lieder umgeschrieben. Da träumen die Steine "Am Grunde des Maines (…), ach lasst uns was bauen, ach lasst uns vertrauen. Es wechseln die Zeiten. Es braucht kein' Gewalt, es braucht kein' Gewalt (…)", heißt es nun in Bertolt Brechts "Lied von der Moldau". Und das vermeintliche Kinderlied "Es führt über den Main …" hat eine neue Strophe bekommen: "Ist die Brücke kaputt, so braucht es neuen Mut, neue Brücken zu bau'n und aufs Leben zu vertrau'n". Vorgetragen hat er, Akkordeon spielend, zusammen mit Tenor Oliver Trahndorff und Chorsängerin Henriette Wilken.
Dass so viele Menschen gekommen sind, gleichermaßen aus Sommerhausen wie Winterhausen, um wegen der Ereignisse vor 80 Jahren innezuhalten, übertraf die Erwartungen bei weitem und war Zeichen dafür, dass die Zerstörung der Mainbrücke Sommerhausen-Winterhausen ein schwerwiegendes Ereignis war, das bis heute aufwühlt und präsent ist, so Winterhausens Bürgermeister. Kollege Wilfried Saak war erkrankt.
Die Verbundenheit der beiden Dörfer betreffend, war es ein sehr guter Tag. Die Brücke, deren Geschichte Luksch umrissen hatte, wollte er nicht nur als Bauwerk verstanden wissen, sondern als Verbindung. Als "Symbol menschlicher Sehnsucht und Willensstärke", ergänzte Pfarrer Jochen Maier. "Achtsam mit dem umzugehen, was uns anvertraut ist, gilt für Bauwerke und Beziehungen."






