Trotz der schweren Strahlenbelastung nach einem Reaktorunfall sind die Überlebensraten bei Kindern und Jugendlichen hoch. Zum 27. Jahrestag des Atomunfalls von Tschernobyl haben Würzburger Nuklearmediziner mit Kollegen aus Minsk jetzt eine neue Langzeitstudie vorgelegt. Das Ergebnis: Fast alle Kinder und Jugendlichen, die nach dem Atomunglück an Schilddrüsenkrebs erkrankt waren, haben bis heute überlebt.
Bei dem Reaktorunfall am 26. April 1986 waren große Mengen radioaktiver Stoffe entwichen. In den Jahren danach wurde bei Kindern und Jugendlichen in der Ukraine, in Weißrussland und im Westen von Russland vermehrt Schilddrüsenkrebs festgestellt. Bei den meisten Betroffenen entwickelte sich eine Tumorform, die bei Kindern aggressiver als bei Erwachsenen verlaufe, sagt Professor Christoph Reiners, Nuklearmediziner und Ärztlicher Direktor der Würzburger Uniklinik. Die Therapie habe dennoch bei fast allen Patienten gut angeschlagen – das berichtet Reiners mit seinen Kollegen in der neusten Ausgabe des „Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism“.
Christoph Reiners war von Anfang an Studien beteiligt, die sich mit den gesundheitlichen Folgen des Kernkraftwerkunfalls von Tschernobyl befassten. In der Langzeitstudie hatten die Forscher zwischen 1992 und 2012 insgesamt 229 Kinder und Jugendliche mit Schilddrüsenkrebs beobachtet. Die Tumore der Kinder waren zuerst in Weißrussland operativ entfernt worden, danach erhielten die Patienten in Deutschland eine Radioiod-Therapie. Alle Studienteilnehmer galten als Hochrisiko-Patienten, weil sie sehr hohe Strahlendosen abbekommen hatten.
Das Ergebnis der Studie: Trotz des hohen Risikos hätten sich bei 64 Prozent der Studienteilnehmer nach einer Operation die Tumore komplett zurückgebildet. Bei weiteren 30 Prozent habe die Radioiod-Therapie zu einer fast kompletten Rückbildung geführt. Rückfälle seien nur bei zwei Patienten aufgetreten. Diese Ergebnisse seien „ermutigend für andere Strahlenopfer“, sagt Christoph Reiners. Der Würzburger Mediziner rechnet nicht damit, dass es in Japan nach dem Reaktorunglück in Fukushima im Jahr 2011 ähnlich viele Krebsfälle geben wird wie damals in Tschernobyl. Die schnelle Evakuierung sowie weitere Gegenmaßnahmen, wie etwa die Kontrolle der Lebensmittel, dürften das Risiko für Kinder und Jugendliche rund um Fukushima stark verringert haben.
Denn eine Lehre aus Tschernobyl sei gewesen: Besonders Kinder und Jugendliche müssten nach Strahlenunfällen sorgfältig auf Schilddrüsenkrebs hin beobachtet werden. „Denn die Heilungschancen sind besser, wenn die Krankheit möglichst früh erkannt wird“, sagt Reiners. In der Region Fukushima seien entsprechende Screening-Programme angelaufen.