Lässig gekleidet in T-Shirts, Hoodies, Jeans und Badelatschen passte das Erscheinungsbild der zwölf Jünger bei der am Palmsonntag erstmals aufgeführten Passion in Leinach (Lkr. Würzburg) so gar nicht in das klassische Bild der Leidensgeschichte Jesu. So manchen im Publikum verwunderten, vielleicht sogar überforderten zunächst die für den Anlass ungewöhnlichen optischen und akustischen Eindrücke. Doch vereinnahmt vom revolutionären Spagat einer zeitgemäßen Darstellung der klassischen Überlieferung der Leidensgeschichte war das Publikum nicht erst bei der bedrückenden Stille zur Kreuzigung. Die Resonanz zu den beiden Aufführungen bei Jung und Alt reichte von tief bewegt und beeindruckt bis überwältigt von der Inszenierung.

Ein eigens erarbeitetes Text-Script

Ausdrücklich weder Anmaßung zu Aufführungen bekannter Passionsspielorte noch kitschiges Theater sollte die in und um die St.-Laurentius-Kirche in einer außergewöhnlichen Version erstmalig gespielte Leinacher Passion laut Mitinitiatorin Ute Kettenmann sein. Über die in die Gegenwart überlieferte Darstellung der Passionsgeschichte hinaus unterscheitete sich die einzigartige Vorlage der "Leinacher Passion" von bekannten klassischen Varianten durch ein eigens erarbeitetes Text-Script. Dieses erstellten Doris Weise und Ute Kettemann aus den Evangelien von Johannes, Lukas und Markus. Darüber hinaus wurden wegen der einfacheren Sprache einzelne Passagen auch aus der Volx-Bibel entnommen.

Gespielt für Gläubige und Zweifler gleichermaßen, veranstaltete das Familiengottesdienst-Team / Gemeindeteam der Pfarreiengemeinschaft Leinach die Aufführungen. Unter dem Leitwort aus dem Johannes-Evangelium "Es gibt keine größere Liebe …" inszenierten rund 70 Darstellerinnen und Darsteller innig die Geschichte vom Leiden und Sterben des Heiland mit Herzblut und auf beeindruckende Weise.

Einzug von Jesu in Jerusalem als Selfie versandt

Womöglich provokant vorgekommen sein mag so manchem im Publikum unter interaktiver Beteiligung schon die Jubelszenen vom Einzug in Jerusalem mit in die Welt versandten Selfies. Ungewöhnlich auch die Konstellation des römischen Konsulats und einem von Mitgliedern des Gemeinderats dargestellten Hohen Rats. In jedem Fall als außergewöhnlich erwies sich die teilweise digital eingespielte oder vom Gemischten Chor des Gesangvereins "Gemütlichkeit" live gesungene Musikauswahl.

Ein Liedtext von Deutsch-Rapper Sido oder auch die vom Chor gesungene deutsche Version von "The Rose" zog das Publikum ebenso in den Bann wie das von Chorleiter Christian Brüggemann arrangierte "Vater unser". So bewegten sich ständig nicht nur Text und Kostüme zwischen Überlieferung und zeitgemäßer Gegenwart sondern auch die Musik. Auf atemberaubende Weise hatten die Darsteller ihre Rollen im Laufe der Proben seit Beginn der Fastenzeit nicht nur verinnerlicht. Sie lebten sie voller Authentizität. Aus Leidenschaft wurde von Menschen aus dem Dorf personifizierte Passion. Und so löste die Kombination der Leinacher Passion aus Erzählung und Schauspiel sowie Musik und Gesang helle Begeisterung aus.

Wiederholung der Passion durchaus möglich

Aufmerksame Zuhörer der beiden Aufführungen waren neben Thüngersheims Bürgermeister Michael Röhm auch die ehemaligen im Leinachtal tätigen Pfarrer Albin Krämer und Andreas Bosl sowie der amtierende Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Andreas Kneitz. "Die durch Szenen und Texte aufgeworfenen Bilder reichten wirklich hinein bis in unsere Zeit", bemerkte Röhm. Albin Krämer, inzwischen Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bistum, zollte "tief bewegt den Beteiligten aller Generationen hohen Respekt vor dem, was hier entstanden ist." Skeptisch sei er keineswegs gewesen bezüglich der integrierten modernen Elemente, räumte Pfarrer Andreas Bosl ein. "Schließlich wusste ich, dass das Ganze enorme Substanz hat und wer die Fäden in die Hand genommen hat."

Der amtierende zuständige Pfarrer Andreas Kneitz brachte seine Bewunderung zum Ausdruck für eine immense Initiative durch das Familiengottesdienst-Team als Veranstalter mit einem überwältigenden Ergebnis. Kneitz´ Vermutung, wonach "vielleicht hier und heute ein Teil von Evangelisierung passiert ist", bestätigte sich beim gemeinsamen Abschlusstreffen. Dabei verwandelte sich das Wasser des Regen in Wein. Die unter den tief gehenden Eindrücken an Mitinitiator Waldemar Amrehn gerichtete häufigste Frage betraf freilich einer möglichen Wiederholung. Diese könnte durchaus möglich sein.