Im September 2018 kündigte Miriam Odongo ihren Job als Heilerzieherin, um ein neues Leben zu beginnen. Im Gepäck hat sie einen Rucksack und ein One-Way-Ticket nach Uganda, ohne Rückflug. Ein Jahr später ist sie verheiratet und gründet mit Ehemann Charles die Hilfsorganisation Children Care Uganda Deuschland e.V.. Für ihr Engagement wurde sie im vergangenen Jahr bei der Internationalen Frauenorganisation "Global Digital Women" für den "Digital Female Leader Award" in der Kategorie "Social Hero" vorgeschlagen. Wir haben die Auswanderin während ihres Heimaturlaubs bei ihrer Familie in Lengfeld getroffen.
Seit die 27-jährige in Uganda lebt, kommt sie nur noch selten in die unterfränkische Heimat. "Wir versuchen an Weihnachten und Ostern nach Deutschland zu reisen", sagt sie. Ihre neue Heimat heißt Gulu, die Stadt mit 150 000 Einwohnern liegt im Norden des Landes.
Ihr Herz schlägt für Uganda
2013 war sie das erste Mal in Gulu, um eine Freundin zu besuchen, die ein Praktikum in einem Waisenhaus machte, "das war spannend, aber länger zu bleiben, konnte ich mir damals noch nicht vorstellen." Nach einem Gebetsabend sollte sich das ändern: "Da habe ich gemerkt, dass ich mit Uganda ist noch nicht fertig bin und längere Zeit dort bleiben will", sagt sie.
Ein Jahr später ist die Heilerzieherin keine Urlauberin mehr, sondern arbeitet ehrenamtlich in dem gleichen Waisenhaus. Den fünfmonatigen Freiwilligendienst finanziert und organisiert sie selbst. Ihre Uganda-Reise ist gut durchdacht und organisiert. Anders als viele junge, europäische Freiwillige ohne Ausbildung, die vom "Weisser-Retter-Komplex" geleitet, auf dem afrikanischen Kontinent etwas Gutes tun wollen, hatte sich die ausgebildete Heilerzieherin gut überlegt, was sie vor Ort "wirklich beitragen kann", wie sie sagt.
"Ich wollte nicht einfach nach Afrika fliegen und irgendwie Kindern helfen. Ich habe mir schon gut überlegt, mit wem ich arbeiten kann und was ich anbieten kann. Ich habe Tanz und Fitness für Mädchen angeboten und Kleinkinder betreut, die noch nicht zur Schule gehen." Seitdem schlägt ihr Herz für Uganda, "da zieht es mich einfach hin", sagt sie.
Zwei Menschen - eine Vision
Vier Jahre später, nach ihrem Studium der Heilpädagogik, legte sie die "Karten offen auf den Tisch", und plant ihre Auswanderung mit "komplett offenem Ende", wie sie sagt. "Eigentlich wollte ich nur ein paar Monate in Uganda verbringen und dann durch Asien und Afrika reisen". So der Plan.
"Es hätte auch sein können, dass ich nach einem Jahr zurück nach Deutschland gehe. Ich hätte mir auch vorstellen können, in Kanada zu arbeiten. Das wollte ich mir offen lassen."
Doch wenige Wochen nach ihrer Ankunft in Uganda kommt alles anders. Sie lernt ihren Mann, Charles Odongo, kennen. Wie Miriam engagiert auch er sich für die Kinder auf der Straße. Trainiert mit ihnen Fußball und unterstützt sie aus eigener Tasche. In Gulu leitete er ein Fitnessstudio.
Doch auch er will lieber der karitativen Arbeit nachgehen, am liebsten mit einer eigenen gemeinnützigen Organisation vor Ort: "Charles hatte die Idee schon ganz lange, aber ihn hat immer eine Person gefehlt, die ihn bei der Umsetzung unterstützt", sagt die junge Frau. "Als wir uns kennengelernt haben, war ich direkt Feuer und Flamme von der Idee, eine eigene Organisation zu gründen. Ich bin ein intuitiver Mensch. Wenn ich spüre, dass etwas richtig ist, dann mach ich es."
Nicht einmal ein Jahr später heiraten Miriam und Charles. "Ihn zu treffen, war der richtige Zeitpunkt in meinem Leben. Es passte einfach alles zusammen. Wir haben die gleiche Vorstellungen vom Leben, teilen die gleiche Vision. Wir wollen beide den Kindern helfen, die am Rande der Gesellschaft stehen, wenig Anerkennung und Hilfe bekommen. Wir wollen ihnen zeigen, dass sie etwas wert sind. Daraus ist dann auch unsere Organisation entstanden", sagt sie.
Ein Zufluchtsort für Straßenkinder
2019 gründet das Paar die gemeinnützige Organisation "Children Care Uganda Deutschland" mit Sitz in Gulu und Deutschland. Aus dem einstigen freien Fußballtraining entwickelt sich ein "Safe Space" für Straßenkinder: "Der Fußball war ein guter Anfang, um mit den Kids unbefangen ins Gespräch zu kommen und sich auszutauschen, vor allem für die Jungs." Die neue Lebensaufgabe ist aber auch herausfordernd: "Keiner von uns hat je hauptberuflich für Hilfsorganisationen gearbeitet. Deswegen haben wir als Erstes den Bedarf erfasst und geschaut, was wir selber leisten können."
Ihr Büro samt Nebenbau wird in der Stadt zum Zufluchtsort für Straßenkinder. Immer mehr obdachlose Kinder übernachten dort, um der Gewalt der Straße zu entkommen, "deswegen haben wir die Halle dann offiziell als Notunterkunft gestellt", sagt die Gründerin.
Tagsüber bieten sie dort warme Mahlzeiten, Freizeitaktivitäten und Ausbildungskurse an. Wie die Nähkurse für junge Mütter: "Seit letztem Jahr bieten wir jungen Frauen, die früh schwanger geworden sind und die Schule abbrechen mussten, Nähkurse an. Damit sie sich später selbständig machen können."
Die Organisation wächst. 2019 bauen sie außerhalb der Stadt ein Rehabilitationszentrum für Straßenkinder und Waisen. Dort können die Kinder und Jugendliche, fernab ihres alten Lebensumfeldes, in der Gemeinschaft leben und ihren Schulabschluss machen. Seit September 2020 wohnen dort zehn Minderjährige. In der Stadt haben sie seit Anfang vergangenen Jahres eine warme Küche: "Wir können den Kindern mittlerweile drei ausgewogene Mahlzeiten am Tag stellen mit frischem Gemüse. Einmal die Woche gibt es sogar Fleisch", erzählt Miriam Odongo im Gespräch.
All das, war aber nur möglich, weil sie mehr Spenden zur Verfügung hatten, sagt sie. Ihre Organisation lebt vom ehrenamtlichen Engagement ihres Teams und den Spenden aus Deutschland. Ihr nächstes Ziel: "Wir wollen uns weitestgehend selbstversorgen. Gemüse anbauen und Hühner halten." Sofern es die Corona-Pandemie zulasse, plant das Paar im Sommer wieder nach Würzburg zu kommen. Nicht nur, um die Familie zu besuchen, sondern auch um "mit der ein oder anderen Aktion" auf ihre Kinderhilfe aufmerksam zu machen.