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WÜRZBURG
Ella Bulatova: Mit der Geige Brücken schlagen
Aus Moskau nach Würzburg: Die Geigerin Ella Bulatova gibt an diesem Sonntag gemeinsam mit einer Organistin aus der französischen Partnerstadt Caen ein Benefizkonzert in der Marienkapelle.
Foto: Ursula Düring | Aus Moskau nach Würzburg: Die Geigerin Ella Bulatova gibt an diesem Sonntag gemeinsam mit einer Organistin aus der französischen Partnerstadt Caen ein Benefizkonzert in der Marienkapelle.
Von unserer Mitarbeiterin Ursula Düring
 |  aktualisiert: 23.12.2015 11:56 Uhr

Nicht nur die Geige singt in dem gemütlichen Haus am Heuchelhof. Wenn Musikerin Ella Bulatova erzählt, schwappt der Singsang ihrer Stimme in alle Winkel des vom Specksteinofen gewärmten Raums.

Ihre braunen Augen blitzen und sie wiegt sich im Takt ihrer temperamentvoll vorgetragenen Geschichten. Begeistert erzählt sie auch vom Benefizkonzert, das sie am Sonntag in der Marienkapelle gibt.

„Du musst immer ein bisschen besser sein als andere“. Die Geigerin erinnert sich genau an den Satz ihres Vaters, den er seinerzeit in Moskau der Fünfjährigen mit auf den Lebensweg gegeben hat. „Denn du bist eine Jüdin“. Die kleine Ella kann damit nicht viel anfangen. Heute weiß sie, was er sagen wollte: Nichts im Leben ist einfach, wer sich darauf einstellt, der lebt ein kleines bisschen leichter.

Mit Talent, Fleiß und Glück ergeigt sie sich als junge Frau an der Tschaikowsky-Hochschule einen Studienplatz, absolviert die Meisterklasse, bekommt überraschenderweise ein Probejahr beim renommierten Moskauer Rundfunkorchester. Dann der Schock: Weil sie in ihrem Pass als Jüdin ausgewiesen ist, wird sie nach dem Probejahr nicht übernommen, aber Mitglied des Bolschoi Orchesters. Mit der weltberühmten Musikformation reisen sie und Gatte Alexander, erster Solo-Pauker, quer durch die Welt, lernen ganz Europa kennen, gastieren auch sieben Mal in Deutschland.

Dann beginnt der grausame erste Tschetschenienkrieg, Sohn Dimitrij steht die Einberufung bevor. Die Eltern entschließen sich schweren Herzens, für ihre Kinder, Nina ist neun und ein Tennistalent, Russland zu verlassen. Schwierig, denn in Moskau haben sie ein geregeltes Auskommen. Die Verwandten leben in unmittelbarer Umgebung, 100 Kilometer entfernt in einem kleinen Dorf steht die viel geliebte hölzerne Datscha der Familie inmitten berückend schöner Natur.

„Es war nicht einfach, sich von den Fünf-Sterne-Hotels der Orchesterreisen, von unserer schönen Wohnung in Moskau auf eine Gemeinschaftsunterkunft in Nürnberg einzustellen“, erinnert sich das Musikerpaar heute. Doch die Menschen in ihrer Umgebung sind nett und hilfsbereit. „Und unsere erste Aufgabe sahen wir darin, uns so schnell wie möglich zu integrieren“.

Schönheit der russischen Heimat

Die Bulatova erzählt das ohne Larmoyanz, aber mit viel Herz. Im Ofen wartet das sauber aufgestapelte Holz auf das abendliche Streichholz, Hibiskus und Weihnachtskakteen blühen feurig-üppig. Ein alter Samowar und die Fotos an den Wänden lassen Lebensalltag, Schönheit und Weite der russischen Heimat erahnen.

Am Tag nach Ankunft der Familie in Würzburg im Dezember 1995 feiern die Juden Hanukkah, das jüdische Lichter-Fest. Ella, die 300 Jahre alte Geige unterm Arm, geht voll Dankbarkeit und Heimwehschmerz in die Synagoge, spielt, lernt David Schuster kennen. Dieser Mann, damaliger Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, ist bis heute ihr Vorbild für Toleranz und Vergebung. Er hat ihr gezeigt, wie sie als Jüdin mit ihrem Mann, einem orthodoxen Christen, in dieser Gesellschaft leben kann. Heute ist Ella Bulatova Dozentin an der Hochschule für Musik und Mitglied des Lehrerkollegiums der Sing- und Musikschule Würzburg. Mit Ehemann Alexander, freiberuflicher Musiker, hat sie eine Geige-Vibrafon-CD aufgenommen.

Die Synagoge ist für sie immer wieder ein wichtiger Anlaufpunkt für Meditation und Gebet. Im Alltag der Familie Bulatov verbinden sich Achtung vor der Tradition und Leben in der Gegenwart.

Wenn die Geigerin am Sonntag, 11. November, um 16.30 Uhr in der Marienkapelle gemeinsam mit der in Caen an der Kirche St. Pierre spielenden, als Jüdin geborenen Organistin Marianne Levy Noisette musiziert, schlägt sie die Brücke zwischen Juden und Christen, die ihr am meisten am Herzen liegt. Das Benefizkonzert, das auf Initiative von Generalvikar Karl Hillenbrand zustande gekommen ist und an der Stelle erklingt, wo früher die Synagoge stand, kommt der christlich-jüdischen Gesellschaft im Shalom Europa zu Gute und ist, so hofft Ella Bulatova, einer der Meilensteine, die ein friedliches Neben- und Miteinander leichter machen.

 
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