
Während Deutschland Ende Juli unter der großen Hitze stöhnte, durften zwei junge Wissenschaftler der Universität Würzburg an einem deutlich kühleren Ort arbeiten – am Nordpol.
Vier Wochen waren Michael Strohmeier und Tobias Mikschl auf dem Eisbrecher „Polarstern“ in der Arktis unterwegs. Das Schiff wird vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) betrieben und hat als eine von vielen Aufgaben, die Eiskanten in der Arktisregion mit dem Tauchroboter PAUL zu erforschen.
Doch die Eisschollen können sich innerhalb von wenigen Stunden um Kilometer verschieben, und PAUL weiß nicht, wo er sicher auftauchen kann. Um diese Drift des Eises zu messen, haben die Polarforscher zuerst mit Schlauchbooten GPS-Sensoren auf dem Eis angebracht. „Bei den arktischen Verhältnissen ist das ein sehr riskantes Unternehmen“, sagt Michael Strohmeier.
Im vergangenen Jahr stellte Professor Sergio Montenegro die Projekte des Lehrstuhls für Informationstechnik für Luft- und Raumfahrt der Universität Würzburg auf einer ROBEX-Konferenz („Robotische Exploration unter Extrembedingungen“) vor. Die Würzburger haben schon Erfahrung mit der Navigation von Drohnen in schwierigen Umgebungen sammeln können. Und solch ein fliegender Roboter soll nun als Sensor dienen, der selbstständig für Messungen zu den Eisschollen fliegt – und wieder zurück.
Diese Drohne soll etwas leisten, was im Grunde nicht allzu schwer ist: Sie soll zu einem bestimmten Punkt fliegen, dort etwas messen und dann wieder selbstständig zum Schiff zurückfliegen. Kein Problem für viele handelsübliche Multicopter. Wenn man nicht gerade in der Arktis fliegen will.
Herkömmliche Drohnen orientieren sich beim Flug über Magnetsensoren ähnlich wie mit einem Kompass. Ein Kompass weist entlang den Feldlinien des Erdmagnetfelds Richtung Norden. Doch an den Polen treten Probleme auf – das Erdmagnetfeld geht fast senkrecht in die Erde, und der geografische Pol ist viele Hundert Kilometer entfernt vom magnetischen (siehe Infobox).
Beides macht eine Orientierung in Polnähe schwierig. Die Aufgabe der beiden Forscher war es seit vergangenem Jahr, eine Lösung für das Navigationsproblem in der Arktis zu finden – noch ohne zu wissen, dass sie den Hexacopter schon so schnell selbst im Eis testen dürfen.
Das erfuhr Michael Strohmeier eher zufällig bei einem Vortrag auf der ROBEX-Konferenz in Kiel, wo es um die Expedition der Polarstern ging. „Im Vortrag wurde plötzlich erwähnt, dass ich daran teilnehmen würde. Ich dachte mir nur – Ah ja!“ erinnert sich der 26-jährige Doktorand lachend. Gefreut hat er sich darüber natürlich – nur wenige Menschen bekommen in ihrem Leben die Gelegenheit, in die Arktis zu reisen.
Am 21. Juli begann die Polarreise der jungen Forscher in Tromsoe im Norden Norwegens. Dort wartete das Forschungsschiff „Polarstern“ – 118 Meter lang, 25 Meter breit und mit seinen knapp 20 000 PS stark genug, sich durch das arktische Eis zu pflügen. Seit 1982 fährt die Polarstern durch die Weltmeere, als Versorgungsschiff für Forschungsstationen und für wissenschaftliche Experimente. Für vier Wochen sollte die Polarstern die Heimat für Strohmeier und Mikschl sein, zusammen mit etwa 50 anderen, vorwiegend deutschen Wissenschaftlern.
Etwa 40 Kilo technische Ausrüstung – die Drohne, Werkzeuge, Ersatzteile – wurden schon vorher auf das Schiff geschickt, und so mussten die beiden nur ihr eigenes Gepäck verladen. „Wir hatten viel zu viel dabei, das meiste war unnötig“, so Tobias Mikschl. Auf der Polarstern bekamen beide einen großen Seesack mit Arbeitsanzügen, Handschuhen und Mützen. „Die sind darauf vorbereitet, dass Leute an Bord kommen, die nichts dabeihaben“, scherzt der 29-Jährige.
So ging es zehn Tage – mit einem kurzen Abstecher nach Spitzbergen – von Norwegen in Richtung Grönland ins Nordpolarmeer. Schnell haben sich die beiden Würzburger an den Rhythmus des Bordlebens auf dem Forschungsschiff gewöhnt. 7.30 Uhr Frühstück, 11.30 Uhr Mittagessen, 15.30 Uhr Kaffee, 17.30 Uhr Abendessen. Keine Minute zu früh, keine zu spät.
Die festen Uhrzeiten gaben dem Leben an Bord des Eisbrechers eine Struktur, die auch nötig war. Denn einen natürlichen Rhythmus mit Tag und Nacht gab es nicht. Fast am 80. Breitengrad lag die Route tief im Gebiet des Polarkreises – wo im Sommer die Sonne nicht mehr untergeht. „Erst war es für mich etwas komisch. Man muss sich dann einfach angewöhnen zu sagen: Rollo zu, jetzt ist Nacht“, erzählt Mikschl. Wobei es viel zu sehen gab, beispielsweise Eisberge, Papageientaucher und Wale. „Wenn ein Wal in der Nähe des Schiffes auftaucht und seine Fontäne in die Luft bläst – das ist schon toll“, erinnert sich Mikschl. Es war keine Urlaubskreuzfahrt für die Forscher. Die ersten drei Tage bauten sie den für den Transport zerlegten Hexacopter wieder zusammen und machten ihn flugfähig. Dann machten sie die ersten Testflüge. Noch nicht auf dem Eis, sondern auf dem Helikopterdeck der Polarstern.
Die Drohne manuell in der Luft zu steuern ging ohne Probleme, und so konnten erste Messungen gemacht werden, wie der Magnetsensor zur Navigation des Fluggeräts funktioniert. Da tauchte die erste Überraschung auf. „Wir haben den Einfluss des Schiffs auf den Magnetsensor unterschätzt“, erklärt Strohmeier. Über 10 000 Tonnen Stahl und viele Elektromotoren – „man merkte, wenn irgendwo auf dem Schiff eine Winde angeschaltet wurde, da spielte sofort das Magnetfeld verrückt“, erinnert sich der 26-Jährige.

In den folgenden Tagen wurde es dann ernst und stressig – die Polarstern kam am arktischen Eis an. Nun saßen die unterfränkischen Wissenschaftler mit gepackter Ausrüstung da, bereit, jederzeit mit dem Helikopter auf das Eis geflogen zu werden. Je nach Wetter konnte das kurzfristig passieren, dann hieß es „So Jungs, in einer halben Stunde geht es los“, erzählt Michael Strohmeier.
Zwischen 20 und 60 Minuten dauerte der Flug auf die Eisscholle. Dort ging die Hektik weiter. Damit der Hubschrauber bei den Temperaturen um den Gefrierpunkt nicht auskühlt, bekamen die Forscher nur etwa eine halbe Stunde Zeit für ihre Experimente mit der Drohne. Mit speziellen Überlebensanzügen ausgestattet und einem Besatzungsmitglied in Funktion eines „Eiswächters“ an ihrer Seite, ließen die beiden den Hexacopter über das Eis fliegen und testeten unter realen Bedingungen, wie gut ihre Navigationslösung in der Arktis funktionierte.
Über einen GPS-Empfänger wusste das Fluggerät in etwa, wo es sich befindet. Durch ein physikalisches Modell wurde die Abweichung zwischen dem magnetischen und dem geografischen Nordpol berechnet und ausgeglichen, und der Hexacopter wusste, in welche Richtung er fliegen musste.
Die Drohnenflüge mit Fernsteuerung funktionierten gut, und auch der Höhepunkt der Testreihe – der Hexacopter fliegt selbstständig zu einem drei Kilometer entfernten Punkt auf dem Eis und kehrt automatisch zum Startpunkt zurück – verlief zufriedenstellend.
Für diesen autonomen Flug musste der Helikopter aus Sicherheitsgründen das Eis verlassen. „Wenn die Drohne in den Helikopter kracht und wir dann auf dem Eis festsitzen – das sähe blöd aus“, sagt Mikschl zu der Maßnahme. „Du hast aber schon ein kurzes mulmiges Gefühl, wenn der Helikopter abhebt und du merkst: Jetzt sind wir nur noch zu dritt auf der Eisscholle.“
Doch den Forschern blieb wenig Zeit für Gedanken an Horrorszenarien auf dem Eis. Testflug, Datenanalyse, Zusammenpacken und wieder rein in den Helikopter. Und zuvor vielleicht noch ein paar Schneeproben für die Kollegen auf dem Schiff sammeln – der Aufenthalt auf den Eisschollen muss effizient genutzt werden. Einmal bekamen sie sogar Besuch – eine Robbe kam 20 Meter entfernt aus dem Wasser auf das Eis und schaute den Forscher interessiert bei der Arbeit zu.
So anstrengend die fünf Tage der Testflüge auf dem Eis für die beiden Würzburger mit viel Arbeit und wenig Schlaf waren – die letzte Woche auf der Polarstern wurde dann entspannter. Die wissenschaftlichen Daten waren gesammelt und teilweise schon ausgewertet. Langweile kam aber nicht auf. Die mitgebrachten Bücher und Spiele rührten die beiden nicht an, selbst die Freizeitangebote auf dem Schiff wie Sauna oder Schwimmband nutzten sie kaum – zu viel gab es zu entdecken.
Am Freitag, 14. August, lief die Polarstern wieder in den Hafen von Tromsoe ein – und am Montag saßen Mikschl und Strohmeier schon wieder ganz gelassen an ihren Schreibtischen am Lehrstuhl für Informationstechnik für Luft- und Raumfahrt in Würzburg. Die meisten Auswertungen der Daten hatten sie schon auf dem Schiff gemacht. Ihre Kernaussage der Testflüge in der Arktis: Das Magnetometer funktioniert bei den Breitengraden des Flugs, wenn man nachkorrigiert und weit genug vom Schiff weg ist. Nun heißt es eine Lösung finden, die auch in der Nähe des Schiffs funktioniert – Ideen haben die beiden Forscher schon.
Getestet werden soll das neue System auf einer Fahrt der Polarstern in spätestens zwei Jahren. Ob Mikschl und Strohmeier dann gerne bei der Expedition dabei wären? „Jederzeit“, sagen beide, ohne zu zögern.
Das Erdmagnetfeld – Norden ist nicht gleich Norden
Ein Kompass zeigt entlang den Feldlinien des Magnetfelds der Erde in Richtung des magnetischen Nordpols. In unseren Breiten zeigt er damit auch auf den geografischen Nordpol – beinahe zumindest. Denn das Erdmagnetfeld ist etwas komplizierter, als es den Anschein hat.
Vereinfacht gesagt: Die Erde dreht sich um ihre Achse, deren Enden die geografischen Pole sind. Das Magnetfeld ist aktuell um etwa elf Grad zur Erdachse gekippt. Darum ist der magnetische Nordpol, auf den ein Kompass zeigt, etwa 500 Kilometer vom geografischen entfernt. Das ändert sich aber, denn der magnetische Nordpol wandert mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 Kilometern pro Jahr. (Wer es noch etwas komplizierter will: der magnetische Nordpol ist physikalisch gesehen eigentlich ein Südpol.)
Ein weiteres Problem für den Kompass: An den Polen gehen die Magnetfeldlinien fast senkrecht in die Erde. Norden wäre am Nordpol für einen Kompass also im Boden, denn er zeigt immer entlang den Feldlinien.