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WÜRZBURG/LOHR
Einzelhändler schauen in die Röhre
Pat Christ
Pat Christ
 |  aktualisiert: 16.10.2017 03:01 Uhr

Am Untermain ist ein Einzelhändler derzeit dabei, neue Geschäftsräume zu bauen. Von einem befreundeten Unternehmer, der Waren herstellt, hatte er im Vorfeld gehört, dass solche Investitionen öffentlich gefördert werden können. Der Kaufmann wandte sich an Volker Wedde, Geschäftsführer des unterfränkischen Handelsverbands (HBE): Er möge doch bitte prüfen, ob er nicht auch Fördermittel erhalten kann. Wedde fand heraus: Das geht nicht – aus in seinen Augen nicht nachvollziehbaren Gründen.

50-50-Regel ist der Knackpunkt

Bei der „Einzelbetrieblichen Investitionsförderung“, so der Titel der Maßnahme, handelt es sich um ein kompliziertes Instrument. Die Fördermittel, etwa für den Neubau einer Betriebsstätte, werden von den Bundesländern ausgegeben. Die gewähren die Gelder aus Mitteln der länderübergreifenden Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) und des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).

Bund sagt: Alles bleibt, wie es ist

Wer gefördert werden möchte, muss klar definierte Richtlinien erfüllen. Als Faustregel gilt, dass 50 Prozent des Umsatzes dauerhaft aus einer Entfernung von über 50 Kilometern stammen müssen. „Primäreffekt“ heißt die 50-50-Regel im Fachjargon, erläutert Katrin Lehmann von der Pressestelle des Bundeswirtschaftsministeriums. Durch diesen Effekt soll zusätzliche Kaufkraft in die Region gezogen werden. Bund und Länder haben sich nach ihren Worten erst jüngst „eindeutig“ für die Beibehaltung dieses Kriteriums ausgesprochen.

Der Einzelhandel wird nicht gefördert, weil ihm per se abgesprochen wird, durch Investitionen solche „Primäreffekte“ zu erreichen. Lokale Händler seien nun mal für die Nahversorgung zuständig, argumentieren Wirtschaftsförderer.

Wedde sagt: Nahversorgung ist wertvoll

Gut und schön, meint Volker Wedde: „Doch warum sollen sie deshalb nicht in den Genuss von Investitionsförderung kommen?“ Nahversorgung sei doch heutzutage ein „wertvolles Gut“.

Wobei viele Händler ohnehin nur deshalb stationär überleben könnten, weil sie einen Online-Shop haben – der von Kunden aus ganz Deutschland genutzt wird. Wedde: „Gleichzeitig leben wir in einer Zeit hoher Mobilität.“ Menschen aus Aschaffenburg gehen gern mal zum Einkaufen nach Würzburg.

Durch betriebswirtschaftliche Abrechnungen, die ihm vorliegen, weiß Wedde, dass viele unterfränkische Einzelhändler weit über ihren Standort hinaus aktiv sind. Einen großen Teil ihres Umsatzes generieren sie durch Kunden, die nicht am Standort wohnen: „Den Prozentsatz festzulegen, ist aber schwierig.“ Denn normalerweise verraten Kunden, die einen Laden betreten, nicht, woher sie kommen: „Das kann ein Industriebetrieb, der Güter ausliefert, natürlich einfacher angeben.“

Es gibt einen Ausschluss vom Ausschluss

Wie Wedde im Zuge seiner Recherchen herausfand, gibt es einen pikanten „Ausschluss vom Ausschluss“: Versandhändler können sich ihre Investitionen öffentlich fördern lassen: „Und das, obwohl sie der Region meist überhaupt nicht guttun.“ So erhielt der Online-Händler Zalando üppige Fördermittel. Insgesamt 35 Millionen Euro sollen an das Berliner Unternehmen geflossen sein. Allein der Freistaat Thüringen soll für die Ansiedlung des Zalando-Logistikzentrums in Erfurt 22,4 Millionen Euro an Fördermitteln genehmigt haben.

Dass der reine Versandhandel nicht von der Investitionsförderung ausgenommen ist, sei nachvollziehbar, meint Gisela Götz von der Wirtschaftsförderung der Regierung von Unterfranken: „Denn er ist überregional tätig.“ Doch auch sie sieht die „Schattenseite“ dieser Förderung. „Hier wird ein Wirtschaftszweig unterstützt, der zweifellos Arbeitsplätze in einer Region schafft, die wirtschaftlichen Aufschwung benötigt, andererseits aber unzweifelhaft Arbeitsplätze im lokalen Einzelhandel vernichtet“, sagt sie.

Bleibt die Frage: Ist das alles noch zeitgemäß?

Volker Wedde hat zwei Anliegen. Zum einen wünscht er, dass ernsthaft überprüft wird, ob der Einzelhandel tatsächlich die Voraussetzungen des Primäreffekts in aller Regel nicht erfüllt. Zum anderen stellt er zur Diskussion, wie sinnvoll das Förderkriterium im 21. Jahrhundert noch ist. „Die Zeit des Wachstums ist vorbei“, betont er. Viel wichtiger, als auf die 50-Kilometer-Grenze zu pochen sei es angesichts der Konzentrationsprozesse im Handel, das zu erhalten, was man hat – einen lebendigen Einzelhandel und vitale Innenstädte.

Auch Bundestagsabgeordnete wurde eingeschaltet

Wedde wandte sich mit seinem Anliegen an die Schwebheimer Bundestagsabgeordnete Anja Weisgeber, die als Initiatorin der „Arbeitsgemeinschaft Europa“ versprach, sich der Problematik anzunehmen. Die CSU-Politikerin kann Weddes Argumente nachvollziehen. Auch der Einzelhandel schaffe Arbeitsplätze, sagt sie: „Deshalb setze ich mich dafür ein, dass die Förderung für den Einzelhandel geöffnet wird.“

Weisgerber leuchtet vor allem ein, dass stationäre Händler durch die Digitalisierung ihre Kundenkreise erweitern. Der Einzelhandel trage dadurch maßgeblich zur Wirtschaftskraft einer Region bei. Um eine Änderung der Regelung durchzusetzen, kontaktierte Weisgerber unter anderem das Bundeswirtschaftsministerium.

Primäreffekt - was davon zu halten ist

Das jedoch teilte unserer Redaktion mit, das eine Änderung der Regelung, wie sie im Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ festgeschrieben ist, nicht beabsichtigt sei. Dreh- und Angelpunkt soll auch in Zukunft der „Primäreffekt“ bleiben. Laut der Pressestelle gebe es jedoch „zahlreiche“ andere, branchenunabhängige Förderprogramme, die auch von Unternehmen des Einzelhandels in Anspruch genommen werden können.

Im Übrigen könne eine Förderung von nicht-überregionalen Betrieben dazu führen, dass es innerhalb der jeweiligen Region zu verstärktem Wettbewerb kommt. Dies würde Verdrängungseffekte zwischen geförderten und nicht-geförderten Betrieben nach sich ziehen. Ein Argument, dass Wedde verblüfft: „Diese Verdrängungseffekte kann es doch in jeder anderen Branche genauso geben.“

Expertin: Fördergelder für Händler gibt es durchaus

Auch Gisela Götz von der Wirtschaftsförderung der unterfränkischen Regierung weist darauf hin, dass es ausreichend Programme gibt, die auch der Einzelhandel in Anspruch nehmen kann. Dazu gehörten zinssubventionierte Darlehensprogramme der Förderbank des Bundes (KfW) und des Freistaats Bayern (LfA). Beide würden sowohl bei der Gründungs- als auch bei der Expansionsphase finanzielle Unterstützung gewähren.

Das klingt in der Theorie gut, meint dazu Volker Wedde. In der Praxis sei es jedoch oft schwierig, ein Förderdarlehen zu bekommen. Einzelhändler zu beraten und zu unterstützen, deren Antrag auf ein Förderdarlehen von der Hausbank abgelehnt wurde, gehört für ihn zum Tagesgeschäft.

„Zum Glück gibt es Raiffeisenbanken und Sparkassen“

„Viele erhalten keine Darlehen, da der Handel als stark risikobehaftet gilt, womit wichtige Investitionen nicht erfolgen“, bestätigt der Lohrer Einzelhändler Burkhard Heimbach. Zum Glück gebe es noch Raiffeisenbanken und Sparkassen: „Die sind nahe an den kleinen und mittleren Betrieben und unterstützen uns noch am ehesten.“ Eine Unterstützung durch Großbanken zu erhalten, sei hingegen nahezu unmöglich.

Einzelhändler: Es geht auch um die Innenstädte

Heimbach selbst investiert gerade in seine 35 Jahre alte Firma. Die Erdgasheizung war zu erneuern, noch bis Jahresende soll das Gebäude beschichtet werden. „Vielleicht werden wir auch die automatische Eingangstüre und die Ladeneinrichtung erneuern“, listet der HDE-Kreisvorsitzende auf. Dies alles wird Heimbach ohne öffentliche Unterstützung tun. Heimbach fehlt bei der gängigen Förderpraxis die Erkenntnis, dass der kleine und mittlere Handel wichtige gesellschaftliche Funktionen übernehme. Eine öffentliche Förderung von Investitionen sei wichtig, um unter anderem die Innenstädte lebendig zu halten.

 
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