Laut einer Pressemitteilung des Landgerichts laufen in dem Prozess um die angebliche Vergewaltigung einer Mitarbeiter durch den Chefarzt am Landgericht Bamberg seit 10.30 Uhr die Plädoyers. Danach könnte noch heute eine Entscheidung fallen.
Zum Oralverkehr genötigt?
Der Arzt soll die ihm unterstellte Mitarbeiterin in ein Zimmer gebeten haben. Er stellte sich laut Anklage vor die Tür und forderte die Frau zu sexuellen Handlungen auf. Im Zeugenstand sagte die Frau: Um weiterem "massiven sexuellen Drängen und Übergriffen zu entgehen" sowie "aus Furcht vor beruflichen Nachteilen" sei sie dem Wunsch ihres Vorgesetzten zunächst nachgekommnen. Sie will dann aber gesagt haben, dass es nun reiche. Daraufhin soll der Chefarzt sie noch auf den Mund geküsst haben. Der Arzt spricht von einvernehmlichem Sex.
Längere Beziehung
Dies ist freilich nur ein Teil der Wahrheit. Ihren Aussagen nach hat sich der Chefarzt der 38-jährigen Mitarbeiterin schon seit dem Frühjahr 2014 "mit sexuellen Absichten" genähert. Sie sei darauf zunächst nicht eingegangen, nach mehr als einem Jahr sei es dann aber doch zum mehrfachen einvernehmlichen Kontakt gekommen. Die Initiative dazu sei stets vom Chefarzt ausgegangen. Sie habe dies "innerlich nicht gewollt", habe ihren Widerwillen dem Chefarzt aber nicht deutlich gemacht. An jenem 20. Dezember 2016 jedoch habe sie sehr deutlich zweimal zu verstehen gegeben, dass sie das, wozu sie der Chefarzt aufforderte, nicht wollte.
Der Angeklagte hält sich für unschuldig und spricht von einvernehmlichem Sex. Die Frau habe sich in einer Zwangslage befunden, als die Affäre bekannt wurde. Sie habe dies ihrem Lebensgefährten erklären müssen. In einer schriftlichen Erklärung sagte der Mediziner: "Ich bin kein Harvey Weinstein, kein Berlusconi, kein Trump und kein Strauss-Kahn."
Ärztliche Zulassung in Gefahr
Der Mediziner hatte in Würzburg studiert. Interessiert blickt auch die Regierung von Unterfranken nach Bamberg. Wird der Arzt nämlich wegen Vergewaltigung verurteilt, müsste die für ganz Franken in solchen Fällen zuständige Behörde in Würzburg entscheiden, ob der Arzt auch die Approbation verliert.
Prüfstein für Reform des Sexualstrafrechts
Der Prozess findet weit über Bamberg und Würzburg hinaus Interesse. Denn er ist ein erster Prüfstein, wie gut das verschärfte Sexualstrafrecht in der Praxis funktioniert. Die Diskussion um “nein heißt nein” - und wie deutlich das “nein” erkennbar sein muss - hat diese Änderung ausgelöst.
Der Arzt hatte die Klinik verlassen wollen, als der Vorfall und die Ermittlungen im vorigen Jahr bekannt wurden. Kurz darauf hatte der Beschuldigte einen Suizidversuch unternommen. Danach kam er in Untersuchungshaft.
Familie des Angeklagten ging an die Öffentlichkeit
Da griff seine Familie zu einer ungewöhnlichen Maßnahme. Sie gingen an die Öffentlichkeit. In einer Pressekonferenz und in einem Brief an die Medien enthüllten der Bruder und Anwalt des Angeklagten intime Details aus seinem Leben – darunter die Tatsache, dass es sexuelle Beziehungen des angesehenen Palliativmediziners (aus freien Stücken) zu mehr als einer Mitarbeiterin gab.
Das Schreiben schildert den Arzt als einen, der das Thema Palliativmedizin, die Begleitung Schwerstkranker also, "aus dem Schattendasein in das Rampenlicht" getragen habe, ein renommierter Fachmann mit internationaler Reputation. Einem Buch zum Thema Sterben hätten sogar ein Erzbischof und der damalige Bundesminister für Gesundheit "durch ihre Widmungen eine besondere Wertigkeit" verliehen. Das Leben des 46-Jährigen - "immer ein wunderbarer Vater von drei Kindern und Ehemann" - sei stets geprägt gewesen von Einsatz und harter Disziplin.
Mehrere Affären
"Um mit ständigen Extremsituationen auf emotionaler Ebene umgehen zu können", heißt es in dem Schreiben, "findet jeder seine eigenen Methoden und Wege." Und dann: "Für uns als Familie ist es nicht nachvollziehbar, dass es offenbar zu mehreren zeitgleich stattfindenden Verhältnissen zu Mitarbeiterinnen kam. Einige davon zogen sich sogar über einen langen Zeitraum von mindestens zwei Jahren hin."
Eine der Frauen - die zunächst offenbar nichts voneinander wussten - sagte im Prozess auch aus. Sie war nach eigenen Angaben eine Vertraute des Chefarztes und auch sie hatte sexuelle Kontakte zu dem 46-jährigen. Sie berichtet von körperlichen Kontakte zu ihrem Ex-Chef und davon, dass sie stets "inneren Widerwillen" dagegen gehegt habe. Eine Anzeige sei für sie aber nie in Frage gekommen. Sie habe sich stattdessen "einen Teil der Schuld gegeben", weil sie zum Chef nie "klar und deutlich" gesagt habe: "Stopp, ich will das nicht."
Seltsame Nachrichten per Whats App
In der oft nichtöffentlich geführten Verhandlung waren auch Whats-App-Nachrichten mit sexuellen Inhalten zur Sprache gekommen. In einer soll der Arzt die Mitarbeiterin gefragt haben, ob sie mit Oralverkehr einverstanden sei. Auf Vorhalt der Verteidigung bestätigte die Zeugin, dass sie dies bejaht habe.
Pikanter Zeitfaktor
Markant ist, dass der Angeklagte sich nicht dem Vorwurf der Vergewaltigung ausgesetzt sähe, wenn sich der Vorfall vom 20. Dezember 2016 sechs Wochen zuvor zugetragen hätte. Das neue Gesetz zur Verbesserung des Schutzes sexueller Selbstbestimmung ist kurz davor, im November 2016, in Kraft getreten. Seither bedarf es nicht mehr eines erkennbaren Gewaltaktes, damit ein Übergriff als Vergewaltigung angeklagt werden kann. Es reicht eine sexuelle Handlung, die gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person gerichtet ist.
Der Würzburger Strafrechtler Professor Klaus Laubenthal hatte an dieser Reform - die stark auf die sexuelle Selbstbestimmung abzielt - federführend mitgewirkt. Und die Verteidigung, die die Staatsanwaltschaft der einseitigen Ermittlung zieh, vergas nicht darauf hinzuweisen: Einer der Sachverständigen, der die Reformkommission beraten hatte, war der Leiter der Bamberger Staatsanwaltschaft, Erik Ohlenschlager.
„Wir betreten Neuland“
Spannend wird, wie das Gericht nun urteilt. "Wir betreten alle Neuland", hat der Vorsitzende Richter am ersten Verhandlungstag festgestellt. Wie das ausgeht, soll sich nun an dem Urteil ermessen.