Mit Stadttauben haben die prachtvollen Tiere, mit denen sich Brieftaubenliebhaber beschäftigen, wenig gemein. Während es die verwilderten Abkömmlinge früherer Haustauben kaum über die Höhe eines Kirchturms hinausschaffen und die Plätze und die Dächer der Städte belagern, sind Brieftauben im Stadtbild kaum präsent. Sie haben besseres zu tun: „Brieftauben sind entweder im Stall und erholen sich oder sie drehen hoch am Firmament ihre Kreise“, erzählte der Vorsitzende der Brieftaubenreisevereinigung Würzburg und Umgebung Harald Herbach bei der 130-Jahr-Feier in der Festung Marienberg.
In seinem Rückblick auf die 130-jährige Geschichte spricht Herbach immer wieder von „Athleten“ und meint Tauben, „Trainieren“ nennt er ihre Ausflüge, die Taubenhalter nennt er „Sportfreunde“. Zum sinnlosen Verkoten der Stadt bleibt einer auf Hochleistung ausgelegten, stolzen Brieftaube keine Zeit.
Der Brieftaubensport kam vor 130 Jahren nach Würzburg, als sich Würzburger Brieftaubenliebhaber als dritter Verein dieser Art in Bayern zusammengeschlossen und zunächst noch als Abteilung des Geflügelzuchtvereins 1867 Würzburg organisierten. Nur in München und Aschaffenburg war man schneller. Die Brieftauben kamen aus Belgien, dem Mutterland der Brieftaube. Die erstaunliche Leistung der gefiederten Tiere imponierte: Schon damals schafften sie Langstreckenflüge nach Venedig, Budapest, Dover oder Rom.
Dass die Brieftauben aus Entfernungen von bis zu 1100 Kilometern zurück in den heimischen Schlag finden, nutzte auch das Militär. Spätestens 1895 hat sich auf der Festung ein Militärbrieftaubenschlag befunden. Der Auftrag der Brieftauben: ein Kurierdienst zur Festung Straßburg im Elsaß. Bei Kriegsanbruch wurden denn auch die Jungtauben der Züchter durch das Militär eingezogen. Im Krieg waren Brieftauben oft die „letzte Hoffnung“ für von der Front abgeschnittene Soldaten. So erhielten 32 Brieftauben die „Dickin Medal“, die höchste britische Auszeichnung für Tiere, die sich im Kriegseinsatz besonders hervorgetan hatten.
Nach dem Krieg blüht der Brieftaubensport rasch wieder auf. Am 8. März 1920 gründen die Würzburger Brieftaubenfreunde die bis heute unter diesem Namen fortbestehende Reisevereinigung Würzburg und Umgebung. Sie organisieren große Ausstellungen: 1898 und 1923 die des deutschen Verbands in der Ludwigshalle, dem früheren Bahnhof, dort, wo sich heute das Mainfrankentheater befindet, 1902 und 1930 folgen die des bayerischen in der Frankenhalle. Einen schweren Verlust bedeutete die Zerstörung der Taubenschläge bei der Bombardierung Würzburg 1945. Gemeinsam mit der alten Stadt gingen auch die Brieftauben, die meist auf Dachböden oder in Hinterhöfen gehalten wurden, unter. Blütezeit des Würzburger Brieftaubensports ist jedoch die Zeit zwischen den 1970er und 90er Jahre, als zahlreiche Vereine sich neu gründeten.
Stadttaubenplage
Helfen konnte die Vereinigung übrigens beim Thema „der Stadttaubenplage“. Um das Problem in den Griff zu bekommen suchte damals Würzburgs Bürgermeister Erich Felgenhauer den Kontakt zu den Experten, den Brieftaubenzüchtern.
Ehrenvorsitzender Heinz Heuler wusste eine Lösung: Er richtet auf dem Bahnhofsvorplatz das erste von mehreren Taubenhäuser ein, wo Eier gegen Gipseier ausgetauscht werden, eine Methode, die in Deutschland schon vor Jahrhunderten erfolgreich angewendet wurde. Das „Würzburger Modell“, das auf tiergerechte Art und Weise die Zahl der Stadttauben verringert, wurde von über 20 Städten übernommen.
Ein Dankeschön war es, dass die Reisevereinigung 1985 ein Vereinsheim beziehen durfte, das seinesgleichen in ganz Deutschland sucht: die Wachräume links und rechts des Zeller Tors in der Stadtmauer.