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WÜRZBURG/SCHWEINFURT
Einkaufen wie bei Tante Emma
Henry Stern       -  Obermeier/ Henry Stern
Henry Stern
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:35 Uhr

Elfershausen, Oberstreu, Stockheim, Rentweinsdorf, Prichsenstadt, Sommerach, Bischbrunn, Hafenlohr, Lülsfeld, Bütthard, Oberpleichfeld oder Winterhausen – nach einer Statistik des Bayerischen Wirtschaftsministeriums gab es Ende 2014 – neuere Zahlen liegen nicht vor – in 101 unterfränkischen Gemeinden kein einziges Lebensmittelgeschäft mehr.

Auch die Zahl der Bäckereien im Regierungsbezirk sank nach Angaben der Handwerkskammer Unterfranken allein von 2010 bis 2013 um knapp zehn Prozent; die der Metzgereien gar um mehr als elf Prozent. Gleichzeitig wurden jedoch – meist auf der „grünen Wiese“ – in der Region allein von 2010 bis 2014 fünfzig große Supermärkte mit einer durchschnittlichen Verkaufsfläche von mehr als 1300 Quadratmetern neu eröffnet.

Der Groß-Discounter im Gewerbegebiet größerer Gemeinden anstatt dem fußläufig erreichbaren Lebensmittelladen im Ortszentrum auch kleinerer Orte – ein Trend, der allen politischen Beteuerungen zur Stärkung des ländlichen Raums überall in Bayern offenbar ungebremst weitergeht.

„Es gilt, Leben in verwaiste Orte zu bringen“

So schrumpfte bayernweit die Zahl der meist zentrumsnahen kleinen Lebensmittelläden bis 400 Quadratmeter laut Statistik der Staatsregierung etwa in Unterfranken in nur zehn Jahren um mehr als 45 Prozent. Bayernweit gab es im Jahr 2016 exakt 158 selbstständige Gemeinden, in denen weder einen Lebensmittelladen noch ein Metzger oder Bäcker zu finden war. Laut einer von Wirtschaftsministerin Ilse Aigner in Auftrag gegebenen „Nahversorgungsstudie Bayern“ leben damit 13,5 Prozent der Menschen im Freistaat in einer Gemeinde ohne eigenen Supermarkt oder Discounter.

„Es gilt, wieder Leben in solche verwaisten Orte zu bringen“, findet Thomas Dörfelt vom Lebensmittelgroßhändler LHG in Eibelstadt (Lkr. Würzburg). Dörfelts Firma beliefert vor allem selbstständige Lebensmittelgeschäfte, darunter auch neun kommunale Dorfläden in Unterfranken.

Je stärker sich die großen Einzelhandelsketten auf Großflächen in größeren Orten zurückziehen, desto mehr Lücken öffneten sich für kleinere Alternativen wie unabhängige Dorfläden, glaubt auch Thomas Gröll, der mit seiner Firma NewWay Einzelhändler berät. Rund 150 Dorfläden haben sich laut Gröll in Bayern etabliert, darunter knapp zwanzig Neugründungen in den vergangenen Jahren.

Auch der kommunikative Aspekt ist wichtig

„Ein Dorfladen muss aber mehr sein als ein kleiner Lebensmittelhandel, um die finanzielle Tragfähigkeit zu sichern“, glaubt Gröll. Zusätzliche Angebote wie ein Geldautomat, eine Packstation oder ein örtlicher Lieferservice seien genauso notwendig wie der „kommunikative Aspekt“, etwa mit einem kleinen Café als Treffpunkt für die Nachbarschaft.

Funktionieren könne ein Dorfladen zudem nur mit maßgeblicher Beteiligung der Ortsbewohner, ist auch LHG-Mann Dörfelt überzeugt: „Denn fragt man in einem Dorf: Wollt ihr einen Laden? – dann sagt jeder: Ja“, erklärt er. Fehlt aber der eigene Bezug, würden viele Ortsbewohner zum Einkaufen trotzdem weiter zum Discounter in der nächsten Kreisstadt fahren: „Die Bürger müssen sich deshalb finanziell oder ehrenamtlich an ihrem Laden beteiligen – sonst funktioniert?s nicht“, glaubt Dörfelt.

In der Tat gibt es offenbar bei vielen Menschen einen großen Unterschied zwischen dem grundsätzlichen Bedauern der wachsenden Verödung von vielen Ortszentren sowie der breiten Kritik an zunehmender Flächenversiegelung in immer neuen Gewerbegebieten – und dem tatsächlichen eigenen Einkaufsverhalten.

So verweist etwa eine von der Staatsregierung beauftragte „Nahversorgungsstudie“ auf eine in den vergangenen Jahren stark gestiegene „Auto-Mobilität gerade der älteren Bevölkerung“, die das Einkaufsverhalten aber auch die Entwicklung zu weniger, aber größeren Supermärkten im Freistaat präge: „Selbst für Kurzstrecken wird das Auto zum Einkaufen genutzt“, heißt es dort. Dies verschaffe zwar weiten Teilen der Bevölkerung einen Zugang zu Warensortimenten „von früher unbekannter Breite und Tiefe“, heißt es in der Studie weiter: „Dagegen wird es schwieriger, die ortsnahe Nahversorgung, die besonders für weniger mobile Bürger wichtig ist, sicherzustellen.“

Wenn es mit der Lebensqualität abwärts geht

Doch bei der Frage nach einem Supermarkt im Ort steht aber nicht nur die Versorgung mit Lebensmitteln im Raum: „Ein neuer Dorfladen ist auch ein Farbtupfer in einer Gemeinde, die vielleicht nicht mehr so gut dagestanden ist“, findet Lebensmittelgroßhändler Döpfert. Denn viele kleinere Orte gerade im Norden und Osten Bayern befänden sich in einer gefährlichen Abwärtsspirale der Lebensqualität, wenn die Schließung örtlicher Geschäfte oder Wirtshäuser und der Bevölkerungsverlust sich gegenseitig verstärkten. Ein neuer Dorfladen könne dagegen über den Versorgungsaspekt hinaus das Dorfleben stärken. „Gerade die Eigeninitiative schafft hohe Identifikation“, glaubt Döpfert. Es gehe deshalb längst nicht nur ums Einkaufen, sondern auch um Zusammenhalt und Lebensqualität.

Einige bayerische Lebensmittelgroßhändler und Einzelhandelsexperten haben sich deshalb in einem „Dorfladen-Netzwerk“ zusammengeschlossen, um positive Erfahrungen weiterzugeben und – etwa im Januar vor knapp vierzig bayerischen Abgeordneten aller Parteien im Landtag – Lobbyarbeit für die regionale Nahversorgung zu betreiben.

Denn etwas mehr politische Unterstützung könnten sich die Dorfladen-Lobbyisten schon vorstellen: „Wir wollen keine staatlich subventionierten Neugründungen“, sagt Döpfert. Schließlich müsse auch ein Dorfladen auf Dauer zumindest kostendeckend arbeiten. Dennoch könnte der Staat mit wenig Aufwand große Hilfe leisten.

Ein Förderprogramm soll helfen

Zinslose Darlehen etwa für teure Kühltheken und Kassensysteme könnten genauso einen wichtigen Anschub bieten wie finanzielle Unterstützung der Gemeinde und des Freistaats bei Renovierung oder Umbau des Ladens selbst. Auch die von vielen Dorfläden gewählte Rechtsform einer Genossenschaft sei bislang allzu oft mit zu großem finanziellem und administrativem Aufwand verbunden.

Auch die SPD im Landtag fordert in einem Änderungsantrag zum Nachtragshaushalt 2018 ein mit übersichtlichen 500000 Euro ausgestattetes „Sonderförderprogramm Dorfläden“, um Neugründungen zu erleichtern. In der CSU-Staatsregierung sieht man allerdings keinen Handlungsbedarf – und verweist auf bestehende Fördermöglichkeiten: So seien seit 2011 mehr als zwei Millionen Euro aus Mitteln der Dorferneuerung und des EU-Programms „Leader“ für neue Dorfläden eingesetzt worden – darunter in Unterfranken etwa in Aidhausen (Lkr. Haßberge) und Buchbrunn (Lkr. Kitzingen). Seit 2017 sei zudem die staatliche Förderung von „Kleinstunternehmen der Grundversorgung“, zu der auch Dorfläden gehörten möglich.

Die Landtags-Opposition ist damit nicht zufrieden: Die CSU-Regierung wisse nach eigenen Angaben nicht einmal, wo genau neue Groß-Supermärkte entstanden sind, schimpft etwa der Grünen-MdL Markus Ganserer: „Mit anderen Worten: Ihr ist es scheinbar ziemlich egal, wenn Neuansiedelungen auf der Grünen Wiese die Nahversorgung in den umliegenden Ortskernen gefährden.“ Dabei werde die vom künftigen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) durchgesetzte Lockerung der Landesplanung das Problem sogar noch verstärken.

Gleichwertige Lebensverhältnisse? Nein, sagen die Grünen.

Ganserer verweist zudem auf eine Statistik des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR): Demnach hat in Bayern im ländlichen Raum ein knappes Drittel der Bewohner weder Apotheke, Hausarzt, Grundschule, ÖPNV-Haltestelle noch einen Supermarkt in fußläufiger Entfernung von maximal tausend Metern, ein weiteres Drittel nur eine dieser Nahversorgungseinrichtungen. Dies widerspreche dem Staatsziel gleichwertiger Lebensverhältnisse, findet der Grüne: „Denn bei der Nahversorgung ist die Landbevölkerung schon heute deutlich schlechtergestellt als die Menschen in den Ballungsräumen.“

„Es gilt, wieder Leben in solche verwaisten Orte zu bringen.“
Thomas Dörfelt, Lebensmittelgroßhändler LHG
Auch Bürgermeister Hermann Queck kauft gerne im Dorfladen von Buchbrunn (Lkr. Kitzingen) ein. Bedient wird er hier von Elke Heinrich.
Foto: Barbara Herrmann | Auch Bürgermeister Hermann Queck kauft gerne im Dorfladen von Buchbrunn (Lkr. Kitzingen) ein. Bedient wird er hier von Elke Heinrich.
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