
„Glaubst du an ein Leben nach der Geburt?“ Nie hörte man einen Embryo dreckiger lachen als in der ersten Puppentheater-Szene des Stücks „Leben“. Rasch versteigen sich die ungeborenen Zwillinge zu grundsätzlichen Zweifeln an der Existenz einer „Mutter“.
Es geht um das Thema Leben. In den eineinhalb kurzweiligen Stunden, in fünf Bildern fallen aber auch – nicht zuletzt dank einer grausigen Ritter-Oper – sehr viele Tote an. Mademoiselle Sensemann spielt in dem Stück eine zentrale Rolle.
„Ich konnte das Stück ja nicht ,Tod? nennen“, sagt der Theatermacher, der 70-jährige Soloschauspieler Willi Lieverscheidt beim Besuch an seinem rollenden Bühnenwagen, einem Mercedes-814-Bus: „Dann kommt ja keiner.“
Seit 1987, zwei Jahre nach ihrer Gründung, kommt die Compagnia Buffo fast jährlich nach Würzburg. Kulturamtsleiter Gabriel Engert hatte die Truppe in Nürnberg entdeckt und als künstlerischen Gegenpol zum nahebei lärmenden Bierzelt-Weinfest engagiert. Oft kamen sie zu viert, in ihrer Rekordzeit hatte die Kompanie elf, zwölf Mitglieder. Doch seit 2008 macht Lieverscheidt die sechs bis acht Stationen der sommerlichen Zelt-Tournee allein.
Seine Stücke aber erarbeitet er keineswegs allein. Er führt zwar selbst Regie, hat aber immer mehrere „szenische Mitarbeiter“, mit denen er schon die ersten Ideen bespricht. Erste Stückfassungen spielt er ihnen vor, arbeitet weiter dran, hat weiter Besucher bei Proben: „Ohne Außenkontrolle geht das gar nicht.“ Dazu ist der Essener zu sehr Profi.
Willi Lieverscheidt studierte nach einem Ingenieursabschluss in Vermessungstechnik von 1972 bis 1975 Pantomime und Schauspiel an der Folkwangschule und hatte anschließend Engagements am Landestheater Tübingen und im Frankfurter Theater am Turm. Bis mit den 1980er Jahren die „Zeit der vielen Alternativen“ kam: „Die haben jetzt alle ihr 30-Jähriges, diese Kulturzentren, Theater und so weiter.“
In den frühen 1990ern, bei der aufwändigen Produktion von „Der müde Tod“, stand mal „eine Organisation für die Buffonen an, mit Mitbesitzern, Gesellschaftsform, Technischem Direktor. Aber das wollte ich nicht“, sagt Lieverscheidt, „das wär dann nicht mehr meins.“
So wie Lieverscheidt von der Compagnia spricht, als wäre es seine eigene gewesen, so spricht er umgedreht über sein heutiges Ein-Mann-Theater oft in der Dritten Person – aus Identifikation mit der Marke Compagnia Buffo. Deren Namen führt er zu Recht, weil er immer noch Bühnentechniken und -traditionen, Genres, Handlungsfäden und Zeiten mischt. Wenn er über seinen Lieblingsromancier Haruki Murakami spricht, faltet Lieverscheidt die Finger als baute er einen Origami-Vogel aus unterschiedlichen Realitätsebenen. Außer der künstlerischen Kontinuität gibt?s noch eine weitere: Die Projekte der 1980er seien entweder untergegangen oder hätten sich etabliert: „Ich nicht.“
Vor seinem Würzburger Gastspiel nahm er an einem Masken-Workshop in Italien teil: In zwei Wochen entstand hier eine einzige Maske für die nächste Sommerproduktion. 2017 spielt er nämlich etwas Neues. Das entwickelt er in seinem Winterquartier bei Osnabrück, dafür verzichtet er heuer weitgehend auf Indoor-Aktivitäten, außer dem Weihnachtsstück am 16. Dezember im Würzburger theater ensemble und in einigen anderen Städten.
Willi Lieverscheidt ist sich sicher: „Nach einem halben Jahr Bühnenabstinenz werde ich so gierig aufs Spielen sein – da können die Leute was erleben!“ Das können Sie heute schon beim Betrachten des Stückes „Leben“ und einem höchst souveränen, spontanen Mimen. Dessen Zukunftspläne lassen nur eine Frage offen: Wie lange soll das noch…? Lieverscheidt muss die Frage nicht bis zu Ende anhören: „Mein Traum: auf der Bühne sterben. Manche spielen ja bis 80 und länger.“ Die wichtigere Frage ist für ihn lautet aber: „Kommen da noch Leute?“
Seine Trademark Compagnia Buffo hat eine weitere wichtige Funktion: Diesem Namen muss jede neue Produktion gerecht werden. Gewöhnlich spielt die Compagnia Buffo ihre Sommerstücke nur zwei Saisons lang. Das „Leben“ hat für vier gereicht.
Aufführungsort: Platz unter der Friedensbrücke, auf der Festungsseite, täglich außer montags um 20 Uhr.