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WÜRZBURG
Eine Stimme für die Deportierten
Der Künstler Gunter Demnig (rechts) hat am Donnerstag für Andrzej Rostecki einen Stolperstein vor der Psychiatrischen Klinik am Margarete-Höppel-Platz 1 (ehemals Füchsleinstraße) verlegt. Pate für diesen Stein ist Prof. Martin Krupinski (links, Abteilung für Forensik).
Foto: Patty Varasano | Der Künstler Gunter Demnig (rechts) hat am Donnerstag für Andrzej Rostecki einen Stolperstein vor der Psychiatrischen Klinik am Margarete-Höppel-Platz 1 (ehemals Füchsleinstraße) verlegt. Pate für diesen Stein ist Prof.
Von unserer Mitarbeiterin Anna Sophia Hofmeister
 |  aktualisiert: 05.07.2017 03:37 Uhr

„Abreise Donnerstag, sind zuversichtlich, ruft an, morgen abend.“ Die wenigen Worte, die Ruth Weinberger am 16. Juni 1943 an ihre Verwandten telegrafierte, sind ihr letztes Lebenszeichen. Einen Tag später wurden Ruth und ihre Familie nach Auschwitz deportiert, wo alle Zuversicht zerbrach. Einzige Überlebende der Familie war ihre Tochter Hanna, die vier Jahre vorher, elfjährig, mit einem rettenden Kindertransport nach England gelangt war.

Sechs Deportationen aus Würzburg fanden zwischen November 1941 und Juni 1943 statt. Von den 2068 aus Mainfranken in die Konzentrationslager Riga, Izbica, Kasniczyn, Theresienstadt und Auschwitz verschleppten Menschen überlebten nur 60.

In einer Lesung in den Posthallen, die der Valentin-Becker-Chor musikalisch untermalte, wurde am Donnerstagabend der ermordeten Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Organisiert von Stolpersteine Würzburg lasen Engagierte aus den Texten, Briefen und Protokollen, die in wertvoller Kleinarbeit zusammengetragen worden waren. Gleichzeitig wurden Fotos von betroffenen Menschen und Orten gezeigt.

Man solle schließlich nicht nur über Zahlen reden, sagte Susanne Kill, Leiterin der Konzerngeschichte der Deutschen Bahn, in ihrem Grußwort, sondern auch über die Träume, Wünsche und Hoffnungen der Deportierten.

In berührenden zeitgeschichtlichen Zeugnissen erfuhren die Zuhörer Details von den örtlichen Sammelaktionen in Würzburg, den entbehrungsreichen Zugfahrten Richtung Osten und den schrecklichen Enttäuschungen, welche die Opfer nationalsozialistischer Ideologie bei ihrer Ankunft erlebten.

Käte Frieß zum Beispiel, die sich an die Informationen klammerte, dass sie im Osten ein neues Leben beginnen könne. Im Konzentrationslager Riga gab es dann aber nicht, wie angekündigt, ein Häuschen und gute Arbeit – nur furchtbar enge Stockbetten, Hunger, Kälte, Schinderei und Tod. Oder Ida Weil, die eine Flucht vorab strikt abgelehnt hatte und schließlich in Theresienstadt landete, wo ihr nicht als eine Ärmelschürze blieb. Ihren goldenen Ehering tauschte sie aus lauter Hunger gegen eine Stulle Brot.

„Die Frauen haben sich oft untereinander mit Fäusten gehaut“, schreibt sie in ihren Erinnerungen. Als sie sich einmal über die furchtbaren Zustände beschwerte, sagte ihr der Diensthabende, dass das hier ja kein Hotel, sondern ein Konzentrationslager sei. Nach zweieinhalb Jahren in Theresienstadt konnte Ida Weil über einen Transport des Roten Kreuzes in die Schweiz gerettet werden. Kurz darauf verstarb sie. Auch Mordechai Ansbacher überlebte das KZ. Er sah Theresienstadt, Auschwitz und Dachau, wo der 16-Jährige schließlich zu Kriegsende befreit werden konnte. In Jerusalem sagte er im berühmten Eichmann-Prozess 1961 aus – und berichtete vom Alltag in Theresienstadt.

Die Lesung machte einzelne Personen und Charaktere hinter all den Namen lebendig, die der Kölner Künstler Gunter Demnig in die quadratischen Messingplatten seiner Stolpersteine hämmert. 512 sind es inzwischen in Würzburg, knapp 61 000 in ganz Europa. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, zitiert Demnig den Talmud.

Die Würzburger Käte Frieß, Ida Weil, Herbert Mai, Hugo Klein und Mordechai Ansbacher bekamen auf der Veranstaltung eine Stimme, ihre Namen wurden auf den Stolpersteinen verewigt. Ebenso Ruth Weinberger, die kurz vor der Deportation noch hoffen wollte, dass alles schon nicht so schlimm werden würde. An Familie Weinberger erinnern Stolpersteine in der Keesburgstraße im Frauenland.

 
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