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Ein Zeugnis der Zerrissenheit
Redaktion
 |  aktualisiert: 03.12.2006 22:29 Uhr
ALTSTADT (WBA) "Heimat und Fremde zugleich" sei Würzburg für Jehuda Amichai (1924 - 2000) gewesen, so der Germanist Dr. Christian Leo. Bei einem Vortrag mit Lesung sprach er in Anwesenheit von Witwe Hana Amichai über den in der Augustinerstraße geborenen israelischen Schriftsteller und dessen Roman "Nicht von jetzt, nicht von hier", in dem es um sein Verhältnis zu seiner Geburtsstadt geht.

Als Sohn jüdischer Eltern musste musste Amichai, der damals noch Ludwig Pfeuffer hieß, im Alter von zwölf Jahren mit seiner Familie vor den Nazis nach Palästina fliehen und wurde später "der gefeierte Dichter Israels," so Rosa Grimm, Geschäftsführerin der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die zu der Veranstaltung in die Neue Universität eingeladen hatte.

Dabei trug Dr. Tebbe Harms Kleen, ehemaliger Intendant des Würzburger Stadttheaters, Auszüge aus dem Roman Amichais vor, die dann Leo dem Publikum erläuterte. Der 1975 in Würzburg geborene Literaturwissenschaftler hat eine Dissertation über den Autor und seinen autobiographischen Roman verfasst. Diesen bezeichnete er als "Zeugnis der Zerrissenheit".

Entstanden ist der Roman nach Amichais erster Reise nach Würzburg nach der Emigration: 1958 begab sich Amichai auf Spurensuche in seine Geburtsstadt.

Erinnerung an Ruth

Im Mittelpunkt stand für ihn die Erinnerung an seine Jugendfreundin Ruth, die in einem Konzentrationslager ermordet wurde. Der Mord an der Tochter von Rabbiner Dr. Sigmund Hanover, die bei einem Verkehrsunfall ein Bein verloren hatte, sei für Amichai "der gewaltigste Verrat seinen ehemaligen Heimatstadt" gewesen.

Im Roman habe der Autor seine Persönlichkeit in die Hauptfigur Joel und den Ich-Erzähler gespalten. Während Joel in Jerusalem bleibt, reist der Ich-Erzähler nach "Weinburg". Wie damals, im Jahr 1958, Amichai, befinde sich Joel in einer "tiefen Identitätskrise". Verspürt hätten beide ein "Bedürfnis nach später Liebe und später Rache".

Daher bricht der Archäologe Joel im Roman nach "Weinburg" auf, das "nur teilweise mit Würzburg identisch" ist, wie Leo erläuterte. Seine Geburtsstadt sei für Amichai hier ein "poetischer Raum". So habe er etwa Fürstbischof Melchior Zobel von Giebelstadt und den Bauernführer Florian Geyer zu einer Person verschmolzen. Dass diese im Roman auftauche, könne damit zusammenhängen, dass ein Großvater und ein Onkel von Amichai in Giebelstadt wohnten, mutmaßte Leo.

Schließlich erkenne Joel wie auch Amichai 1958, dass es zu spät ist, um sich für den Mord an Ruth zu rächen. Als abschließenden Höhepunkt der Veranstaltung las die Witwe des Autors, Hana Amichai, einen Auszug aus dem Original des Romans in hebräischer Sprache.

 
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