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WÜRZBURG
Ein Würzburger in Shanghai: Arbeit zwischen Cholera und Lepra
Im Sommer 1936 erhielt Thomas Mann, Literaturnobelpreisträger und Autor der „Buddenbrooks“, im amerikanischen Exil einen Brief von einem anderen deutschen Emigranten. Geschrieben hatte ihn der 44-jährige Würzburger Arzt und Schriftsteller Max Mohr – in Shanghai.
Von unserem Redaktionsmitglied Roland Flade
 |  aktualisiert: 01.08.2008 15:10 Uhr

„Es ist eine wunderbare Arbeit in der Tropenhitze“, berichtete Mohr dem Freund mit ironischem Unterton, „zwischen Cholera und Lepra. Und wenn man einen neuen Wurm in einem Chinesenkind-Exkrement am Mikroskop entdeckt hat, schreibt es sich wirklich gut.“

Tagsüber arbeitete Mohr in seiner Praxis, nachts, wenn er nicht zu Patienten gerufen wurde, revidierte er das Romanmanuskript „Das Einhorn“, das er aus Deutschland mitgebracht hatte. Darin geht es um die Frage, wie ein Künstler in einer Welt leben kann, in der Gleichschaltung und Wurzellosigkeit herrschen. Der Autor spürte, dass seine Kräfte langsam schwanden.

Max Mohr ist der große Unbekannte unter den Würzburger Literaten. 1891 als Sohn eines jüdischen Malzfabrikanten in der Domstadt geboren, wuchs er in der Rottendorfer Straße 1 auf. Am Neuen Gymnasium, dem heutigen Riemenschneider-Gymnasium, erlebte er eine rebellische Schulzeit mit mehreren Ausreißversuchen.

Französischer Bumszirkus

Nach dem Abitur reiset Mohr als Tramp durch Europa, Nordafrika und Kleinasien. In Syrien und Kairo war er Reiter in einem „kleinen französischen Bumszirkus“, wie er später schrieb. Danach studierte er in München Medizin, diente als Infanteriearzt im Ersten Weltkrieg, wurde viermal verwundet, erhielt das Eiserne Kreuz und geriet in englische Gefangenschaft. Nach dem Krieg heiratete er, promovierte und zog in einen Einödhof bei Rottach am Tegernsee. Den Arztberuf übte er mit wenig Begeisterung aus; er sah sich vor allem als Schriftsteller.

Mohr war 32 Jahre alt, als die Würzburger am 11. Dezember 1923 zum ersten Mal eines seiner Stücke auf der Bühne des Stadttheaters erleben konnten. Die Komödie „Improvisationen im Juni“ hatte ihm im Jahr zuvor in ganz Deutschland berühmt gemacht. Regisseur Max Reinhardt inszenierte die „Improvisationen“ am Deutschen Theater in Berlin, später folgten Aufführungen in London und New York.

Nun also Würzburg. Man werde sich „auch bei uns den Namen Max Mohr merken müssen“, schrieb der Würzburger Generalanzeiger.

Nach dem überraschenden Erfolg verfasste Mohr zahlreiche weitere Dramen, von denen „Ramper“ am bekanntesten wurde. Die Uraufführung fand 1925 gleichzeitig in München, Hamburg, Karlsruhe, Mainz und Bochum statt. Ramper, ein Polarforscher, strandet im Eis, wirft in vielen Jahren des Alleinseins scheinbar alles Menschliche ab, wird dann aber gefunden und landet als „Tiermensch“ bei einem Varieté. Wie Kaspar Hauser wird er mitten hinein in ein Tollhaus gestoßen und hat nur den einen Wunsch, nach Grönland zurückzukehren.

Im Tollhaus gelandet

1934 wird Mohr selbst in einem Tollhaus landen, in Shanghai, einer chinesischen Stadt mit amerikanisch anmutenden Wolkenkratzern, mit Palästen reicher Bankiers und weltumspannender Handelshäuser. Shanghai ist zu dieser Zeit der einzige Ort auf der Welt, der kein Einreisevisum verlangt. Die größte Stadt Chinas wird zur Rettung für zahlreiche jüdische Flüchtlinge, die aus dem nationalsozialistisch gewordenen Deutschland flüchten, unter ihnen Max Mohr.

Die Vier-Millionen-Stadt, ehemals Zentrum des englischen Opiumhandels, in der Menschen aus 46 Nationen leben, ist ein autonomer Stadtstaat, nicht von Chinesen regiert, sondern von Franzosen, Engländern, Amerikanern und Japanern.

Auch wenn ihn oft das Fernweh plagte, so hätte sich Max Mohr doch in den „Goldenen“ Zwanzigern nach dem Erfolg von „Ramper“ ein Leben im fernen Asien kaum vorstellen können. Er wollte die deutsche Kulturszene erobern, und zunächst schien der Plan aufzugehen. 1927 wurde „Ramper“ mit dem Stummfilmstar Paul Wegener in der Titelrolle zum Teil an den Originalschauplätzen in Grönland verfilmt; in Würzburg lief der Streifen im „Oli“-Kino.

1928 gastierte Wegeners Truppe mit „Ramper“ in Würzburg. „Das Theater war ausverkauft, man hatte sogar den Orchesterraum für Zuschauerplätze zur Verfügung stellen müssen“, schrieb der Generalanzeiger.

Doch bald waren Mohr Stücke auf deutschen Bühnen immer weniger gefragt. Möglicherweise unter dem Einfluss seiner Freunde D. H. Lawrence („Lady Chatterleys Liebhaber“) und Thomas Mann verlegte er seinen schriftstellerischen Mittelpunkt auf Romanarbeiten.

1932 zog er nach Berlin, wo er die berühmte Schauspielerin Asta Nielsen kennenlernte. Auf ihren Wunsch hin schrieb er seinen Roman „Venus in den Fischen“ zum Theaterstück um, das vermutlich im Dezember 1932 in Riga aufgeführt wurde, allerdings ohne Asta Nielsen. Die geplante Verfilmung seines Romans „Die Freundschaft von Ladiz“ durch Luis Trenker kam nicht zustande.

In Berlin erneuerte Mohr die Freundschaft mit dem Schauspieler Heinrich George, Vater von Götz „Schimanski“ George, den er 1922 bei den Proben zu „Improvisationen im Juni“ getroffen hatte. George las Gedichte und Prosa Mohrs im Rundfunk. Die beiden zierten im Juni 1932 das Titelblatt der Zeitschrift „Funkstunde“.

Doch dann übernahmen Anfang 1933 die Nationalsozialisten die Macht; Mohrs Bücher wurden verboten und verbrannt. Unter seinen Berliner Freunden fühlte er sich nicht mehr wohl. „Asta und George sind gleichgeschaltet und öfters mit Hitler zusammen“, schrieb er im Juni 1933 an seine Frau Käthe, die mit der 1926 geborenen Tochter Eva in Rottach geblieben war.

Mohr begann, an Auswanderung zu denken. Schon in seinem Roman „Frau ohne Reue“ waren Motive einer Flucht um die ganze Welt aufgetaucht. Dabei hatte er auch Shanghai als Fluchtpunkte seiner Romanhelden ins Spiel gebracht.

Fernost-Filiale der Nazis

Tatsächlich lebten in Shanghai damals 2000 Deutsche, meist Geschäftsleute und ihre Familien. Sie hatten eine eigene Schule, Kirche und Zeitung. Es existierte sogar eine „Fernost-Filiale der Nazis“, wie Astrid Freyeisen, die aus Würzburg stammende Shanghai-Korrespondentin der BR, schreibt. Schon 1932 hatte ein Häuflein Angestellter von großen deutschen Firmen die NSDAP mit Hitlerjugend, SA und Gestapo gegründet.

Auch immer mehr deutsche Juden kamen in die Stadt. In den Gelben Seiten des „Emigranten-Adressbuchs“ standen nicht nur deutsch-jüdische Ärzte und Bäckereien, sondern auch eine Schokoladenfabrik und vier kleine deutschsprachige Tageszeitungen.

Am 8. November 1934 verließ Mohr an Bord der „Saarbrücken“ ohne seine Familie Deutschland und reiste nach China, um dort seine Tätigkeit als Arzt wieder aufzunehmen. Am 20. Januar 1935 erschien in der „Deutschen Shanghai Zeitung“ eine Anzeige von „Dr. med. Max Mohr, Facharzt für Nervenkrankheiten und Homöopathie“.

Tatsächlich aber war sein Betätigungsfeld viel größer. „Ich behandle alles“, schrieb er seiner Frau. Am 7. März 1937 nannte er ein Beispiel: „Heute habe ich schon in fünf Sprachen behandelt: chinesisches Gestammel, eine deutsche Niere, eine französische Herzkrankheit, eine englische Hämorrhoidenoperation und eine italienische Depression, die nur Italienisch spricht und heult.“ Von mittellosen Patienten verlangte er keine Bezahlung.

Wann immer es ging, schickte Mohr Geld nach Deutschland. Er träumte davon, seine Frau und die Tochter wenigstens für eine Weile nachkommen zu lassen, wenn er sich erst einmal etabliert hatte.

„Asta Nielsen und Heinrich George sind gleichgeschaltet und öfters mit Hitler zusammen“

Max Mohr 1933 über seine Berliner Schauspieler-Freunde

1937 besetzten die Japaner nach monatelangen blutigen Kämpfen die Stadt. Mohr arbeitet bis zur Erschöpfung ehrenamtlich in einem Lazarett. Über „eine Million und mehr Flüchtlinge aus den abgebrannten Stadtteilen“ berichtete er seiner Frau am 10. September 1937. Zwei Wochen später wurde die Situation immer brenzliger: „Tausende und Tausende sterben ringsum“, notierte er. „Schon wieder ein Fliegerkampf vorm Fenster“, hieß es am 16. Oktober.

Mohr schrieb von seiner Arbeit in einem Lager mit 9000 Flüchtlingen und einem Lazarett des Roten Kreuzes und von einer Auszeichnung, die er für seien aufopferungsvolle Tätigkeit erhalten hat: „Wenn's aus ist, schick ich Eva einen schönen kleinen chinesischen Orden, den ich gestern angepappt bekam.“

Einen Tag vor seinem Tod berichtete Mohr seiner Frau vom Ende der Kämpfe, die „die reinste Hölle“ gewesen seien: „der Fluss voll von treibenden brennenden Schiffen, Höllenlärm der Flieger, Bomben, Granaten, Maschinengewehre.“

Max Mohr, der an Angina Pectoris litt, aber dennoch ununterbrochen rauchte und Kaffee trank, war der Anspannung, den nächtlichen Patientenbesuchen und der täglichen Arbeit in Praxis und Lazarett nicht mehr gewachsen. Am 13. November 1937 starb er 46-jährig in einem Taxi an Herzversagen und Überanstrengung; er war zur Behandlung eines chinesischen Kaufmanns in dessen Haus gerufen worden.

Urne im Meer versenkt

Mohrs Asche sollte zu seiner Frau in Deutschland gebracht werden, wurde jedoch bei einer Inspektion des Schiffes, das sie an Bord hatte, entdeckt. Der Kapitän, ein Freund des Autors, versenkte die Urne vor Helgoland im Meer und brachte Mohrs Frau eine Karte, auf der die Stelle markiert war. Mohrs zwei Jahre jüngere Schwester Hedwig wurde später in Theresienstadt ermordet.

Mit der Eskalation der antijüdischen Maßnahmen in Deutschland, vor allem nach dem Novemberpogrom von 1938, kamen immer mehr jüdische Emigranten, die vor den mit den Japanern verbündeten Nationalsozialisten aus Deutschland flohen. Ende der dreißiger Jahre lebten rund 32 000 Juden in Shanghai. Wie durch ein Wunder entgingen sie fast ausnahmslos der Ermordung durch die Japaner, obwohl die Deutschen massiven Druck auf Tokio ausübten, das Anfang der vierziger Jahre geschaffene Getto zu liquidieren.

Nach der Kapitulation Japans im August 1945 wurde Shanghai wieder chinesisch und im Mai 1949 mit dem Einmarsch von Maos Volksbefreiungsarmee kommunistisch. Heute ist Shanghai ein glitzerndes Wirtschafts- und Unterhaltungszentrum Chinas, mit 19 Millionen Einwohnern die größte, reichste und modernste Metropole Chinas.

Max Mohr (1891 bis 1937), Schriftsteller und Arzt, 1936 im chinesischen Exil in Shanghai.
Foto: Foto Humbert | Max Mohr (1891 bis 1937), Schriftsteller und Arzt, 1936 im chinesischen Exil in Shanghai.
Im Branchenregister des Shanghaier Emigranten-Adressbuchs befand sich auch ein Eintrag des Würzburger Arztes Max Mohr.
Foto: PRIVATFOTO | Im Branchenregister des Shanghaier Emigranten-Adressbuchs befand sich auch ein Eintrag des Würzburger Arztes Max Mohr.
 
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