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OBERDÜRRBACH
Ein Verein, ein großes Haus: Wo Jung mit Alt zusammenwohnt
Sind dabei, sich zusammenzuraufen: Mieter, Eigentümer und Vereinsmitglieder von „Wohnen in Gemeinschaft - Jung und Alt“.
Foto: Pat Christ | Sind dabei, sich zusammenzuraufen: Mieter, Eigentümer und Vereinsmitglieder von „Wohnen in Gemeinschaft - Jung und Alt“.
Pat Christ
Pat Christ
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:22 Uhr

Auf Wiedersehen in Oberdürrbach“, steht auf dem Schild am Ortsausgang. Aber halt! Dahinter kommt ja noch was: Ein Komplex mit drei aneinandergebauten Häusern. Das Ensemble ist insofern ungewöhnlich, als es aus einer mutigen Initiative hervorging. „Wohnen in Gemeinschaft – Jung und Alt“ nennt sich das von einem Verein getragene Wohnprojekt, das in einem Zeitraum von nur fünf Jahren realisiert werden konnte.

Angelika und Georg Schmitt waren im Juli die Ersten, die in die neue Wohnanlage einzogen. Ohne die beiden würde es das ganze Projekt wahrscheinlich gar nicht geben. Die Idee dazu entstand in einem katholischen Familienkreis, der sich regelmäßig auf dem Würzburger Heuchelhof trifft, erzählt Angelika Schmitt: „Dort sprachen wir einmal darüber, wie wir im Alter leben möchten.“ Der 60-jährigen Krankenschwester und ihrem Mann war seit langem klar, dass sie, nachdem die Kinder ausgezogen waren, nicht alleine in einem großen Haus wohnen wollten. Darum machten die den Vorschlag, ein Wohnprojekt zu planen. Doch lediglich das Ehepaar Hermann und Lydia Wördehoff hatte damals ein echtes Interesse daran. „So gingen wir außerhalb des Familienkreises auf die Suche nach Mitstreitern“, sagt Angelika Schmitt.

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Fünf Jahre von der ersten Infoveranstaltung bis zum Einziehen

Die ersten Interessierten wurden 2011 bei einer Veranstaltung der Stadt Würzburg über alternative Wohnprojekte gefunden. Ein halbes Jahr darauf lud man zum ersten Stammtisch ein. Etliche Menschen, die sich gut vorstellen konnten, als Rentner mit anderen zusammenzuwohnen, kamen zum Treffen.

Schon bei diesem ersten Stammtisch hatte Hermann Wördehoff einen Plan dabei, wie das Projekt auf einem rund 2800 Quadratmeter großen Grundstück in Oberdürrbach bei Würzburg aussehen könnte. „Das Grundstück gehörte der Müller und Wördehoff GmbH, an der ich zu 50 Prozent Gesellschafter bin“, erklärt der Architekt. Die GmbH hatte es erworben, um darauf Reihenhäuser zu errichten. 2011 haben Wördehoff und sein Partner beschlossen, das Areal der zu gründenden „Baugemeinschaft Sankt-Josef-Straße 13, 15, 17 und 19 GbR“ zu verkaufen.

13 Wohnungen mit unterschiedlichem Grundriss

Die 13 Wohnungen, die in den drei Häusern der neuen Wohnanlage untergebracht sind, haben individuelle Zuschnitte. Die kleinste Wohnung verfügt über knapp 32, die größte über fast 130 Quadratmeter Wohnfläche. „Die Größen sind so gestaffelt, dass wir die gewünschte Mischung von Jung und Alt erzielen können“, sagt Wördehoff. Dieses Ziel sei auch erreicht worden.

Den Bau der Wohnanlage, die knapp drei Millionen Euro kosten wird, bezahlt die Baugemeinschaft. „Die einzelnen Bauherrn, also die Gesellschafter der GbR, müssen Abschlagszahlungen je nach Baufortschritt auf das gemeinsame Konto einzahlen“, erläutert Wördehoff. Jeder zahlt so viel, wie sein Anteil am Gesamtprojekt ausmacht.

Dass ein Grundstück zur Verfügung stand und nicht monatelange über jeden Ziegelstein diskutiert werden musste, macht das Erfolgsgeheimnis der Initiative aus. Viele Wohnprojekte scheitern, weil sich nach einiger Zeit herausstellt, dass es zu verschiedene Vorstellungen über das Konzept gibt. Diejenigen Projekte, die überleben, brauchen im Durchschnitt zehn Jahre, bis ein Haus oder eine Wohnanlage realisiert ist.

Für die Schmitts ein großer Schritt

Doch auch mit einem Konzept gibt es noch genug Hürden zu überwinden. Vor allem der Abschied vom bisherigen Zuhause, fällt vielen schwer. So ging es auch den Schmitts. „Beim Notar zu sitzen und das Haus, in dem man die Hälfte seines Lebens verbracht hat, zu verkaufen, war ein merkwürdiges Gefühl“, sagt Angelika Schmitt. Ein Jahr ist es her, dass sich das Paar offiziell von seinem Haus verabschiedete. Danach wohnten sie noch acht Monate als Gast in den eigenen vier Wänden. Im Juli zogen sie in den Oberdürrbacher Wohnkomplex ein.

„Hier haben wir nur noch die Hälfte der Fläche zur Verfügung“, erzählt Schmitt. Das bringt logistische Probleme mit sich: „Wo soll man zum Beispiel die Wäsche zum Trocknen aufhängen?“ Früher war das kein Problem, im Keller und im Heizungsraum war viel Platz. Jetzt ist Angelika Schmitt am Experimentieren: „Wobei wir ja noch eine Gemeinschaftsfläche draußen mit Wäschespinne bekommen sollen.“

Für den Fall der Fälle: Mediatorin dabei

Noch ist alles im Werden, vieles muss sich erst finden. So ist auch noch nicht ganz klar, wie die Bewohner der 13 Wohnungen künftig zusammenleben wollen. Wenn alle eingezogen sind, soll es hierzu ein großes Treffen geben. „Wir laden auch eine Mediatorin ein“, sagt Lydia Wördehoff. Unter ihrer Regie sollen womöglich divergierende Vorstellungen von „Gemeinschaft“ austariert werden. Schon jetzt allerdings durchzieht ein besonderes Gemeinschaftsgefühl die Mehrgenerationenwohnanlage. „Man hat nicht, wie anderswo, Scheu, sich gegenseitig um kleine Hilfeleistungen zu bitten“, sagt die Psychotherapeutin Irene Urban. Sie zog bald nach den Schmitts ein – und zwar gleich zweifach: In einer der Wohnungen lebt sie, in einer anderen hat sie ihre Praxis untergebracht.

Ein junger Mieter aus Syrien

Mit Muhammad Ramzi Msouti kam im Oktober ein syrischer Flüchtling dazu. „Einem Asylbewerber oder einer Flüchtlingsfamilie Wohnraum zu bieten, war von Anfang an Teil unserer Idee“, sagt Lydia Wördehoff. Der von allen „Ramzi“ genannte 20-Jährige, der ab dem kommenden Sommersemester in Würzburg studieren möchte, kam über ein Vereinsmitglied an eine der kleinen Wohnungen. Thorsten Müller aus Frankenthal bei Mannheim kaufte eine Wohnung, weil er sein Geld sinnvoll anlegen wollte. Nach Mietern musste er nicht lange suchen: Innerhalb des Vereins „Wohnen in Gemeinschaft“ gibt es eine „AG Vermietung“, die Mieter sucht. Die AG schlug ihm ein polnisches Ehepaar vor: „Damit war ich auch gleich voll und ganz einverstanden.“

Alexander Lach zog im Herbst mit seiner Frau und zwei Kindern ein. Inzwischen ist die Familie zu fünft. Für Lach ist es beruhigend zu wissen, dass seine Frau von guten Nachbarn umgeben ist, wenn er zur Arbeit geht. Vielleicht möchte jemand auf den 16 Monate alten Leopold aufpassen, damit sich seine Frau auf das neue Baby konzentrieren kann. Oder ein Nachbar nimmt Leopolds zwölfjährigen Bruder zum Werken mit.

Gemeinschaftswerkstatt für individuelles Hämmern

Gehämmert, gebohrt und geschraubt wird in einer Gemeinschaftswerkstatt, die in den kommenden Wochen eingerichtet wird. Außerdem gibt es einen großen Gemeinschaftsraum mit 30 Klappstühlen, Küche und Leseecke. Beide Einrichtungen wurden vom Sozialministerium mit rund 15 000 Euro bezuschusst. In das Wohnprojekt ist außerdem eine kleine Gästewohnung integriert. Eine hauseigene Arbeitsgemeinschaft wird sich um deren Vermietung an Verwandte oder Freunde der Bewohner kümmern.

Zwölf Mieter sind Mitglied im Verein

„Das Engagement in solchen Aktionsgruppen ist erwünscht, aber freiwillig“, sagt Hermann Wördehoff. Auch muss nicht jeder Mieter zwingend Mitglied des aktuell 30-köpfigen Vereins „Wohnen in Gemeinschaft“ sein. Wobei dies Vorteile mit sich bringt: „Wir haben die Mietinteressenten aufgefordert, dem Verein beizutreten, und ihnen angeboten, die Mietkaution von zwei auf 1,5 Monatsmieten zu reduzieren.“ Zwölf Mietparteien seien nun im Verein Mitglied.

Dass die Wohnanlage in Oberdürrbach nun realisiert ist, macht den Verein nicht arbeitslos. Als Nächstes wird versucht, auf dem Hubland ein zweites Wohnprojekt für alle Generationen zu verwirklichen. Auch hierfür braucht es Mitstreiter, die sich für Mehrgenerationenwohnen interessieren und bereit sind, Geld in ein Zukunftsprojekt zu investieren. Über den Stand des Projekts wird bei den monatlichen Stammtischen informiert.

Der Stammtisch „Wohnen in Gemeinschaft“ trifft sich am 12. Dezember um 19.30 Uhr im Würzburger Hofbräukeller.

Wohnen in Gemeinschaft – Jung und Alt       -  Am Ortsausgang von Oberdürrbach bei Würzburg, hinter Kita, Schule und Kirche, befindet sich das Wohnprojekt „Jung und Alt“. Seit diesem Sommer leben dort mehrere Generationen zusammen.
Foto: Daniel Peter | Am Ortsausgang von Oberdürrbach bei Würzburg, hinter Kita, Schule und Kirche, befindet sich das Wohnprojekt „Jung und Alt“. Seit diesem Sommer leben dort mehrere Generationen zusammen.
 
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