
Als Autor erfolgreicher Kriminalromane ist der österreichische Schriftsteller Bernhard Aichner hierzulande bestens bekannt, als Theaterautor hingegen ist er noch zu entdecken. Möglich ist das ab sofort im Theater Sommerhaus in Winterhausen, wo die Bühnenfassung von Aichners Roman „Kaschmirgefühl“ die Sommerwochen einläutet.
Sommerlich leicht kommt auch der Stoff daher, zumindest auf den ersten Blick. Ein einsamer Mann ruft die Nummer einer Sexhotline an. „Joe“ spricht mit „Yvonne“. Sie reagiert sofort überaus professionell und will ihr gewohntes Repertoire durchziehen, er will keinen Telefonsex, sondern sucht das Gespräch.
Und was das Geschäftsmodell gar nicht vorsieht, geschieht tatsächlich. Die beiden beginnen miteinander zu reden, erzählen sich aus ihrem Leben, geben Privates preis, kommen sich übers Telefon näher und werden immer wieder getrennt, wenn mal der eine, mal die andere auflegt. Ganz allmählich kommen hinter den Kunstfiguren Joe und Yvonne die realen Personen Gottlieb und Marie zum Vorschein, die sich das Blaue vom Himmel erzählen, von Schicksalsschlägen und Lottogewinnen, von nicht vorhandenen Kindern und erfundenen Geliebten.
Sehnsucht nach Nähe
Und dann beginnen sie auch noch gemeinsam eine Liebesgeschichte zu erfinden und weiter zu spinnen. Aber können sie einander vertrauen? War es wirklich Zufall, dass Gottlieb genau diese Nummer gewählt hat? Und wer ist Marie wirklich? Die Sehnsucht nach Nähe treibt die Figuren weiter. Doch die Angst vor Enttäuschung ist nicht so leicht zu überwinden. Was wird am Ende der Nacht geschehen?

Gebannt begleiten wir Zuschauer die beiden durch eine lange Telefonnacht, wir begleiten sie ganz nah auf ihrer emotionalen Achterbahnfahrt, fiebern förmlich mit und lassen uns mitreißen von einem spannenden Spiel der Irreführung zwischen Lügen und anderen Unwahrheiten. Gekonnt bringt die bestens bewährte Sommerhaus-Regisseurin Iwona Jera in ihrer Inszenierung den Dreiklang aus Romantik, Komik und Tragik zum Klingen.
Keine Effekthaschereien
Jera verzichtet auf jegliche Effekthaschereien, konzentriert sich ganz auf die Sprache und den versteckten Witz der klugen Dialoge. Brigitte Obermeier und Heiko Schnierer füllen die Figuren mit enormer Präsenz und Lebensklugheit, wechseln souverän Tempo und Tonlage und erzeugen so eine über die gut 90 Minuten anhaltende hohe Spannung. Da spürt man erst mal wieder, auf was man im Theater-Lockdown verzichten musste.
Auf dem Spielplan bis zum 1. August, nächste Vorstellungen vom 18. bis 20. Juni, sowie am 3. und 4. Juli. Karten-Tel.: (09333) 9049867; www.theater-sommerhaus.de