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Würzburg
Ein Stück Freiheit: Europa in Würzburg
Wofür steht Europa, wie tritt die EU in der Stadt Würzburg in Erscheinung und welche Bedeutung haben die Partnerstädte? Ein Gespräch mit Michal Kopriva zur Europawahl.
Michal Kopriva kümmert sich im Rathaus um das Thema Europa. Im Oberen Foyer läuft derzeit eine Ausstellung, die auf 20 Jahre Frühling International zurückblickt.
Foto: Patty Varasano | Michal Kopriva kümmert sich im Rathaus um das Thema Europa. Im Oberen Foyer läuft derzeit eine Ausstellung, die auf 20 Jahre Frühling International zurückblickt.
Katja Glatzer
 |  aktualisiert: 27.04.2023 08:16 Uhr

Am 26. Mai werden die Würzburger zur Europawahl an die Urnen gerufen. Doch wofür steht die Europäische Union, kann sie den Frieden in Europa wirklich sichern, und wie sieht Europa auf lokaler Ebene aus? Darüber haben wir mit Michal Kopriva gesprochen, der im Würzburger Rathaus seit neun Monaten für die Bereiche Würzburg International, Standortmarketing und EU-Angelegenheiten zuständig ist. Der 42-jährige gebürtige Tscheche absolvierte sein Studium für Europa-Studien und Europäische Integration in Tübingen und an der TU Chemnitz. Zunächst arbeitete er für die Gemeinnützige Hertie-Stiftung in Frankfurt, dann bei den Industrie-und Handelskammern in Dresden (Kontaktzentrum für Sächsisch-Tschechische Wirtschaftskooperation) und in Würzburg (Bereich International). Europa zieht sich durch Koprivas Leben wie ein roter Faden. Er wurde in Tschechien geboren, seine Oma väterlicherseits war eine Sudetendeutsche, der Opa ein Österreicher. Kopriva ist mit Leidenschaft Anhänger der europäischen Idee und bezeichnet sich selbst als "einen Europäer mit tschechischen Wurzeln".

Frage: Herr Kopriva, was ist eigentlich das Wichtige an der Europäischen Union?

Michal Kopriva: Die größte Errungenschaft der Europäischen Union ist für mich, dass wir seit 74 Jahren in Frieden leben. Frieden, Freiheit, Demokratie - all das sind Attribute, für die die EU steht.  Besonders als junger Mensch stehen einem in Europa die Türen offen, und man kann ohne große bürokratische Hürden in EU-Ländern studieren oder arbeiten. Das bedeutet eine große Freiheit und Entwicklungsmöglichkeiten. Eine wichtige Errungenschaft im wirtschaftlichen Bereich ist der EU-Binnenhandel und die Währungsunion. Davon profitieren sehr viele Unternehmen, auch hier bei uns in Mainfranken.

Warum braucht es die EU, um Frieden in Europa zu sichern?

Kopriva: Gehen wir in der Geschichte zurück: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Bemühungen groß, zusammenzuhalten. Der Europatag (9. Mai) zum Beispiel geht zurück auf die berühmte Pariser Rede von Frankreichs damaligem Außenminister Robert Schumann im Jahr 1950. Damals sah man vor allem die Idee des Friedens in Europa. Die Kohl- und Stahlgemeinschaft war der Vorreiter der Europäischen Union. Seit den 50er Jahren ist Europa weiter zusammengewachsen. Natürlich auch aus wirtschaftlicher Sicht, aber auch - und das an erster Stelle - um den Frieden zu sichern. Nach den zwei Weltkriegen zu sagen: Jetzt ist es genug. Die Globalisierung, die stetig voranschritt, tat ihr Übriges. Es war klar, dass Europa als „Konkurrenz“ gegenüber Russland, China und den USA nur gemeinsam etwas bewegen kann. Welches Land kann schon alleine Wirtschaftskrisen stemmen? Welches Land kann alleine die klimapolitischen Ziele erreichen? Wir brauchen eine Union, um die heutigen gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Das dient auch zur Sicherung des Friedens in der Welt.

Wie sehr blutet Ihnen dabei das Herz angesichts des Ausstiegs der Briten aus der EU, dem Brexit?

Korpiva: Ich finde es wahnsinnig schade, dass solch ein wichtiger EU-Mitgliedsstaat austreten will und höchstwahrscheinlich auch austreten wird. Als große Gefahr und Nachteil sehe ich auch den möglichen Austritt aus der Zollunion, wenn die Briten den "Harten Brexit" durchziehen. Das hat bittere Konsequenzen für deutsche Unternehmen, aber selbstverständlich auch für die britischen. Momentan merken die Briten glaube ich, dass sie nicht weiterkommen. Schließlich fand das Referendum bereits am 23. Juni 2016 statt. Ich persönlich glaube, dass in Großbritannien vor der Wahl vieles falsch dargestellt wurde, um eine noch größere Europaskepsis zu verbreiten. Es wäre sehr interessant zu erfahren, wie ein nochmaliges Referendum ausgehen würde. Die Briten haben einen Ausstieg unterschätzt.

Sehen Sie die Gefahr, dass andere Länder dem Beispiel der Briten folgen?

Kopriva: Die Gefahr besteht durchaus. Vor allem, weil antieuropäische Parteien eine Art Renaissance erleben und einige Menschen auf einfache Parolen empfänglich reagieren. Aber ich denke, dass durch die wahnsinnig komplizierte Prozedur, die wir gerade mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU erleben, und die vielen Nachteile, die es mit sich bringt, die Menschen und die Politik mehr über die Konsequenzen eines Austritts nachdenken müssen. Man sollte nicht vergessen, welche Vielfalt an Möglichkeiten die EU den Bürgern der Mitgliedstaaten eröffnet.

Wie sieht Europa auf lokaler Ebene aus?

Kopriva: Von vielen Bürgern wird Europa als ein bürokratisches Konstrukt oder gar Ungeheuer angesehen, das in Straßburg und Brüssel zuhause ist und, von dem man nicht weiß, wofür es eigentlich gut ist. Um ein konkretes Beispiel zu geben: Europa vor Ort ist, über eine Brücke zu fahren, die neben Bund und Kommunen von der EU mitfinanziert wurde. Wenn wir morgens aufstehen und duschen ist das saubere Wasser ein Stück Europa (Umweltqualitätsnormen seit 2008), beim Frühstück ist es dann die Marmelade, die wir aufs Brötchen schmieren, die vielleicht einen EU-Biosiegel trägt. Denn vieles entspricht den europäischen Normen. Diese erleichtern Unternehmen den Export, tragen aber auch wegweisend zur Verbesserung des Verbraucher-, Umwelt-, Arbeits- und Gesundheitsschutzes bei. Allerdings: Keine Norm kann alle Ansprüche erfüllen. 

Die EU-Politik transparent machen: Hier wehen die Europafahnen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel im Wind.
Foto: dpa/Inga Kjer | Die EU-Politik transparent machen: Hier wehen die Europafahnen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel im Wind.

Und wie sieht es speziell mit EU-Projekten in Würzburg aus?

Kopriva: Das Technologie und Gründerzentrum (TGZ) wurde zum Beispiel mit 936 000 Euro von der EU kofinanziert, die Landesgartenschau im vergangenen Jahr mit 2,3 Millionen. Wenn wir über das Thema Umwelt sprechen, gibt es etliche Projekte, in die Fördergelder der EU fließen, beispielsweise in die Green-Leaf-Initiative, um Städte und Orte in Europa schöner und umwelttechnisch nachhaltiger zu gestalten. Ähnlich auch das Projekt "Nachhaltig mobil". Viele dieser Initiativen werden von der EU ins Leben gerufen oder finanziert, allerdings klebt da keine Plakette drauf "Made in EU". Wer mehr über die Projekte wissen will, kann sich auf der "Citizens App" des Europäischen Parlaments "Europa liegt in Deiner Hand" informieren . Dort kann man auch genau nachschauen, welche Projekte in Würzburg  von der EU mitfinanziert werden. Aber auch wir als Kommune können bei der EU mit einer Idee anklopfen und Fördergelder beantragen.

Wie wichtig sind unsere Städtepartnerschaften?

Kopriva: Würzburg hat ja zehn Städtepartnerschaften und zwei Städtefreundschaften. Für eine weltoffene und tolerante Gesellschaft ist der Austausch mit anderen Menschen, Ländern und Kulturen immens wichtig. Erst vor Kurzem gab es eine Bürgerreise mit 20 Teilnehmern in unsere Partnerstadt Otsu nach Japan. Und dann besuchte die Bürgermeisterin aus Otsu Würzburg. Im Oktober ist eine Bürgerreise in unsere irische Partnerstadt Bray-Wicklow geplant. Ein toller Nebeneffekt der Freundschaften ist, dass sich auch verschiedene Partnerstädte untereinander verbinden: So kamen zum Residenzlauf Läufer aus dem tschechischen Trutnov und aus Caen in Frankreich zusammen. Und Caen lud uns alle zum großen Lauf in ihre Stadt ein. Eine wichtige Rolle spielt auch der Schüleraustausch. Auch eine Praktikantin aus Caen ist derzeit bei uns in der Abteilung.  

Als Europa-Beauftragter im Würzburger Rathaus sind Sie ja im Prinzip der Vermittler der europäischen Idee nach außen. Wie gestaltet sich das?

Kopriva: Wir haben den Bürgern mit der Reihe „Europa deiner Wahl“ eine thematisch heterogene Veranstaltungsserie geboten. Dabei standen verschiedene europäische Themen im Fokus wie zum Beispiel die Europawahl für Menschen mit Behinderung einfach erklärt, Migration und Demokratie, ein Multimediavortrag über das Europäische Parlament oder eine Podiumsdiskussion mit Vertretern aus Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. In Zukunft ist es meine Intension, noch mehr Veranstaltungen an öffentlichen Orten anzubieten und so den Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich zu informieren und auszutauschen. Ein Anliegen sind mir auch die Schulen. Auf spielerische und anschauliche Art und Weise soll die EU den Schülern näher gebracht werden, sei es über ein Planspiel oder eine Theatervorstellung. Mein Ziel ist es eine lebendige Schnittstelle zu sein. 

Warum sollten die Würzburger zur Wahl gehen?

Kopriva: Wir alle haben die Wahl, in einem demokratischen Europa weiterzuleben. Deswegen plädiere ich dafür, dass die Bürger ihre Stimme am 26. Mai abgeben. Hoffentlich eine Stimme für eine demokratische Partei. Wir sollten uns vor Augen führen, was uns Europa bringt: Unsere Kinder können auf eine Schule gehen, die für sie adäquat ist, wir müssen kein Parteibuch vorweisen, wir können unsere Kultur ausleben, solange wir niemanden verletzen, wir können die Sprache, die wir möchten mit unseren Freunden auf der Straße sprechen, können Gäste aus aller Welt hier empfangen, uns frei bewegen. Wenn ich morgen sage, ich möchte in Frankreich leben und arbeiten, kann ich das tun. All das sind Errungenschaften, die es ohne die EU nicht geben würde. Es lohnt sich wählen zu gehen und proeuropäisch zu wählen. Denn: All das, was wir haben, ist nicht selbstverständlich.

Europa deiner Wahl
Würzburg trägt seit dem Jahr 1973 den Titel Europastadt.  Dies drückt aus, dass sich die  Stadt in besonderer Weise dem Gedanken der europäischen Verständigung verschrieben hat. Im Rahmen der Reihe "Europa deiner Wahl" lädt das Büro EU-Angelegenheiten in Zusammenarbeit mit seinen Kooperationspartnern am Freitag, 17. Mai, zum Multimediavortrag der besonderen Art über das Europäische Parlament ein. Der Diplom-Politologe und Journalist Ingo Espenschied hat mit seinem Multimediavortrag "Das Europäische Parlament - Stimme der Bürger" schon mehr als  25 000 Zuschauer in Deutschland und Frankreich begeistert. Beginn ist im Programmkino Central (großer Saal) im Bürgerbräu um 18 Uhr (bis 20 Uhr), morgens von 9 bis 11 Uhr für Schulen. Kooperationspartner von "Europa deiner Wahl" sind unter anderem die Robert Kümmert Akademie, die Jugendbildungsstädte Unterfranken, der Stadt- Jugendring und Pulse of Europe.
 
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