Jan Kolbert ist rechtzeitig morgens um sieben in Sommerhausen angekommen. Der Mitarbeiter des Ulsenheimer Weingutes Meier bringt die Kisten für die Trauben, die an diesem Morgen gelesen werden sollen. Das Besondere: Im steilen Weinberg sind erstmals keine menschlichen Lesehelfer im Einsatz, sondern eine ganz neue Maschine. Der Steillagenvollernter kann auf Flächen mit einer Steigung bis zu 75 Prozent arbeiten.
Zu Fuß kommt man dem Vollernter in diesem Gelände kaum hinterher. Die Raupe entfernt sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit zügig den Hang hinauf. Dort steht der Schlepper mit dem Anhänger, auf den die Raupe nach jeder Aufwärtsfahrt per Stahlseil gezogen wird. Aus seiner Kabine erteilt Fahrer Solyom Csaba dem Schlepper per Fernsteuerung einen Befehl: weiterfahren. Der Schlepper bewegt sich auf dem Weinbergsweg einige Meter vorwärts und bleibt stehen.
Der Greifarm rüttelt an den Pflanzen
Jetzt kann Solyom Csaba die nächste Zeile ansteuern. Der Fahrer nimmt Maß, platziert das sogenannte Ernteaggregat über der obersten Pflanze und schließt dessen Greifarme. Dann fährt er los. Der Greifarm beginnt zu rütteln und löst so die Trauben, die auch gleich aufgefangen werden, während die Maschine nach unten entschwindet. Die Frage, ob die Abfahrt den steilen Hang hinunter ihn nicht beunruhige, löst bei Solyom Csaba Heiterkeit aus. „Da gibt es Schlimmeres“, sagt er.
Seine Aufgabe ist anspruchsvoll, erfordert Gefühl und Fingerfertigkeit. Nur mit seiner linken Hand steuert Csaba das Gerät. Er arbeitet für die Heidingsfelder Firma Florian Hofmann GmbH, die unter anderem Dienstleistungen im Bereich Weinbau anbietet. Weinbaubetriebe können Maschinen und Mitarbeiter bei dem Unternehmen buchen. Die neueste Errungenschaft im Fuhrpark von Florian Hofmann ist der Steillagenvollernter. Außer seiner, sagt der Chef, sei bislang nur eine einzige andere derartige Maschine in Deutschland im Einsatz.
Herkömmliche Vollernter sind Steillagen nicht gewachsen
Florian Hofmann schätzt, dass seine beiden Mitarbeiter und der Steillagenvollernter den einen halben Hektar großen und knapp 50 Prozent steilen Weinberg bis Mittag abgeerntet haben werden. „Bei der Handlese wären wohl zwölf Leute einen ganzen Tag lang damit beschäftigt“, sagt der Chef. Er hat die 360 000 Euro teure Maschine angeschafft, weil er bei seinen Kunden Bedarf dafür sieht. „Den wird jeder haben wollen“, ist er überzeugt. Zwar sei es schon länger möglich, auch steile Weinlagen mit Maschinen zu bearbeiten, für die Lese galt dies aber bislang nicht.
Etwa 900 der rund 6100 Hektar Rebfläche in Franken sind Steillagen, sagt Georg Bätz, Leiter der Abteilung Weinbau bei der Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim. Damit sind Lagen mit 40 Prozent Steigung und mehr gemeint. Herkömmliche Traubenvollernter, erklärt Hofmann, kämen aber nur in Gelände bis höchstens 40 Prozent Steigung zurecht. Die hoch aufragenden Maschinen würden in steileren Lagen umkippen. Außerdem fahren sie auf Rädern anstatt mit Ketten und würden daher keinen ausreichenden Halt auf dem Untergrund finden.
Steillagen erfordern viel Personal
Den mit der Steillagenbewirtschaftung einhergehenden hohen Personalaufwand könnte ein Vollernter also reduzieren. Etwa 500 Arbeitskraftstunden rechne man für einen Hektar „normalen“ Weinberg, sagt Georg Bätz. In einer Steillage könne es gut und gern das Doppelte sein. „Und Personal ist so ziemlich das teuerste.“ Um die Nachteile auszugleichen, gibt es allerdings auch Zuschüsse vom Freistaat Bayern, der seinen Winzern für die Bewirtschaftung solcher Flächen Anreize bieten will.
Natürlich haben steile Weinberge nicht nur Nachteile. „Die Sonneneinstrahlung ist höher, und es entsteht mehr Wärme“, erklärt Bätz. Daher gediehen auf Steillagen die edelsten Gewächse. Was aber im Umkehrschluss nicht heiße, dass man für einen doppelt so feinen Wein auch den doppelten Preis nehmen könne.
Blätter und Stengel werden aussortiert
Im 650 Liter fassenden Traubenbehälter auf dem unteren Weg haben sich inzwischen schon eine ganze Menge Bacchus-Trauben angesammelt. Kein Blatt, kein Holzstengel ist in dem Bottich zu sehen. Erstaunlich angesichts der Vehemenz, mit der der Greifarm die Pflanzen schüttelt. Aber auch das Aussortieren von unerwünschtem Lesegut übernimmt die Maschine. Jan Kolbert vom Ulsenheimer Winzerbetrieb sagt, dass etwaige faulige Trauben trotzdem vorher abgesammelt werden müssten. Sie wären der Qualität des Weins abträglich.
Das Grüppchen Interessierter, die zur Besichtigung nach Sommerhausen gekommen sind, möchte die Maschine näher in Augenschein nehmen. Deshalb darf Solyom Csaba erst einmal ein Päuschen machen. Sein Chef hofft, das Arbeitstempo des Vollernters im Laufe der Zeit noch steigern zu können. Gelegenheit zum Üben gab es übrigens schon vor dem Einsatz in Sommerhausen. Seit etwa einer Woche ist die Maschine in der Region am Werk.