Tagsüber beschäftigt er sich mit Zahlen, Aktienkursen, Tabellen. In seiner Freizeit jagt Sebastian Wächter dem Rugbyball hinterher. Vor knapp zwei Jahren entdeckte der Rollstuhlfahrer aus Würzburg den Rugbysport für sich. Nun kann er mit einem richtig guten Rollstuhl Turniere bestreiten. Dank fünf Spendern konnte sich der 26-jährige Portfoliomanager einen Spezial-Rolli beschaffen: „Zwei Drittel der Kosten wurden dadurch finanziert.“
Seit fast neun Jahren sitzt Sebastian Wächter im Rollstuhl. Ein Joggingunfall führte Ende 2007 zur Querschnittslähmung. Das änderte sein Leben radikal. Wächter, der schon immer sportlich war, spielte Fußball und Basketball, wanderte und joggte. Umso tragischer erscheint es, dass er die Beine plötzlich nicht mehr und die Arme nur noch eingeschränkt bewegen konnte. Wächter selbst allerdings sieht das anders: „Ich denke, mein Kampfgeist half mir, mit dem Rollstuhl klarzukommen.“
Die ersten Monate nach dem Rugby-Einstieg waren zäh
Beruflich verlief sein Leben nicht viel anders, als er sich das vor seinem Unfall vorgestellt hatte. Wächter machte sein Abitur und begann, in Würzburg Wirtschaftsmathematik zu studieren: „Aktienmärkte haben mich schon immer interessiert.“ Ende Februar schloss der aus dem Landkreis Schweinfurt stammende Finanzfachmann sein Studium mit dem Master ab. Seit April arbeitet er in einer Würzburger Bank als Portfoliomanager.
Neben dem Studium mauserte er sich zum Rollstuhl-Rugbyspieler. Was gar nicht so einfach war: „Die ersten zwei, drei Monaten nach dem Einstieg in diesen Sport sind äußerst zäh.“ Das Spiel ist actionreich. Anfänger können sich zunächst nicht vorstellen, dass sie jemals so schnell sein werden wie ihre durchtrainierten Mitspieler. Man sitzt in einem Rugby-Rollstuhl auch anders: „Das fühlt sich erst mal unbequem an.“ Doch Wächter biss sich durch. Als der Würzburger Rolli-Rugbyspieler Florian Büttner ihn Anfang 2015 fragte, ob er das Rugby-Team „Main-Tigers“ mitgründen möchte, war er dabei.
Die Spieler haben an mindestens drei Gliedmaßen Einschränkungen
Vier Spieler aus dem Raum Würzburg trainieren bei den „Main-Tigers“ regelmäßig an jedem Donnerstag in der Turngemeinde Würzburg (TGW). Allen ist gemeinsam, dass sie an mindestens drei Gliedmaßen Einschränkungen haben. Das verlangen die Rollstuhl-Rugbyregeln. Neben Männern und Frauen mit einer Querschnittslähmung nehmen Menschen mit Amputationen oder Spastiken an Rollstuhl-Rugbyteams teil.
Jüngst wurde das erste „Wheels on Fire Rugbytournament“ in Würzburg ausgetragen. Vier Mannschaften traten in den Hallen der TGW gegeneinander an. Zum letzten Mal spielte Wächter in seinem alten Rolli, den er einem anderen Spieler gebraucht abgekauft hatte: „Doch der ist nicht wirklich auf mich angepasst.“ Nun steht ihm der neue Rolli zur Verfügung. Der ist fest verschweißt, hat schräg stehende Räder und ist vorne mit einem Prallgestell namens „Bumper“ ausgestattet.
Fast 10 000 Euro hat der Sportrollstuhl gekostet. Mit Hilfe von Annette Wolz vom Verein „Annettes Kinderturnen“ konnten fünf Sponsoren gewonnen werden. Die Würzburger Reinfurt-Stiftung gewährte einen Zuschuss von 2500 Euro, 2000 Euro kamen von der Sozialstiftung des Bayerischen Fußball-Verbands (BVF), jeweils 1000 Euro gaben die Franz-Beckenbauer-Stiftung sowie der Verein FC Bayern Hilfe, 750 Euro streckte die Sparkasse Mainfranken zu.
Der Aufenthalt in den USA öffnete Wächter die Augen
Wer Sebastian Wächter auf dem Spielfeld in Action sieht, kann sich nicht vorstellen, was er seit seinem Unfall Ende 2007 alles mit- und durchgemacht hat. Der 26-Jährige scheint sein Leben mit Handicap bestens zu meistern. Sogar den Traum von einem Auslandssemester im amerikanischen Austin hat er sich während seines Studiums erfüllt. Das war nicht gerade einfach gewesen. Wächter ist täglich auf Hilfe durch Pflegekräfte angewiesen. Die musste er sich in den USA erst mal organisieren. Auch ein spezielles Bett war zu beschaffen.
Der Aufenthalt in den USA öffnete Wächter die Augen dafür, was für Menschen mit Behinderung alles möglich ist, wenn sie nicht von äußeren Umständen behindert werden: „In Amerika sind Geschäfte und Gaststätten grundsätzlich barrierefrei.“ In Deutschland müssen sich Rollstuhlfahrer vorab erkundigen, ob sie in ein Café, eine Kneipe oder ein Restaurant ohne Hilfe hineinkommen und ob eine behindertengerechte Toilette vorhanden ist. Auch Busse und Züge sind in den USA garantiert barrierefrei nutzbar: „In Deutschland muss man sich vorher bei der Bahn anmelden, damit man beim Einsteigen Hilfe erhält.“
Auch das Studium ist in Deutschland umständlicher. Denn nicht alle Räume an der Uni, in denen Vorlesungen oder Seminare stattfinden, sind barrierefrei. Zwar sorgt der Behindertenbeauftragte vor Semesterbeginn dafür, dass passende Räume organisiert werden. In den USA ist dieser Zwischenschritt unnötig, so Wächter. In Hochschulen gibt es keine baulichen Hindernisse mehr.