
Ähnlich wie die Leonhard-Frank-Promenade im Mainviertel ist auch die Jehuda-Amichai-Straße ohne Postadresse – weshalb sie im allgemeinen Sprachgebrauch kaum vorkommt. Was beide Straßen noch verbindet, ist, dass sie an bekannte Würzburger Schriftsteller erinnern, die das Schicksal teilten, Würzburg während des Nationalsozialismus verlassen zu müssen. Frank, weil er ein bekennender Antifaschist war, Amichai, weil er Jude war und hier wohl nicht überlebt hätte.
Leonhard Frank und seinem Roman „Die Jünger Jesu“ war im Jahr 2014 die erste Stadtleseaktion „Würzburg liest ein Buch“ gewidmet, in diesem Jahr ist Amichais Roman „Nicht von jetzt, nicht von hier“ an der Reihe. Und weil die Amichai-Straße in unmittelbarer Nachbarschaft des Röntgen-Gymnasiums (RGW) liegt, beteiligten sich die drei Kunst-Grundkurse der elften Jahrgangsstufe am Schulwettbewerb von „Würzburg liest ein Buch“ und schufen einen temporären Amichai-Poesie-Park im benachbarten Ringpark.
Israels bedeutendster Lyriker
Jehuda Amichai ist am 3. Mai 1924 in Würzburg als Ludwig Pfeuffer geboren. 1935 flüchtete seine Familie nach Palästina. Zwei Jahre später erfolgte der Umzug nach Jerusalem. In Israel wurde er zum bedeutendsten Lyriker hebräischer Sprache, dessen Gedichte noch heute, 18 Jahre nach seinem Tod, äußerst beliebt und weit verbreitet sind. In Deutschland ist seine Lyrik weit weniger bekannt. Zuletzt veröffentlichte der Würzburger Verlag Königshausen & Neumann einen Band mit Neuübersetzungen von Amichai-Gedichten.

Amichais Lyrik ist nicht eingängig und leicht verdaulich, eher etwas sperrig und anspruchsvoll. Doch die Schülerinnen und Schüler des Röntgen-Gymnasiums ließen sich deshalb nicht davon abbringen, sich damit zu beschäftigen und die Sprach-Kunstwerke in künstlerische Installationen zu übertragen. RGW-Deutschlehrerin Andrea Schneider hatte zuvor eine Auswahl getroffen und Kunsterzieher Hubert Pfingstl kümmerte sich um die künstlerische Umsetzung. „Über eine solche Aktion können die Schüler Zugang zu Amichais Gedichten bekommen“, so Pfingstl, der sie bei der Konzeption und Herstellung vier Wochen lang betreute.
Der Ruschkewitz-Brunnen
Als geeigneter Ort die Kunst-Gartenschau erschien den Beteiligten das Umfeld des Ruschkewitz-Brunnens im Ringpark an der Ecke Amichai-Straße/Friedrich-Ebert-Ring. Der Ruschkewitz-Brunnen ist nach dem jüdischen Würzburger Warenhausbesitzer Siegmund Ruschkewitz (1871 bis 1940) benannt. Der Brunnen wurde von dem Bildhauer Arthur Schleglmünig geschaffen und war bei der Gartenausstellung in Hamburg im Jahr 1914 ausgestellt. Dort sah und erwarb Ruschkewitz den Brunnen und machte ihn der Stadt Würzburg zum Geschenk. Der Brunnen überstand die Zeit des Nationalsozialismus, während Ruschkewitz mit seiner Familie Deutschland verlassen musste. Die Umstände seines Todes sind nicht vollständig geklärt. Er starb entweder auf der Flucht oder ist im Konzentrationslager umgekommen.

Während alle Teile der Installation beschriftet sind und ihre Intention erklärt wird, vermisst man ähnliches am Ruschkewitz-Brunnen. Es wäre durchaus wünschenswert, wenn die Stadt Würzburg dies alsbald nachholen würde und auf einer Tafel den Namensgeber und Spender des Brunnens entsprechend würdigen würde.
Lyrik auf der Wäscheleine
Der Kunstparcours im Ringpark an der Amichai-Straße besteht aus acht ganz unterschiedlich gestalteten Stationen. Schon von weitem sichtbar ist auf Tafeln, die im Boden stecken, der Schriftzug mit dem Romantitel „Nicht von jetzt, nicht von hier“ zu erkennen. Um mehrere Bäume sind beschrifte Papierstreifen mit handgeschriebenen Amichai-Gedichten gewickelt. Wer sie lesen möchte, muss dazu die Bäume umkreisen. Auf einer Leine sind Wäschestücke aufgehängt, die auf das Amichai-Gedicht „Wäsche“ verweisen, in dem es um Unrast, Reise und Flucht geht. Das Gedicht ist auf einem der Wäschestücke, einem weißen Tuch, zu lesen. Als „poetischer Rastplatz“ ist eine Parkbank gestaltet, die mit Originalseiten aus dem Roman beklebt ist. Daneben steht ein gleichartig gestalteter Koffer. Beide sind Symbole für Reise und Ruhe.
Gedichte leuchten bei Nacht
Auch der Brunnen selbst wird als Ausstellungsfläche genutzt. Auf dem Boden sind Spiegeltafeln mit Buchstaben ausgelegt, die in einer Art Scrabble-Muster Schlagworte aus Amichai-Gedichten ergeben. An einem Ast hängen mehrere LED-Lampen, die bei Dunkelheit leuchten werden. Kleine Baumscheiben mit Worten aus Amichais Lyrik werden so bei Nacht zum Leuchten gebracht. Und schließlich leuchtet auch ein Strauch in hellem Rot in der Frühlingssonne. Es ist ein echter Rosenstrauch, der mit Kunstrosen bestückt ist und sich auf das Amichai-Gedicht „Eine Straße“ bezieht, in dem von Rosen die Rede ist.
Die Kunstausstellung unter freiem Himmel kann während der Leseaktion bi zum 29. April besichtigt werden. Ein Besuch lohnt sich – nicht nur für Freunde von Amichais Lyrik, für die jedoch ganz besonders.
Seine Frau Mina folgte ihm kurz darauf in den Tod, ebenfalls Opfer des an Bord aufgrund der entsetzlichen hygienischen Zustände ausgebrochenen Typhus.
Beide wurden auf dem jüdischen Friedhof in Heraklion auf Kreta begraben. Dieser Friedhof ist heute nicht mehr existent, zusammen mit dem benachbarten christlichen Friedhof wurde er 1951 mit dem "Yedi Kule" Fußballstadion überbaut.