Wenn Jürgen Weber eine Rede zu halten hat, dann plagt die Seinen ein flaues Gefühl: Hoffentlich bleibt kein Zuhörer auf der Strecke. Gut möglich, dass unterwegs wieder welche verloren gehen, wenn Weber sie mitnimmt in sein Dickicht aus Detailfülle, Gedankensprüngen, Chiffren und ausufernden und unvollendeten Sätzen.
Er sagt, er wisse, dass er da eine Schwäche habe. Er wünsche sich manchmal, er könnte formulieren wie Hubert Aiwanger, der Chef seiner Freien Wähler. Er arbeite an sich.
Wer nicht verloren geht, bekommt tiefe Einblicke in den kommunalpolitischen Betrieb. Weber versteht Würzburg und die Würzburger als ein, so sagt er, „großes Netzwerk von Bindungen“. Geübte Weber-Hörer hören, wie er in diesem Netzwerk eines ins andere greifen sieht
Er ist 67 Jahre alt, seit seinem 14. Lebensjahr engagiert in Ehrenämtern, wurde als 26-Jähriger Mitglied des Stadtrates, war Vorsitzender der CSU-Ratsfraktion, 2. Bürgermeister, Oberbürgermeister von 1990 bis 2002, hat in der Politik viel gesehen, erlebt und getan, hat ein erstaunliches Gedächtnis und nutzt es.
Weber flicht in seine Reden historische Entwicklungen ein, analysiert die Folgen von Einzelentscheidungen bis ins Kleinste fürs große Ganze, entwirft komplexe Gedankengebilde, alles in breitem Würzburger Dialekt, Aussprache und Grammatik inbegriffen. Seine Anhänger bewundern ihn für sein Wissen und sie mögen ihn, weil er nahe dran ist an den Leuten. Er hat Gegner, die halten ihn für konfus, ignorant und provinziell.
Weber ist das Kind einer katholischen Familie, hat sich in einem katholischen, antisozialistischen Milieu bewegt, war ein Befürworter von Deutschlands Remilitarisierung und der Sozialen Marktwirtschaft und politisch geprägt von der Teilung Deutschlands; als 18-Jähriger ist er in die CSU eingetreten. 1990, er war 44 Jahre alt, schloss ihn die Partei aus, weil er fürs Amt des Würzburger Oberbürgermeisters kandidierte, gegen die CSU-Kandidatin Barbara Stamm. Er gewann; das war sein größter persönlicher politischer Sieg. 2002 verlor er das Amt gegen die Christsoziale Pia Beckmann; das war seine größte persönliche politische Niederlage. Jahre der Demütigungen, berichtet er, seien danach für ihn im Stadtrat gekommen. Kaum jemand war sechs Jahre später mehr erleichtert als er über Beckmanns Niederlage gegen Georg Rosenthal.
Warum kandidiert ein 67-Jähriger, der in der Kommunalpolitik alle Höhen und Tiefen durchlebt hat, für den Landtag? Weber sagt: „Ich kann nicht anders“. Die Leidenschaft, sich ein- und durchzusetzen und etwas zu verändern, habe ihn nie verlassen. Er fühle sich immer verantwortlich für das, was ihm anvertraut wurde.
Der Altoberbürgermeister ist auf einer Mission für die Ganztagsschule. Die schulischen Betreuungsangebote in Bayern findet er samt und sonders untauglich, bis auf eines: Vorbildlich ist für ihn die Ganztagsschule am Heuchelhof. Was er da an Integrationsarbeit und Förderung von schwächeren und benachteiligten Schülern sieht, nennt er „fantastisch“. Er ärgere sich „maßlos“, sagt er, „dass man der CSU diese Dinge Stück für Stück rausziehen muss, damit sie die Zeichen der veränderten Gesellschaft erkennt“.
Sein zweites Thema: mehr Eigenständigkeit für die Kommunen. Er bekämpft das gegenwärtige staatliche Fördersystem, weil „jede Förderung in sich die Gefahr der Fehlentwicklung“ berge. Als Beispiel – „Ich könnte Dutzende aufzählen!“ – nennt er den Radweg im Steinbachtal, der viel aufwändiger gebaut worden sei als notwendig, nur um an Fördermittel heranzukommen. Weber klagt, die Kommunen würden „in allen Dingen rechtsaufsichtlich beobachtet“ und meint, in München herrsche eine Vorstellung vom Obrigkeitsstaat. Er moniert die Eingriffe von außen bis hin zu europäischen Vergaberecht; Planungszeiträume würden dadurch so weit gestreckt, „dass uns die Realität schon überholt hat, bis etwas fertig ist“. Weber fordert ein neues Verhältnis zwischen Staat und Kommune: Die „Verantwortungsfähigkeit“ der Städte und Gemeinden müsse gestärkt werden.
Weber sagt, er habe eine Chance auf das Landtagsmandat. Vor fünf Jahren kamen seine Freien Wähler auf 10,2 Prozent der Stimmen. 21 Abgeordnete schickten sie in den Landtag, zwei von ihnen aus Unterfranken. Weber kandidiert auf dem Listenplatz 7.
Kandidaten-Check
Die drei wichtigsten Themen der Region in der nächsten Legislaturperiode?
Aufwertung und Besserstellung sozialer Berufe, flächendeckende Betreuung unserer Kinder aller Altersstufen auch während der Ferien, um Beruf und Familie vereinbaren zu können, Stärkung von Bildungschancen
Ein Politiker, den Sie bewundern?
Nelson Mandela
Wie weckt man bei jungen Menschen Interesse an Politik?
Indem man frühzeitig mit ihnen die Verantwortung und Freude im Ehrenamt teilt, im Einsatz für unsere Gesellschaft.
Wie überzeugen Sie einen Nichtwähler?
Die Ausübung des Wahlrechtes ist wesentlicher Bestandteil von konstruktiver Kritik an der Politik.
Woher kommt Politikverdrossenheit?
Notwendige Veränderungen kommen durch selbstsüchtige Politiker nicht zustande.
Ein politischer Gegner, den Sie besonders schätzen?
Hans-Jochen Vogel
Sie machen Politik, weil . . .
. . . ich bereits in jungen Jahren im Ehrenamt Verantwortung übernommen habe und damit die Leidenschaft geweckt wurde, mich auch in der Politik für die Mitmenschen einzusetzen und mich um deren Sorgen zu kümmern.
Heimat ist für Sie . . .
. . . dort, wo ich mit meiner Familie und meinen Freunden lebe und in der Gemeinschaft verwurzelt bin.
Drei Dinge, die Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?
Meine gesamte Familie, ein Bild meiner Eltern, ein Säckchen Heimaterde.
Ihr schönster Moment bislang in diesem Jahr?
Als ich innerhalb kurzer Zeit erfuhr, dass ich in diesem Jahr noch dreimal Großvater werde.
Was können Sie richtig gut?
Mich an Begegnungen erinnern.
Was sollten Sie besser lassen?
Auf Kommando zu lächeln
Wo findet man Sie im Urlaub?
Gelegentlich bei meiner Tochter in der Steiermark
Biografisches
Alter: 67 Jahre
Beruf: Oberbürgermeister a.D., Rechtsanwalt
Ausbildung: Sieboldrealgymnasium, Jurastudium
Familienstand: 45 Jahre verheiratet
Geburtsort: Würzburg
Wohnort: Würzburg
In der Partei seit: 1989
Politische Ämter: 1972 CSU-Stadtrat, 1976 CSU-Fraktionsvorsitzender, 1978 2. Bürgermeister, 1990 OB, 2002 WL-FW–Fraktionschef, Vorsitzender Würzburger Liste–Freien Wähler und der Freien Wähler Kreisgruppe
Lieblingsessen: Kaiserschmarrn
Lieblingsmusik: Volksmusik aus aller Welt
Lieblingsbuch: Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupery
Lieblingsfilm: Doktor Schiwago
Lieblingsplatz in der Region: Maindreieck, Vogelsburg
Lieblingssport: Basketball
Lebensmotto: „Dem Vergangenem Dank, dem Kommenden ein Ja“ (Dag Hammarskjöld)
Wenn Sie die Wahl hätten…
Weißwurst oder Blaue Zipfel: Blaue Zipfel
Münchner Bier oder Frankenwein: Frankenwein
FC Bayern oder „Der Glubb“: FC Bayern
Karl Valentin oder Erwin Pelzig: Erwin Pelzig
Neuschwanstein oder Residenz: Würzburger Residenz, Hofgarten