Vielleicht waren es die Flucht aus dem kriegszerstörten Frankfurt bis nach Wenkheim im Taubertal und der Blick auf das von den alliierten Bombern am 16. März 1945 heimgesuchte, rotglühende Würzburg, die das Denken des Philosophen Hermann Schweppenhäuser prägten.
Vielleicht waren es auch die Landser, die bewusst gegen ihre Befehle verstießen und die kurz zuvor einberufenen 17-Jährigen einfach nach Hause zu schickten, statt an der Flak den aussichtslosen Kampf für Hitler fortzuführen. „Mein Vater hat das Kriegsende als Befreiung erlebt“, erläutert sein Sohn Gerhard, der an der Fakultät für Gestaltung an der Fachhochschule lehrt. Sein Vater feierte dieser Tage im Altenheim St. Hedwig in Veitshöchheim 85. Geburtstag.
Sicher sind es jedoch diese tiefen Erlebnisse, die der Schüler Adornos und Horkheimers mit vielen der „Flakhelfergeneration“ teilt, die es ihm leicht machen, in seiner neuen Heimat Anschluss zu finden, hat Gerhard Schweppenhäuser beobachtet. Dies ist nicht selbstverständlich. Hat doch noch 1998 Hans Filbinger die Begründer der „Frankfurter Schule“ und der mit ihr verbundenen „Kritischen Theorie“ als geistige Wegbereiter für den Terror der RAF und als Anstoßgeber einer „Lawine von Pornographie und Perversion“ beschimpft.
Erst seit Januar lebt Hermann Schweppenhäuser, den die beiden intellektuellen Gründer eines demokratischen Deutschland etwas neckisch als „Schwepp“ oder gar als „Schweppi“ anredeten, in dem katholischen Altenheim. Nach einer Reihe schwerer Krankheiten ist er auf Betreuung angewiesen. „Es war meinem Vater wichtig, dass er in der Nähe seiner Familie ist“, sagt sein Sohn.
Wiederentdeckt
Für ihn etwas überraschend besucht der frühere Religionskritiker, der seine beiden Kinder ungetauft aufwachsen ließ, regelmäßig die Gottesdienste: „Für meinen Vater schließt sich damit ein Kreis. Er hat den Katholizismus seiner Kindheit wiederentdeckt“, erzählt er. Allerdings hat die kritische Erziehung schon die Tochter nicht daran gehindert, Dompfarrerin in Dänemark zu werden.
Mit Adorno und Horkheimer, die durch die Nationalsozialisten ins Exil gezwungen wurden, teilt Hermann Schweppenhäuser die Erfahrung der Entwurzelung. Neben seinen geistigen Quellen Goethe, Beethoven und Nietzsche, den anarchistischen Denkeinflüssen eines Onkels und Buchhändlers aus Ludwigshafen werden ihm die beiden Zeitkritiker zu „Vaterfiguren“, die die Familie, die wenig Verständnis für seine literarischen Neigung hat, ersetzen.
Als Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung erforscht der Wissenschaftler das Fortleben nationalsozialistischer Denkweisen und gesellschaftliche Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen. Seine Doktorarbeit schreibt er 1958 über Martin Heidegger, dessen verschwurbelte Sprache er erstmals einer Kritik unterzieht.
Seit den 1960er Jahren baut Schweppenhäuser als Lehrstuhlinhaber an der Pädagogischen Hochschule in Lüneburg eine Filiale des kritischen Denkens in der niedersächsischen Provinz auf. Viel beachtet ist die von ihm mit herausgegebene Werkausgabe Walter Benjamins. Das Bändchen „Haschisch in Marseille“, in dem Benjamin seine Drogenexperimente protokolliert hat, erreichte eine Großauflage. Doch was war Benjamin nun eigentlich: revolutionärer Marxist oder ein weitgehend unpolitischer Philosoph?
Nicht nur in dieser Frage stellte sich der linksextreme Flügel der Studentenbewegung von 1967/68 gegen ihre Lehrer. Mit Hans Magnus Enzensberger plant Schweppenhäuser zwar eine „linke Bildzeitung“ und er lobte die Auflehnung der Studenten als „selbstbestimmten Lernprozess“, der militante Aktionismus einiger erschreckte ihn jedoch.
An seine „Apo zu Hause“, seinen Sohn und Tochter, jedenfalls hat er das kritische Denken weitergegeben: bei unzähligen Diskussionen über Fernsehsendungen und Berichten. Mit Sohn Gerhard, Herausgeber der „Zeitschrift für kritische Theorie“, und dem eng mit Würzburg verbundenen, in Mannheim lehrenden Professor Thomas Friedrich, hat die „kritische Theorie“ einen festen Platz in Würzburg gefunden.