Es ist ein zerkratzter Behälter aus Aluminium. Zwanzig Zentimeter hoch vielleicht, geschwungene Form. Ein glanzloser, alter braungrauer Henkelmann mit Dellen. Jemand hat zwei „M“s ins überzogene Metall geritzt, irgendwann.
Der Würzburger Soldat Franz Schmitz hat in den zwei Weltkriegen aus dem alten Stück seinen Eintopf gegessen. Zuletzt war er in Polen gewesen. Im März 1945 zerbombte die Royal Air Force das Haus im Frauenland, in dem er mit seiner Familie wohnte. Die Wegners hatten Glück im Unglück. Zwei Jahre nach Kriegsende bezogen sie – der Vater war Hofgartengärtner – eine Dienstwohnung in prominentester Lage: in der Festung Marienberg. Dort blieben sie zwölf Jahre.
Der Henkelmann aus Armeezeiten war mit auf die Festung gezogen. Nun gehörte er Rosemarie, Franz Schmitz kleiner Tochter.
Heute ist sie 77 Jahre alt. Und sie erinnert sich gut, wie sie auf dem langen, langweiligen Heimweg von der Mozartschule die Tellsteige hinauf zur Festung den Henkelmann im Laufrhythmus immer wieder gegen die Steinmauern dotzte – „weil es so gut klang“.
Daher die vielen Dellen. Wer die „M“s ins Aluminium ritzte? Rosemarie Wegner weiß es nicht mehr. Aber sie weiß noch gut, wie der Griesbrei schmeckte, den es in der Schule so oft gab und den sie dann aus dem Behälter löffelte. Unglaublich viele süße Rosinen hatte der. Das kleine Mädchen zählte sie im Mund mit der Zunge und kam meist auf über 30.
In all den Jahren und Jahrzehnten nach der Schulzeit bewahrte die Würzburgerin – inzwischen Kindergärtnerin geworden, verheiratet und Mutter – in dem alten metallenem Ding aufgewickelte Schnurreste auf. Im Keller war der Henkelmann gelandet, kaum beachtet, doch irgendwie noch genutzt.
„Zum Wegwerfen war er zu schade“, sagt Rosemarie Wegner. Das findet die Museumspädagogin Claudia Jüngling auch.
Vor zwei Jahren berichtete die Main-Post über Jünglings „Museum im Auto“, kurz „MiAu“. Im Juni 2012 hatte die Kulturgeschichtlerin, die mit ihrer Familie in der Festung Marienberg wohnt, ihr kleines mobiles Museum gestartet. Eine rollende Sammlung von vielen alten Gegenständen, vom Nachttopf bis zum Teppichklopfer, mit denen Jüngling zu Schulen, Kindergärten oder Altenheimen fährt und Geschichten erzählt.
Rosemarie Wegner las die Geschichte. Und rief an. Sie wollte dem Museum auf vier Rädern einen alten Fleischwolf überlassen. Claudia Jüngling war beglückt. Nicht nur wegen der alten Küchenmaschine. Jüngling ist auf der Festung zuhause, direkt neben den Räumen, in der die kleine Rosemarie aufwuchs. „Das allein“, sagt sie, „fand ich schon einen tollen Zufall!“
Die beiden Frauen, die Festungsbewohnerinnen, blieben in gutem Kontakt. Nach dem Fleischwolf gab Wegner – „Ich kann nichts wegwerfen“ – noch das ein oder andere Stück an Jünglings „Museum im Auto.“ Gamaschen vom Vater, einen Läusekamm, alte stoffbezogene Koffer.
Als Wegner nun von Heidingsfeld in die Lindleinsmühle zog, machte sie der Bekannten von der Festung noch ein ganz besonderes Geschenk: den alten Henkelmann ihres Vaters.
Claudia Jüngling nahm das geschichtsträchtige Gefäß mit großer Freude an. „Dieser Behälter ist jetzt nach 70 Jahren auf die Burg zurückgekehrt.“ Und auch wenn er unspektakulär, unscheinbar und grau sein mag: „Für mich ist er der liebste Gegenstand in meinem Fundus“. Sie habe zwar wertvollere Stücke, „aber keines hat so viel persönlichen Bezug und erzählt eine so schöne Geschichte.“
Claudia Jüngling nuetzt den zerkratzten Henkelmann, wenn sie heute bei ihren Führungen und Museumsstunden über die Nachkriegszeit und die Schulspeisungen erzählt. Und manchmal kocht sie dafür sogar Griesbrei. Mit extra viel Rosinen.
ONLINE-TIPP
Infos über das kleine mobile Museum gibt's unter www.museum-im-auto.de