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WÜRZBURG
Ein halsstarriges, schlampiges Genie
Wolfgang Jung
Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:17 Uhr

22. November 1887 im Toilettenhäuschen in der Ottostraße: ein Schuss, ein Toter. Jens Person Lindahl, der Architekt des Ringparks, hat sich umgebracht, gescheitert an Würzburger Ignoranz und eigener Halsstarrigkeit, untergegangen in einem Geflecht aus politischen Intrigen und Eifersüchteleien. Das ist etwas über 130 Jahre her. An diesem Dienstag vor 175 Jahren wurde er in Christianstad in Schweden geboren.

Diese Geschichte nimmt einen langen Anlauf. Das alte Würzburg, eingesperrt in eine gewaltige Stadtmauer, ist schön, aber steingrau, staubig und stickig. Die Gärten, vor allem der prachtvolle Hofgarten, sind tabu fürs Volk.

Fürst Pückler ist enttäuscht vom Drumherum

Jenseits seines dicken Mauerrings macht Würzburg auch keinen Spaß. Der Dichter August von Platen, der zwischen April 1818 und September 1819 in der Domstraße 26 lebte, notiert, Gegend und Mainufer „gefielen mir durchaus nicht. Man sieht nichts als Weinberge; kein grüner Hügel, kein schattiger Baum, keine Aussicht aus dem engen, kahlen Thale. Der Main hat eine schmutzige Farbe“. 1834 besucht Fürst Hermann von Pückler, ein Schöpfer großartiger Parkanlagen, die Stadt, ist fasziniert vom Hofgarten und enttäuscht vom Drumherum. Den Seinen daheim meldet er: „Vorgestern kam ich in Würzburg an, dessen Umgegend mir ebenso kahl schien wie der Bergkessel schön, in dem die Stadt selbst liegt.“

Ohne Grün ist die Stadt nicht schön

Die Stadtmauer ist ein im Zickzack um die Altstadt herum gezogener gewaltiger Halb-Ring, bis zu sieben Meter hoch und 25 Meter dick. Auf einem Teil des Walls steht seit den 1780-er Jahren eine Allee von Maulbeerbäumen, immerhin. Davor liegt das Glacis: ein freies Schussfeld, eben, ohne Baum und Strauch, damit kein Angreifer sich verstecken könne.

Dass ihre Stadt schön ist, reicht den Würzburgern nicht. Licht und Luft und Grün wollen sie haben, für Augen, Lungen und Wohlsein. 1856 macht ihnen der bayerische König Maximilian II. Josef die Freude - er hebt die Festungseigenschaft des rechtsmainischen Stadtgebiets auf. Die Stadt kauft das Gelände, füllt das 27 Hektar große Glacis mit Bäumen auf und beginnt 1869 mit dem Abriss der Mauer. 120 Jahre hatte es gedauert, sie zu bauen, 80 Jahre lang stand sie, elf Jahre brauchten die Würzburger für den Abriss. 1880 ist das Trumm weg, bis auf wenige Reste am Hofgarten.

Bürgermeister Zürn will was fürs Auge haben

Wo der Wall stand, will Würzburgs Erster Bürgermeister Georg Zürn einen „ästhetisch richtig angelegten öffentlichen Stadtpark“ haben, der „das für Naturschönheiten empfängliche und nach solchen sich sehnende Auge möglichst befriedigen und erfreuen soll, was nur dann der Fall sein wird, wenn sich dem Auge eine reiche Anzahl abwechselnder schöner Bilder darbietet“. Die höchsten städtischen Gremien, das Gemeindekolleg und der Magistrat, haben andere Pläne. Was immer da passiert im neuen Wäldchen: weder Stil noch Charakter sollen verändert werden.

Der gute Ruf des neuen Stadtgärtners hilft ihm nicht

Der Bürgermeister ist ein Visionär, hat einen Dickschädel und macht, was er will. Aus 32 Bewerbern wählt er Jens Person Lindahl als neuen Stadtgärtner aus. Der Schwede, geboren 1843, aufgewachsen als Sohn eines Tagelöhners in Wä, hatte sich als Architekt des Landschaftsparks von Schloss Phillipsruhe bei Hanau einen Namen gemacht hat. Aber in Würzburg hilft ihm sein guter Ruf nicht. Noch bevor er im August 1880 sein Amt antritt, sitzt er in den Nesseln. Die vielfältige Opposition weiß, dass sie den Schweden schlagen muss, wenn sie den Bürgermeister treffen will. Und die einheimische Gärtnerschaft ist übellaunig, weil Lindahl den Auftrag hat, den sie gerne bekommen hätte.

Sprachrohr der Grantigen ist das „Würzburger Glöckli“, ein für seine Giftigkeit geliebtes und verabscheutes Revolverblatt. „Ob es denn wirklich unmöglich war“, fragt es, „einen Würzburger zu finden, der das Amt eines Stadtgärtners mit Geschick und Umsicht gewartet hätte“. Und es wünscht, was viele wünschen, nämlich „der neue Glacisinspektor möge (…) den Schwerpunkt seiner Thätigkeit nicht im Lichten der Anlagen finden“. Aber genau das hat Lindahl vor.

Ein frei stehender Baum als Sinnbild für den freien Bürger

Er ist ein Genie, ein Starrkopf, ein Ignorant und eine empfindsame Seele. Einer von den ganz Schwierigen. Einer von denen, die mit dem Hintern einreißen, was sie mit den Händen aufbauen.

Er bringt die Idee vom englischen Landschaftsgarten mit, einem Gegenentwurf zum Rokoko des Hofgartens. Anmutige Landschaftsbilder hat er im Sinn, mit dem frei stehenden Baum als Sinnbild für den freien Bürger.

Die Bürger goutieren das nicht. Das „Fränkische Volksblatt“, das Hausblatt der Katholiken, schimpft, es sei wieder ein Schwede in Würzburg, der verwüste die Stadt noch schlimmer als seine Landsleute im 30-jährigen Krieg. „Devasthierungswut“ - „Verwüstungswut“ - wirft es ihm vor.

Ende Juni 1882 monieren Mitglieder des Gemeindekollegs, Lindahl tue, was sie ausdrücklich nicht wollen. Er schlage zu viele Bäume aus den Anlagen, beseitige das Buschwerk und verändere den Charakter des Glacis. Ein dreiviertel Jahr lang lässt Lindahl die vergrätzten Kommunalpolitiker schmoren in ihrem Ärger, dann legt er Feuer nach. Die Landschaftsgärtnerei, bescheidet er ihnen, sei „ein eigenes Fach, welches gelernt und geübt sein will, wie andere Zweige menschlicher Tätigkeit“. Ein „Mangel an Fachbildung und Fachkenntnis“ sei „durch guten Willen allein nicht zu ersetzen“.

Lindahl agiert wie ein rücksichtsloser Feldherr

Die Herren sind beleidigt, fordern seine Entlassung, kommen aber gegen Zürn nicht an. Ein Artikel im „Volksblatt“ vom 7. April 1883 zeigt, wie sehr Lindahl Spielball im politischen Streit ist. Das Blatt schreibt, die Opposition trete zurecht gegen den autokratischen Bürgermeister an, mahnt aber, sie „möge aber auch nicht bloß für gewisse Dinge einen Sündenbock in der Person des Stadtgärtners suchen, sondern seine Vorwürfe gleich an die richtige Adresse richten“.

Der öffentliche und politische Druck ist groß, die gärtnerischen Probleme auch. Bei der Umgestaltung des Glacis vor dem Bahnhof kommt unter dünnem Erdreich massiver Fels zum Vorschein – keine Chance für Bäume zu wurzeln. Lindahl geht mit der Rücksichtslosigkeit eines Feldherrn vor, lässt die Flöze heraus brechen und die Lücken mit Grombühler Mutterboden füllen.

Hügel und Täler lässt er anlegen, die Wege legt er in Senken, damit der Flaneur sie nicht sehe und der Park größer und weiter wirke, als er tatsächlich ist. (Anmerk. d. Red: Heute ist zwischen Main und Berliner Ring nichts mehr übrig davon.)

Wieder erregen sich die Kritiker. Ihr Dämpfer kommt diesmal aus St. Petersburg, wo Lindahl auf der Internationalen Gartenbau-Ausstellung 1884 die Silbermedaille für sein Würzburger Projekt gewinnt.

Der Stadtgärtner ist ein Schlamper

Im Mai 1884 stirbt Zürn, Johann Georg Steidle wird Erster Bürgermeister. Die Anfeindungen gegen Lindahl gehen weiter. Weil er in Berlin junge Bäume für den Ringpark erwirbt, greift das „Volksblatt“ am 9. April 1885 wieder an, weil „der Herr Stadtgärtner seine neuen Bäumchen (…) von Berlin herbezieht und somit unser Würzburger Geld nach dem Norden fließt“. Heute stehen übrigens rund 220 verschiedene Baumarten im Ringpark.

Am 21. Juli 1886 läutet die „Würzburger Presse“ mit harscher Kritik Lindahls Ende ein. Die teuren Anlagen würden im Unkraut ersticken. „Das Herz im Leibe muss jedem wehe tun, der diesen gräulichen Zustand sieht.“ Die Bevölkerung verlange mit Recht „die Beseitigung der (…) Missstände, die, wie wir uns selbst überzeugten, jedem Fremden, der sich Würzburg besieht, zum Gespötte dienen.“ Der geniale Gartenkünstler ist als Schlamper entlarvt: Ihn interessiert nur, was vor ihm liegt. Das Fertige ist ihm egal.

Jetzt machen die Würzburger ihn fertig

Den letzten Schlag erhält er wegen eines kleinen Sees, den er im Sanderglacis in der Nähe des Mains anlegte, gegen den Fluss abgegrenzt mit kleinen Hügeln. Wieder gibt es Ärger im Gemeindekolleg: Lindahl habe ohne Auftrag gehandelt, der See koste weitere 23 000 Mark, der Plan sei ein teures Unding. Bürgermeister Steidle lässt die Arbeiten einstellen.

Lindahl hat die Würzburger genervt, jetzt machen sie ihn fertig. Er flüchtet nach Norderney, um zu Kräften zu kommen. Derweil lässt Steidle den See zuschütten und die Hügel abtragen. Nach Würzburg zurückgekehrt, sieht Lindahl, was die Stadt aus seinem See gemacht hat: eine Rasenfläche mit Kinderspielplatz. Ausgezehrt von einem sieben Jahre langen Kampf nimmt er sich am 22. November 1887 das Leben.

Das „Volksblatt“ knurrt ihm ins Grab hinterher: „Die Schöpfungen Lindahls werden eine sehr kostspielige Erinnerung für die Stadt bleiben.“ Die „Würzburger Neue Zeitung“ allerdings erkennt den Verlust, den Würzburg erlitten hat. Und bedauert: „Leider war ihm nicht vergönnt, seinen Genius frei walten lassen zu dürfen.“

Früher Entwurf Lindahls von 1885 für den Sander-Ringpark mit einem umstrittenen See zwischen Sanderstraße und Main.
Foto: StadtAW, Karten- und Plansammlung | Früher Entwurf Lindahls von 1885 für den Sander-Ringpark mit einem umstrittenen See zwischen Sanderstraße und Main.
Lindahl       -  Der Lindahl-Brunnen im Ringpark, enthüllt 1901.
Foto: Nils Graefe | Der Lindahl-Brunnen im Ringpark, enthüllt 1901.
Lindahl       -  „Gewidmet von seinen Freunden“: Lindahl-Denkmal in Würzburg.
Foto: Nils Graefe | „Gewidmet von seinen Freunden“: Lindahl-Denkmal in Würzburg.
 
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