Seit Monaten schon staubt die sandige Erde, der trockenste Sommer seit Jahrzehnten hat die Landschaft ausgedörrt. Wer vom Maintal bei Sommerhausen durch die Weinberge hinauf aufs Hochplateau im Süden des Maindreiecks vorstößt, erblickt steppenartig gebräunte Wiesen, Weizenfelder und Kiefernwälder. Doch kaum zwei Kilometer hinter dem Talrücken, mittig zwischen den Gemeinden Erlach, Kleinochsenfurt und Sommerhausen auf der „Gäuplatte“ gelegen, ändern sich die Farben unvermittelt.
Nicht nur der Rand der Schilder mit der Aufschrift „Naturschutzgebiet“ ist grün, auch der Waldboden weist urplötzlich satten Bewuchs auf. Es schimmert feucht, Schilf wächst erst spärlich, dann dichter, schließlich erblickt das Auge eine mit Wasser gefüllte Mulde. Ab hier mäandern kleine Bäche durch ein weit und breit einzigartige Zipfelchen Natur: das Zeubelrieder Moor.
Na ja, gemessen an der Ausdehnung ist das „Moor“ in 230 Meter Höhe recht unbedeutend. Hier braucht man keinen Knüppeldamm, um voranzukommen, eher schon brennnesselresistente Kleidung. Hier wird kein Torf abgebaut, allenfalls der Stress des Alltags. Eine Insel durchnässter Böden in einem Meer von Flugsandschichten.
„Ein Muckenschiss in der Landschaft“, hat Alfred Schäflein das Moor einmal genannt. Der heute 71-Jährige ist seit 1978 Beauftragter der Kreisgruppe vom Bund Naturschutz (BN) für das Gebiet. Unter Schutz steht das Feuchtgebiet schon seit 1952. Der BN begann 1964 es Stück für Stück aufzukaufen. 1991 legte man eine Art Schilfklärbecken an, um den Nährstoffeintrag aus der Landwirtschaft herauszufiltern, der über Drainagegräben ins Naturschutzgebiet drückt. Wer sich in der Botanik auskennt, der weiß, dass Nährstoffe Gift sind für den Artenreichtum.
Ganz verhindern ließ sich der Nährstoffeintrag nicht. Das hatte Folgen für die Streuwiesen, die 20 Prozent der geschützten Fläche ausmachen und floristisch das Wertvollste sind. Das Schilf wächst heute höher denn je, die äußerst seltene Sumpfgladiole kam dagegen nicht mehr an. Noch Anfang des neuen Jahrtausends lockte sie während der Blütezeit im Juli und August Liebhaber aus ganz Deutschland an, dann verschwand sie klaglos leise. Drainagerohre hätten den Wasserhaushalt des Bodens durcheinandergebracht, sagt Schäflein, die Wechselfeuchte, die die Gladiole braucht, trete nicht mehr auf. Auch das Pfeifengras wächst nicht mehr wie früher, sagt der Naturexperte und schwärmt vom wunderbar goldgelben Glanz der Halme im Sonnenlicht.
Die Prachtnelke gibt es noch. Fedrig und zartlila sind die filigranen, duftenden Blüten. Der Nektar ist so tief im Kelch verborgen, dass nur der Rüssel bestimmter Schmetterlinge hinabreicht. Mehr als 250 Pflanzenarten haben die Experten im Zeubelrieder Moor gezählt. Die Sumpfiris ist dabei, ein wenig außerhalb, auf steinigen Magerrasen Richtung Tierpark Sommerhausen, wächst das ebenfalls seltene Berg-Steinkraut.
Während die Pflanzenwelt hie und da schwächelt, ist die Vogelwelt noch in Ordnung. Etwa 30 Arten sind im Grenzbereich zwischen Erlenbruch- und Kiefernwald schon gesichtet worden, darunter Teichrohrsänger, Pirole und Nachtigallen. Auch viele Insektenarten, Erdkröten und Frösche fühlen sich hier wohl.
Ein schattiger Wohlfühlort auch für den Wanderer, der das Feuchtgebiet weder links noch rechts liegenlassen sollte, wenn er auf den fußfreundlich weichen Sandwegen zwischen Sommerhausen, Erlach und Kleinochsenfurt unterwegs ist. Sommerhausen gehört bekanntlich zu den gastlichsten Weinorten am Main, auch der Wildpark auf der Höhe darf bundesweit als musterhaftes Beispiel dafür gelten, dass es bei sinnvoller Förderung und Anleitung möglich ist, auch eine solche Einrichtung mit all ihren Tieren durch Menschen mit Handicap zu betreiben.
Wer den kleinen Ort Erlach ansteuert, sollte an der Simultankirche St. Johannis Halt machen. Sie ist neugotisch ausgestattet und seit Jahrhunderten wird dort Ökumene praktiziert. Das ehemalige Wasserschloss gehörte vom 15. bis ins 19. Jahrhundert nacheinander denen von Seinsheim und Schwarzenberg. Einst war der Burggraben mit Wasser gefüllt, denn der achteckige Bau lag am Rande eines großen Feuchtgebietes, von dem nur das Zeubelrieder Moor geblieben ist.
Wer gut zu Fuß ist, kann von der „Gäuplatte“ bergab bis zum Ausgang des Ochsentales wandern und einen Abstecher nach Kleinochsenfurt machen, um im Triasmuseum mit seinen fossilen Funden aus Franken weiter durch die Vergangenheit zu streifen. Der Rückweg führt dann über den gut beschilderten Panoramaweg entlang der Steinbrüche nach Sommerhausen.
Zeubelrieder Moor
Schloss Erlach lag einst am Rande eines großen Feuchtgebietes, dessen Reste heute das Zeubelrieder Moor sind. Aus den höher gelegenen Seen, in denen die Erlacher Gutsherren schon im Mittelalter Fischzucht betrieben, floss das Wasser in den Burggraben. Der größte von ihnen war der Bärensee. Bis ins 19. Jahrhundert hinein bedeckte er eine Fläche von rund 78 000 Quadratmetern.
In dieser wasserreichen Zeit entstand auch der Name des Ortes: Erlen am Aha, eine althochdeutsche Bezeichnung für „Erlen am Wasser“. Später hieß der Ort „Erlach an den sieben Seen“. Das Feuchtgebiet wurde im 19. Jahrhundert zugeschüttet, wohl um es landwirtschaftlich nutzbar zu machen.