Einen Traum? Steffen K. schmunzelt: „Mein Traum ist, dass der HSV Deutscher Meister wird.“ Für sich persönlich hat der Fußballfan kaum noch Träume. Oder anders ausgedrückt: Die wichtigsten Wünsche gingen in den vergangenen Jahren in Erfüllung. Steffen K. ist wieder in Freiheit. Er hat eine Wohnung. Und Arbeit. „Das alles hab ich dem Johann-Weber-Haus zu verdanken“, sagt der 54-Jährige, der mehrere Jahre lang als Wohnungsloser durch Deutschland tingelte, wie es in einem Presseschreiben heißt.
Eine harte Zeit lag hinter Steffen K., als er im Sommer 2015 in die sozialtherapeutische Einrichtung der Christophorus-Gesellschaft für Wohnungslose und Strafentlassene kam. Diebstähle, Schwarzfahrten und andere Bagatelldelikte hatten sich so geläppert, dass er ins Gefängnis musste. „Weil das Johann-Weber-Haus bereit war, mich aufzunehmen, wurde ich früher entlassen“, sagt der gebürtige Thüringer, der zwei Jahre hinter Gittern saß.
Beziehungen gingen in die Brüche
Dreieinhalb Jahre hatte das Strafmaß ursprünglich gelautet. Sicher hätte Steffen K. auch das überstanden. Aber dann? „Wahrscheinlich wäre ich wieder auf der Straße gelandet“, mutmaßt der ehemalige DDR-Bürger. Was er sicher nicht mehr ausgehalten hätte. Steffen K. hat zwei Herzinfarkte hinter sich. Weitere Jahre auf der Straße wären vermutlich über seine Kräfte gegangen: „Ich bin überzeugt, ohne das Johann-Weber-Haus wäre ich tot.“
Steffen K. landete früher immer dann auf der Straße, wenn eine Beziehung in die Brüche ging: „Dann habe ich alles stehen und liegen gelassen und bin einfach losgezogen.“ Mit Rucksack, Schlafsack, Isomatte. Sommers wie winters war er unterwegs. Oft schlief er draußen. War es sehr kalt, übernachtete er in Notschlafstätten. Auch die Würzburger Kurzzeitübernachtung suchte er oft auf. Hier schlief er manchmal eine ganze Woche lang: „Deshalb kannte ich die Christophorus-Gesellschaft.“
Einer, der an der Straße saß und bettelte
Wer Steffen K. sieht, käme nicht auf die Idee, dass er einst ein „Penner“ war. Einer, der an der Straße saß und bettelte. Der sich anhören musste: „Geh arbeiten!“ Dass er tief unten war, daraus macht er heute keinen Hehl. Selbst seinen Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt verschweigt er nicht. „Mein Chef weiß alles“, sagt der gelernte Dreher, der derzeit einen 1,50 Euro-Job in einem Würzburger Sportverein macht. Hier ist er dafür zuständig, dass alle weißen Linien auf dem Fußballfeld korrekt aufgezeichnet sind. Steffen K. hält die Kabinen in Ordnung. Und ist überhaupt immer da, wenn etwas rund um die Anlagen zu tun ist.
Für Steffen K. ist es wichtig, wieder etwas zu tun zu haben. Und zwar etwas, das Sinn macht. Wo er wirklich benötigt wird. Der Würzburger zückt sein Handy und zeigt den jüngsten Kommunikationsverlauf mit seinem Chef: „Wir sind inzwischen per Du.“ Obwohl sein Boss ein Akademiker ist, der womöglich noch nie Berührung hatte mit Wohnungslosen oder Strafentlassenen, ist das Verhältnis offen, herzlich und absolut auf Augenhöhe.
Aber das liegt nicht ausschließlich am Chef. Sondern auch an Steffen K. „Ich hab durch den Aufenthalt im Johann-Weber-Haus mein Selbstvertrauen wiedergewonnen“, sagt der ehemals Obdachlose. Oft sprach er mit Einrichtungsleiterin Brigitte Abt darüber, wie es dazu kam, dass er so tief abgestürzt war. In den Gesprächen verteidigte er sich nicht. Machte er nicht die „Umstände“ für die Misere seines Lebens verantwortlich. „Ich weiß, ich hab viel falsch gemacht“, räumt Steffen K. ein. Doch er war bereit, zu lernen. Sein Leben umzukrempeln. Das war nicht leicht: „Man muss sich auch mal was sagen lassen.“ Steffen K. ließ sich Dinge sagen. Und fing sich dadurch wieder auf.
Zurück in eigenen Wänden
Dass er endlich eigene vier Wände hat, ist für ihn ein unschätzbares Glück. In seiner Wohnung kann er auftanken. Nie wieder, ist sich Steffen K. sicher, wird er, nur, weil eine Beziehung in die Brüche geht, abermals alles stehen und liegen lassen und türmen. Nie wieder will er auf der Straße landen: „Das Gefühl der Heimatlosigkeit kann schrecklich sein.“
Das einzige, was er sich wünschen würde, wäre ein Job, mit dem er so viel verdient, dass er nicht mehr auf das Jobcenter angewiesen ist. Ein bisschen bitter findet es der Handwerker außerdem, dass er eine komplette Woche in jedem Monat quasi umsonst arbeitet: „In dieser Woche verdiene ich das, was mich das Straßenbahnticket kostet, das ich brauche, um zum Job zu kommen.“ Steffen K. hat sich vorgenommen, darüber mit dem Vereinsvorstand zu sprechen. Denn das hat er gelernt: Nicht mehr alles hinzunehmen. Oder einfach zu gehen. Sondern zu sagen, was er denkt. Und will.