Es wirkt wie ein normales Wohnhaus. Doch hinter der Fassade des Gebäudes in der Estenfelder St. Mauritius-Straße 30 vollziehen sich spannende Dinge. Über zwei Stockwerke verteilt beschäftigen sich überwiegend junge Geografen mit historischen Luftbildern. Fanden auf einem bestimmten Areal im Zweiten Weltkrieg Kampfhandlungen statt? Könnte es sein, dass da noch eine Bombe im Boden steckt? An diesen Fragen wird hier Tag für Tag getüftelt.
Hans-Georg Carls legte im Jahr 1987 den Grundstock zu dem heute weltweit einzigartigen Dienstleistungsunternehmen. Das Ganze begann durch einen Zufall, erzählt der promovierte Geograf. Mitte der 1980er Jahre war Carls im Würzburger Stadtplanungsamt beschäftigt: „Dort bot man uns eines Tages militärische Aufklärungsaufnahmen vom Zweiten Weltkrieg an.“ Das weckte das Interesse des heute 68-Jährigen: „Ich wollte dieser Spur nachgehen.“
Carls flog ins Nationalarchiv nach Washington, woher die Bilder stammten. Was er dort zu sehen bekam fand er faszinierend. Fortan war er jedes Jahr zweimal vor Ort. Er kaufte die ersten Kopien von Flugplänen, damals noch in Papierform, und begann, sich mit der Auswertung von historischen Luftbildern zu beschäftigen.
Die Luftbilder waren von Aufklärungsflugzeugen aufgenommen worden. Viele Tausend Flüge zu potenziellen Angriffszielen wurden während des Zweiten Weltkriegs gemacht. Sowohl vor einer Bombardierung als auch danach fotografierte man alles akribisch. Im Vorfeld wollte man so erfahren, ob es sich lohnen würde, ein Gebiet zu bombardieren. Hinterher wurde beflogen, um den „Erfolg“ zu kontrollieren. Etwa zehn Millionen historische Luftbilder existieren heute. Von Estenfeld aus hat das Team der Firma Carls Zugriff auf sämtliche Fotos in internationalen Archiven.
Das Herzstück des Unternehmens besteht allerdings keineswegs aus den Luftbildern. Es gibt zwar eine eigene Bilddatenbank. „Unser Kapital sind allerdings die Findhilfen“, erläutert Geograf Marco Eckstein. Diese Findhilfen sind für eine rasche Luftbild-Recherche unabdingbar. Man kann sie sich als eine Art Steckbrief vorstellen. Aus diesen Steckbriefen geht hervor, wann ein Flug wo genau stattgefunden hat und mit welcher Nummer er versehen wurde. Oft finden sich auch weitere Bemerkungen, etwa zum Maßstab. Oder darüber, wie das Wetter zum Zeitpunkt des Fluges war. Letzteres ist entscheidend für die Qualität der Aufnahme.
Nur mit Hilfe der Steckbriefe ist via Internet eine sinnvolle Kooperation mit den Archiven in England, Italien, Kanada, den USA und den Niederlanden möglich, erläutert Geschäftsführer Wolfgang Müller. Er demonstriert dies am Beispiel der Stadt Würzburg. Ruft er die Karte zu Würzburg auf und fragt über den Rechner nach, welche Luftbildaufnahmen es hierzu gibt, ploppen eine Unmenge gelber und roter Kreise auf, unter denen die Würzburg-Karte im Nu verschwindet. Diese Kreise zeigen: Es gibt unglaublich viele historische Aufnahmen der Stadt.
Man muss also sehr genau wissen, was man haben möchte, damit etwa das Archiv in Washington exakt die Aufnahmen heraussuchen kann, die notwendig sind, um die Frage nach möglichen Blindgängern auf einem bestimmten Areal zu beantworten. Die Archivare benötigen Angaben wie die Flugnummer und das Datum. Während der Aufbauzeit der Firma wurde diese Steckbriefe angefertigt und später auch digital erfasst, damit man heute auf Knopfdruck sagen kann, welche Aufnahmen wo existieren und wie sie geordert werden können.
In ländlichen Regionen schaut die Situation anders aus als in den Städten. Es gibt meist viel weniger Bilder. Müller hatte vor wenigen Wochen zum Beispiel die Anfrage eines Unternehmens bezüglich einer Gewerbefläche in Kürnach zu bearbeiten. Die Suchabfrage in der Steckbriefdatenbank ergab, dass hierzu nicht viel mehr als zwei Dutzend Aufnahmen existieren. Müller wählte zehn Bilder aus, die zwischen Ende Mai 1944 und September 1945 entstanden waren. Unter Angabe der Nummer forderte er sie an. Die Bildauswertung ergab, dass auf diesem Gebiet offensichtlich nie Bomben abgeworfen wurden.
„Doch diese Angabe alleine genügt uns nicht“, ergänzt Marco Eckstein. Um wirklich sicher zu sein, dass keine Altlasten versteckt sind, zieht das Team der Firma Carls weitere historische Quellen zu Rate: „Wir kontaktieren beispielsweise die jeweilige Gemeinde, fragen nach, ob im örtlichen Archiv Kriegsakten vorhanden sind, oder ob am Ort Heimatforscher oder vielleicht sogar noch Zeitzeugen leben, die Auskunft darüber geben können, was im Krieg auf diesem Gebiet passiert ist.“ Aus all diesen Puzzlestückchen setzt sich dann die Antwort an ein Unternehmen oder eine Kommune zusammen.
Wenn es sehr schnell gehen muss, wird ein Auftrag innerhalb von einer Woche erledigt. „Doch normalerweise dauert es drei bis vier Wochen“, so Müller. Das liegt in erster Linie an den Luftbildarchiven. Deren Mitarbeiter benötigen eine gewisse Zeit, um ein ganz bestimmtes Luftbild in den Beständen aufzustöbern, es einzuscannen und via Computer nach Estenfeld zu schicken.
Im besten Fall existieren Bilderpärchen. Die haben den Vorteil, dass man sie mit einer Spezialbrille dreidimensional betrachten und auswerten kann. So sind Bombentrichter noch besser zu erkennen.
Die Aufnahmen dann zu interpretieren, geht dann recht flott. Betrifft dies doch die Kernkompetenz der bei Carls tätigen Geografen.
Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH
Adresse: St. Mauritius Str. 30, 97230 Estenfeld
Gründungsjahr: 1987
Mitarbeiter: 15
Umsatz: keine Angaben
Niederlassungen: Deutschland, Österreich; Geschäftsführer: Dr. Hans-Georg Carls, Wolfgang Müller;
Dienstleistungen: Beschaffung, Archivierung und Auswertung historischer Luftbilder und Akten;
Homepage: www.luftbilddatenbank.de
Das Ingenieurbüro Dr. Carls (Luftbilddatenbank) wurde 1985 in Estenfeld bei Würzburg gegründet. Das Unternehmen verwaltet und recherchiert historische Luftbilder aus dem Zweiten Weltkrieg zu Zwecken der deutschlandweiten Kampfmittel- und Altlastenerkundung. Die Firma verwaltet zur Zeit 250.000 eigene Luftbilder von 1938 bis 1955 sowie die Zugriffe auf 4 Mio. weitere Bilder in amerikanischen und englischen Archiven.
Die Geschäftsfelder der Firma sind Erfassung von Kampfmittelbelastungen aus dem Zweiten Weltkrieg und Recherche historischer Luftbilder. Zur Unterstützung bei z.B. der Blindgängersuche werden Fachkartenwerke (Kampfmittelbelastungskarten) sowie Luftbildpläne erstellt. Der alte Zustand dieses Bereiches wird „historisch genetisch“ rekonstruiert. Ziel ist es, die Planungssicherheit des Auftraggebers sicherzustellen sowie Kosten für etwaige Bergungen zu minimieren.