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GIEBELSTADT
Eigentlich kurios: Bootsbau mitten auf dem Land
Bavaria Yachtbau: Deutschlands größte Werft für Segel- und Motorboote hat bewegte Zeiten hinter sich. Einen Imagewandel und einige Neuerungen später meldet sich das Unternehmen an der Weltspitze zurück.
In der 70 000 Quadratmeter großen Produktionshalle von Bavaria in Giebelstadt reihen sich gigantische „Kuchenformen“ für verschiedene Bootstypen aneinander.
Foto: Alle Th. Obermeier | In der 70 000 Quadratmeter großen Produktionshalle von Bavaria in Giebelstadt reihen sich gigantische „Kuchenformen“ für verschiedene Bootstypen aneinander.
Catharina Hettiger
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:37 Uhr

Mein Haus, mein Auto, mein Boot: Dass letzteres im Laufe des Lebens eines Bootseigentümers mehrfach wechseln kann, weiß Marcus Schlichting. Er ist Verantwortlicher für Marketing & PR bei Bavaria Yachtbau in Giebelstadt, der größten Sportboot-Werft für Segel- und Motorboote in Deutschland. Weltweit belegt das Unternehmen, das seit 2014 auch Katamarane anbietet, in der Branche Platz zwei – nach dem Marktführer, der französischen Bénéteau-Gruppe.

„Ein Boot fürs Leben? Das entspricht nicht unbedingt der Realität“, sagt Schlichting und lacht. „Der typische Bavaria-Kunde arbeitet sich von klein an hoch.“ Mit einem Zehn-Meter-Exemplar ginge es oft los; sobald sich wegen eines Kindes oder eines besseren Jobs die Lebenssituation wandelt, käme der Wunsch nach mehr Platz an Bord auf. „Es gibt Leute, die schon ihre vierte oder fünfte Bavaria kaufen“, so Schlichting. Auch im Charterbereich, wo Boote an Seglergruppen vermietet werden, sei ein Wechsel der Schiffe im Fünf-Jahres-Rhythmus üblich.

Ausgangspunkt für die Produktentwicklung bei Bavaria sind die Wünsche der Kunden: Soll mein Boot einen Weinkühler haben – oder doch lieber einen Geschirrspüler? „Wer heute ein Schiff kauft, möchte, dass es perfekt ist“, sagt Schlichting. Nasszelle und standardisierte Möbel adé – inzwischen gehören Warmwasser an Bord, Toilette und Dusche, Steckdosen in jeder Kabine, Kühl- und Gefrierschränke, Waschmaschine und Geschirrspüler fast zum Standard. Gab es früher zum Beispiel genau eine Tischgröße, die im Cockpit aller Bootstypen verbaut wurde, wäre das heute nicht mehr denkbar. „Für das eine Schiff war der Tisch zu groß, fürs andere zu klein, aber das wurde akzeptiert“, blickt Schlichting zurück.

„Money for value“, „viel Boot zu einem fairen Preis“, das war es, was man lange Zeit mit der Marke Bavaria verband. „Auf ein solches Image wird man leicht reduziert“, sagt Schlichting. Der aktuelle Slogan setzt einen anderen Schwerpunkt: „Engineered to enjoy“ – vor allem Spaß soll man heute mit einer Bavaria haben. Darüber hinaus spielt die hiesige Ingenieurskunst eine wichtige Rolle: „Deutsches Engineering gilt in der Welt als Markenzeichen“, so Schlichting.

Bis zu 450.000 Euro für eine Yacht
 

„Viele sind stolz, eine deutsche Yacht zu besitzen.“ Zwischen 80 000 Euro für ein einfacheres Motorboot bis zu 450 000 Euro für eine komfortable Segelyacht kostet eine Bavaria; für einen Katamaran sind zwischen 320 000 Euro und 1,5 Millionen Euro fällig.

24 verschiedene Bootsmodelle werden unter der Marke „Bavaria“ angeboten, 21 davon werden in der 70 000 Quadratmeter großen Halle in Giebelstadt produziert. Auf vier Produktionsstraßen – davon zwei für Segelboote, eine für Motorboote sowie eine Mischlinie – entstehen an Montagebändern die neun bis 17 Meter langen Boote. An jeder Station überwacht ein Spezialisten-Team den jeweiligen Arbeitsschritt; bis ein Schiff fertig ist, dauert es etwa drei Wochen bis drei Monate. Dann werden die fertigen Boote vor den Toren der Produktionshalle auf Lkw verladen und auf den Weg geschickt: entweder direkt zu einem der 100 Bavaria-Händler – 90 davon im Ausland – oder zu einem Hafen für den Weitertransport nach Übersee. „Giebelstadt hat einen klaren Standortvorteil“, sagt Schlichting. „Das Autobahnkreuz ist nicht weit; außerdem ist man an allen Meeren und Verschiffungshäfen gleich schnell."

In den Abendstunden rollen die Sondertransporte los, teils mit Polizeibegleitung. Um auch große Schiffe transportieren zu können, wird bei diesen nur die Hälfte des Kiels montiert. Katamarane wiederum wären mit ihrer Breite von sieben bis acht Metern zu sperrig und damit zu teuer für den Transport auf deutschen Straßen. Die Produktion dieser Boote hat man deshalb ins französische Rochefort verlegt.

Seit zwei Jahren gehen auch Boote in die USA und nach China

Der Kernmarkt für Bavaria liegt in Europa. Etwa 80 Prozent seiner Produkte liefert das Unternehmen an Händler in Deutschland, Frankreich, Italien, Griechenland, Skandinavien und der Türkei. Seit zwei Jahren gehen auch Boote in die USA und nach China, wenn auch in geringer Stückzahl. Etwa fünf Schiffe verlassen pro Tag die Giebelstadter Werft, pro Jahr sind es circa Tausend. An die Blütezeit vor 2009, als etwa 3500 Boote pro Jahr ausgeliefert wurden, kann das Unternehmen nicht mehr anknüpfen. „Im Bereich serienproduzierter Yachten war Bavaria die Nummer eins, was früher mit einfachen Modellen gelungen ist“, sagt Bavaria-Geschäftsführer Lutz Henkel. Dies sei heute aufgrund der vielfältigen Ansprüche der Kunden so nicht mehr möglich. Dafür habe man bei Bavaria ein großes Potenzial im Bereich Produktionstechnik. Diese Effizienz in der Fertigung der Boote soll weiter gesteigert werden.

"Ab August diesen Jahres werden wir ein spezielles Produktionsverfahren in der Laminierung zur Serienproduktion ausbauen“, kündigt Henkel an. Beim sogenannten Vakuums-Infusionsverfahren findet das Laminieren der Boote im Vakuum statt und muss nicht mehr von den Mitarbeitern per Hand ausgeführt werden.

Zur Erklärung: Jede Bavaria hat eine eigene Decksform, in die in einer Spritzkabine zunächst ein Hartlack, das sogenannte Gelcoat, aufgetragen wird. Es versiegelt das Bauteil gegen Feuchtigkeit, schützt vor UV-Strahlung und Druckschäden. Danach beginnen die Mitarbeiter mit dem Laminieren. Hierfür benötigt man Glasfasermatten, die je nach Bootstyp in einem individuellen Schnittmuster zugeschnitten werden. In der Schablone für das jeweilige Boot, die wie eine gigantische Kuchenform aussieht, werden die Matten dann anhand eines Laminierplans ausgebreitet und in mehreren Durchgängen einlaminiert.

Was einfach klingt, wirkt in der Produktionshalle auf Außenstehende recht spektakulär: Mehrere Männer in weißen Ganzkörper-Schutzanzügen mit blauen Handschuhen und aufwändigen Atemschutz-Geräten machen sich an der „Kuchenform“ für einen Bootsrumpf zu schaffen. Ihre Montur erinnert an Raumanzüge von Astronauten, ist aber nötig, um die Mitarbeiter vor der beißenden styrolhaltigen Luft zu schützen, die beim Laminieren entsteht. Durch das neue Vakuums-Infusionsverfahren seien diese nicht mehr „dem Gestank, in dem heute gearbeitet wird“, ausgesetzt, erklärt Geschäftsführer Henkel. Auch die Umweltbelastung sinke, außerdem würden die Boote so leichter und trotzdem steifer.

Darüber hinaus will man bei der Fertigung des Innenlebens der Boote effizienter werden: Statt wie bisher einzelne Möbelblöcke nacheinander einzubauen, wird es laut Henkel künftig nur noch ein einziges Gesamt-Möbel-Modul geben, das am Stück verbaut werden kann. Dass die Möbel allesamt in der eigenen Schreinerei in der Giebelstadter Werft hergestellt werden, gilt in der Branche als Qualitätsmerkmal.

Einer der führenden Hersteller von Segelyachten und Motorbooten

Wie aber kommt eine Firma für Bootsbau aufs Land nach Giebelstadt? „Dieser Bau hier war einmal eine Fensterfabrik“, erzählt Bavaria-Marketingleiter Thorben Will. Dort hatte der gelernte Industriekaufmann Winfried Herrmann Ende der sechziger Jahre mit einem Partner eine Fabrik für Kunststofffenster gegründet. Wenig später hatte er die Vision, Boote zu bauen, die man sich leisten kann. Nach der Gründung des Unternehmens 1978 entwickelte sich Bavaria zu einem der führenden Hersteller von Segelyachten und Motorbooten. In Giebelstadt entstand die größte Sportboot-Werft der Welt – mit etwa 700 Beschäftigten in der Hochphase.

Die „Financial Times“ nannte Herrmann den „Henry Ford aus Franken“; der ehemalige Bavaria-Aufsichtsratschef Constantin von Bülow bescheinigte dem 2015 verstorbenen Firmengründer, „den Bau von Serienyachten revolutioniert“ zu haben.

2007, als der Bootsbau boomte, zog sich der damals 65-jährige Herrmann aus der Firma zurück; die Werft wurde für eine Rekordsumme von 1,2 Milliarden Euro an eine amerikanische Investorengruppe verkauft. Als Ende 2008 infolge der Weltwirtschaftskrise die Nachfrage nach Booten einbrach, hatte man bei Bavaria mit riesigen Überkapazitäten und einer Beinahe-Pleite zu kämpfen. Nach turbulenten Zeiten und zahlreichen Wechseln in der Chefetage kamen die Investoren Oaktree Capital und Anchorage Advisors an Bord. Inzwischen hat sich das Unternehmen erholt, die Marktsituation gilt vor allem in Europa als sehr stabil.

Die Zukunft der Branche sieht Geschäftsführer Henkel eher verhalten („es ist der Markt eines Luxusproduktes, das heute umstritten ist“) – die geplanten Neuerungen in der Werft wertet er aber als klares Bekenntnis zu Giebelstadt: „Wir bleiben hier und investieren in den Standort.“
 

Firmendaten

Firma: Bavaria Yachtbau GmbH.

Standorte: Giebelstadt und Rochefort (Frankreich).

Gründungsjahr: 1978.

Mitarbeiterzahl: 600 in Giebelstadt und 150 in Rochefort.

Umsatz: keine Angabe.

Niederlassungen: weltweites Händlernetzwerk

Hauptprodukte: Segel- und Motorboote, Katamarane.

Eigentümer: US-amerikanische Investorengruppen Oaktree Capital und Anchorage Advisors (zu je 50 Prozent).

Internet: www.bavaria-yachtbau.com; www.facebook.com/BavariaYachtbau

Yachten, so weit das Auge reicht: Auf vier Produktionsstraßen wandern die Boote an Montagebändern entlang. Spezialisten überwachen den jeweiligen Arbeitsschritt.
Foto: Thomas Obermeier | Yachten, so weit das Auge reicht: Auf vier Produktionsstraßen wandern die Boote an Montagebändern entlang. Spezialisten überwachen den jeweiligen Arbeitsschritt.
Bei diesem Arbeitsschritt ist Schutzkleidung gefragt: Anhand eines genauen Plans laminieren Mitarbeiter Glasfasermatten in die „Kuchenform“ des jeweiligen Bootstyps ein.
Foto: Thomas Obermeier | Bei diesem Arbeitsschritt ist Schutzkleidung gefragt: Anhand eines genauen Plans laminieren Mitarbeiter Glasfasermatten in die „Kuchenform“ des jeweiligen Bootstyps ein.
Kabelsalat für Kabinen-Komfort: Warmwasser, Toilette und Dusche, viele Steckdosen, Kühl- und Gefrierschränke, Waschmaschine und Geschirrspüler – wer heute ein Boot kauft, möchte auf einen gewissen Luxus nicht verzichten.
Foto: Thomas Obermeier | Kabelsalat für Kabinen-Komfort: Warmwasser, Toilette und Dusche, viele Steckdosen, Kühl- und Gefrierschränke, Waschmaschine und Geschirrspüler – wer heute ein Boot kauft, möchte auf einen gewissen Luxus nicht ...
 
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