Blasensteine waren weit verbreitet. Der Mensch aß viel Fleisch, Hülsenfrüchte auch – dazu gab's reichlich Wein und Bier. „Die Wasserqualität war schlecht“, sagt Dr. Karin Nolte mit Schmunzeln. „Durch die Ernährung und Lebensweise hat sich viel Harnsäure gebildet. Das war eine weit verbreitete Erkrankung.“ Die Medizinhistorikerin öffnet ein kleines Schächtelchen und zeigt auf einen taubeneigroßen Stein. „Eine sehr schmerzhafte Operation.“ Sie öffnet eine Vitrine und holt mit Handschuhen ein glänzendes längliches Gerät heraus. Vier Klingen aus blinkendem Stahl, Ebenholzgriff, 30 Zentimeter wohl lang. „Ein Lithotom caché, damit zu schneiden war eine neuere Methode.“
Fünf Helfer, um den Patienten festzuhalten
Auch wenn kleinere Blasensteine vielleicht irgendwann beim Harnlassen schmerzhaft abgingen – bei großen und harten half nur das Messer. Durch einen Blasenschnitt holte der Chirurg den Stein mit einer Zange heraus. Kleinere, porösere Steine konnte er mit sogenannten Lithotryptoren zerstoßen und zertrümmern, die durch die Harnröhre eingeführt wurden. „Für eine Steinschnitt-OP hat der Chirurg fünf Helfer gebraucht“, sagt Nolte und dreht das Lithotom caché aus dem 19.
Jahrhundert in ihren Händen. „Um den Patienten festzuhalten.“ Narkose gab es vor 1850 keine. Und dieses Gerät mit einem versteckten Messer, das erst in der Blase ausgeklappt wurde, präzise eine Öffnung von innen nach außen schnitt und dann mit eingeklappten Klingen durch den Bauchraum wieder herausgezogen wurde, sollte den schmerzhaften Eingriff wenigstens verkürzen.
Viele Blasensteine, starke Schmerzen – kein Wunder, dass sich in der Sammlung der Würzburger Chirurgie neben dem langen stählernen Lithotom caché, das man sich eigentlich nicht im Bauch vorstellen will, sehr, sehr viele urologischen Instrumente finden. Und einige von ihnen strahlen jetzt, aus der Kiste geholt und restauriert, im Institut für Geschichte der Medizin in neuem Glanz.
Über Jahrzehnte in Kisten auf dem Dachboden und im Keller
Viele Jahre, erzählt Privatdozentin Karen Nolte, hatten die Gerätschaften der Chirurgie und auch der Universitätsfrauenklinik in Kisten im Verborgenen ihr Dasein gefristet. Irgendwo im Keller, auf dem Dachboden, weitgehend unbeachtet und fast vergessen. Die „Chirurgische Sammlung“ war im ausgehenden 18. Jahrhundert vermutlich von Carl Caspar von Siebold begründet worden. Im 19. Jahrhundert wurde sie für den praktischen und theoretischen Unterricht stetig erweitert. So sahen und erfuhren die Medizinstudenten im Hör-, was später im Operationssaal zu tun war.
Schon vor der Einführung der Narkose Mitte des 19. Jahrhundert hatte die akademische Chirurgie in Würzburg einen enormen Aufschwung erfahren, erzählt Medizinhistorikerin Karen Nolte. In der Stadt siedelten sich Instrumentenmacher an, die nicht nur die Universität belieferten, sondern gemeinsam mit den Professoren auch neue Werkzeuge entwickelten. Und Cajetan von Textor, in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhundert Chirurgieprofessor und Oberwundarzt am Juliusspital, schuf als „Conservator“ systematisch Instrumente und Bandagen an und machte die Lehrsammlung damals schon in Vitrinenschänken einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich. Einige übrig gebliebene Emailleschilder und Bleischildchen zeugen noch heute davon.
Brenneisen, Knochensägen, Blasensteinschneider
„Kein Geringerer als Ernst von Bergmann, nach nur vier Jahren in Würzburg in die Charité nach Berlin berufen, war dann zwischenzeitlich 'Conservator' der Chirurgischen Sammlung“, sagt Nolte. Er habe aus hygienischen Gründen dafür gesorgt, dass die Sammlung in die Chirurgische Abteilung kam. Sie hatte in der Anatomie gelagert, dort wo die Studenten an Leichen praktisch in Chirurgie unterwiesen wurden. Die Lehre war nicht der einzige Zweck der Sammlung, sagt Nolte: „Neue Instrumente wurden auch bei der Operation von Patienten eingesetzt.“
Brenneisen zur Blutstillung und galvanokaustische Schlingen, um Polypen zu entfernen, Handtrepane zur Eröffnung des Schädels, Knochensägen, Zangen und Schneidegerät – rund 800 Instrumente umfasst die historische Chirurgische Sammlung. Und, sagt Karen Nolte, sie war einst über die Grenzen Würzburgs hinaus bekannt. Als Juliusspital und Universitätskliniken getrennt wurden, überließ man 1921 alle Stücke – viele mit tatsächlichen Gebrauchsspuren – dem Institut für Geschichte der Medizin.
Es sind handwerklich fein gearbeitete Objekte, ästhetisch gestaltet, teils von hoher Wertigkeit. Manchmal sind Teile vergoldet. Manchmal haben Zangen Griffe aus Ebonit, besonders hartem Gummi, oder aus Ebenholz. Aus Stahl und Messing sind die Instrumente gefertigt, einige haben Teile aus Horn oder Elfenbein, manche haben eine komplexe Mechanik. Andere glänzen, als seien sie ein liturgisches Gerät. Doch sie kamen in Kisten und landeten im Keller und auf dem Dachboden. Für Jahrzehnte. „Dornröschenschlaf“, sagt Nolte. „Erst jetzt hat man wieder ein verstärktes Bewusstsein für solche Universitätssammlungen und erkennt ihren Wert.“
Wie dachten, wie arbeiteten die Mediziner früher?
Anhand der Blasensteinzertrümmerer, Schädelbohrer oder Äther-Chloroform-Mischapparate lässt sich die Medizin der Vergangenheit sinnlich, nämlich dreidimensional erfahren. Und es lässt sich einiges daraus ablesen, wie die Ärzte einst handelten und dachten. Karen Nolte wollte die Instrumente, teils völlig ungeordnet zusammengeschmissen und verrostet, wieder ans Licht holen und begann vor drei Jahren, sich intensiver mit der Sammlung zu beschäftigen. Mit Medizinstudenten arbeitete sie in einem Seminar die Geschichte der alten Stücke auf. Und mit Unterstützung von Elke Schimanski aus der Museologie wählten die Studenten Objekte für die Ausstellung im Institut für Geschichte der Medizin aus.
Fleißarbeit: Durch die Kataloge der Instrumentenmacher geblättert
„Ein mühsamer Erschließungsprozess“, sagt die Medizinhistorikerin.
Denn manchen Instrumenten ist heute auf den ersten Blick der einstige Nutzen gar nicht mehr so leicht anzusehen: „Man muss erst mal gucken: Was ist das, was hat man damit wohl gemacht?“ Die Forscher müssen sich in Fleißarbeit durch zeitgenössische Instrumentenkataloge arbeiten, um den Einsatzzweck und die Herkunft manches Objekts herauszufinden.
Auch aus der Geburtshilfe sind Exponate dabei: Als im ausgehenden 18. Jahrhundert die akademische Geburtshilfe in Würzburg entstand, legte man eine entsprechende Instrumentensammlung an. „Die Instrumente spielten eine wichtige Rolle bei der Abgrenzung von der Hebammenkunst“, sagt Nolte. Über die Jahrhunderte hatte die Geburtshilfe allein in den Händen der Frauen, der Hebammen im Besonderen, gelegen. Als universitär ausgebildete Mediziner die Geburtshilfe zu ihrer Sache machten und Entbindungskliniken aufkamen, entwickelte sich auch das gynäkologische Gerät. „Die Ärzte mussten ja zeigen, dass sie eine Daseinsberechtigung hatten.“
Reiches Instrumentarium aus der Universitätsfrauenklinik
In den 1940er Jahren war die Sammlung der Universitätsfrauenklinik in einem Museum im Dachgeschoss ausgestellt gewesen – 336 Instrumente damals, 53 Wachsabformungen und eine Beckensammlung. Bis heute ist die Sammlung auf 600 Instrumente angewachsen, von den Wachsmoulagen sind nur wenige, von den Beckenknochen einige überliefert. Vor allem der Bestand an Geburtszangen aus dem 18. und 19. Jahrhundert ist groß. „Eine große Errungenschaft.“
Karen Nolte holt ein Chloroformtropffläschchen aus der Vitrine, es ist eines ihrer Lieblingsobjekte: Die Einführung von Narkosemitteln und schmerzlindernden Verfahren war eine medizinische Revolution zum Wohle der Frauen gewesen. Eigens für die Geburtshilfe war Chloroform eingeführt worden: Tropfenweise wurde es aus speziell entwickelten Flaschen auf ein Tuch gegeben, das man der Patientin über Mund und Nase legte. Und das, erzählt Karen Nolte, die selbst ausgebildete Krankenpflegerin ist, durften einst die Pflegerinnen und Schwestern machen. „Die Form der Chloroformflasche verweist auf die weibliche Benutzerin“, sagt sie mit einem Augenzwinkern und zeigt auf den Stöpsel. „Da, sehen Sie: Teekanne.“
Gepflegt, geputzt, restauriert
Zum Chloroformfläschchen und den Blasensteinschneidern gesellen sich in den Vitrinen Geburtszangen und ein Spekulum aus Kuhhorn mit Ebenholzobturator aus der Zeit um 1800, ein Instrument für den Blick ins weibliche Genital. Es gibt Röhrenspekula aus Glas und Stahl, einen Apparat zur Äther-Chloroform-Misch-Narkose für den Handbetrieb und ein dreifüßiges Elevatorium von 1800 zur Anhebung der Schädeldecke.
Frank Wittstadt, Diplomrestaurator aus Unterpleichfeld, hat sich des Schädeldeckenhebers mit Schrauben und Gewinden angenommen. Denn die Instrumente wurden zwar größtenteils nur „entstaubt“. Doch wo immer nötig und möglich ließ das Institut für Geschichte der Medizin ein Objekt vom Fachmann nicht nur pflegen und putzen, sondern restaurieren. Aus manch unansehnlichem, rostigen Stück aus den alten Kisten, das man sich kaum im medizinischen Einsatz vorstellen mochte, wurde unter den Händen von Frank Wittstadt mit Mitteln der Medizinischen Fakultät wieder ein Stück in ursprünglichem Glanz.
Öffnungszeiten der Ausstellung:
Die Vitrinenausstellung zeigt eine Auswahl aus den Medizinhistorischen Sammlungen. Zu sehen ist sie im Institut für Geschichte der Medizin, Oberer Neubergweg 10a, in Würzburg. Geöffnet hat das Institut von Montag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr, Führungen gibt es auf Anfrage, Tel. (09 31) 31 830 94.